Musikschulen zur Coronakrise„2020 war so ranzig“
Köln – „Wir sind noch da!“ Das muss gesagt werden, findet Joscha Oetz. Er steht allein in einem Proberaum der Offenen Jazzhausschule Köln, wie er waren auch die Instrumente seit Monaten verwaist: Niemand saß hinterm Schlagzeug, keiner drückte die Tasten des Klaviers. Die wuchtigen Mauern der Eigelsteintorburg, die Heimat der Jazzhausschule, haben schon so manche Töne gehört und wieder verschluckt. Auch wenn es unter strengen Vorgaben seit einigen Tagen wieder Präsenzunterricht gibt: Corona hat die große Stille gebracht.
Wie Grund-, Haupt- und Realschulen oder Gymnasien in Zeiten der Pandemie arbeiten sollen, diese Frage liefert Stoff für erhitzte Debatten. Doch auch Bildungsinstitutionen wie eben den Musikschulen setzt der Virus zu: Sie können keine Tage der Offenen Tür veranstalten, um für sich zu werben – das wirkt sich auf die Anmeldungen aus; die Jazzhausschule muss ein Minus von zehn Prozent bei den Mitgliedsbeiträgen verbuchen, wobei sich die Schule freut, dass zahlreiche Eltern aus Solidarität weitergezahlt haben; die Bundes-Eltern-Vertretung im Verband deutscher Musikschulen appellierte jüngst an Eltern und Förderer, „der Arbeit der Musikschulen in solch widrigen Zeiten mit Wertschätzung und Geduld zu begegnen“ – also weiterhin finanzielle Unterstützung zu gewähren, auch, wenn manches nicht so läuft wie zu normalen Zeiten.
Jazz macht am meisten Spaß, wenn man ihn in einer Band spielt. Solche Zusammenkünfte verhindert Corona gerade, was es der Jazzhausschule zusätzlich schwer macht: Einrichtungen wie die Rheinische Musikschule in Köln oder die Max-Bruch-Musikschule in Bergisch Gladbach kommen recht gut über die Runden, weil sie aufs Internet setzen – „80 bis 90 Prozent unseres klassischen Einzelunterrichts können so aufrecht erhalten werden“, sagt Tilman Fischer, der die städtische Musikschule an der Vogelsanger Straße leitet. Doch das Musizieren im Ensemble muss derzeit pausieren.
Auf die Digitalisierung setzt allerdings auch Joscha Oetz in der Eigelsteintorburg. Er hat gemeinsam mit den „Unlogischen“ ein Video gedreht, das sie auf YouTube hochgeladen haben. „Die Unlogischen“, das sind Aaron, Emil, Knut, Louis, Luke und Ole, die ihrem Ärger über das Corona-Jahr musikalisch Luft machen: „2020 war so ranzig.“ Im Split-Screen-Verfahren ziehen die sechs jungen Schüler nicht allein über das Virus her, auch die Wikinger im Weißen Haus geben ihrer gerappten Hoffnung Nahrung, dass 2021 ein besseres Jahr wird.
Gut gelauntes Beispiel
Das Video selbst ist ein aufgekratztes, gut gelauntes Beispiel dafür, wie man der Isolation mit den Hilfsmitteln der Digitaltechnik etwas entgegensetzen kann – auch, wenn es natürlich schöner ist, sich im realen Raum zu treffen, dort Musik zu machen, und auch, wenn alle Beteiligten erst lernen mussten, einen solchen Film zu drehen, noch dazu auf Distanz. „Video war nicht Teil meiner Ausbildung“, sagt der Musiklehrer und Kontrabassist Oetz.
Die Corona-Krise habe durchaus kreative Prozesse angestoßen, was die Musik ohne Präsenz angeht, sagt auch Agnes Pohl-Gratkowski von der Max-Bruch-Schule in Bergisch Gladbach. So hat man den langjährigen Leiter der Musikschule, Friedrich Herweg, ebenfalls mit einem aufwendigen, professionell geschnittenen Video Anfang März in den Ruhestand verabschiedet. Sämtliche Lehrerinnen und Lehrer schalten sich da zusammen für eine Version des Klassikers „Take the A-Train“, die ganz nebenbei die vielfältigen Instrumentengruppen im Angebot der Schule vorstellt.
Aber auch Schülerinnen und Schüler produzieren Videos, um wenigstens digital aufzutreten: „Musikschule im Wohnzimmer“ heißt das Projekt.Claudia Wanner vom Verband deutscher Musikschulen hält es für eine dringende Aufgabe, dass die Kommunen nicht allein die Einnahmeeinbrüche der vergangenen und wohl auch der kommenden Monate auffangen – „Investitionen ins Digitale sind geboten“, sagt sie, denn es könne nicht angehen, dass die Lehrkräfte immer nur ihre private Geräte für den Distanzunterricht einsetzen.
Die Schulen selbst müssten besser ausgerüstet sein, auch mit so grundlegenden Dingen wie WLan-Anschlüssen. Und das nicht nur, weil man nicht wüsste, wie lange die Pandemie noch andauert oder wann die nächste kommt – die Erfahrungen, die man gerade mit der Digitaltechnik macht, könnten dazu führen, dass diese auch weiterhin zur Ergänzung des Präsenzunterrichts genutzt wird, etwa bei Theoriestunden.
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In Nordrhein-Westfalen finden diese Forderungen offenbar Gehör. „Wir werden im Rahmen der Unterstützungsprogramme für die Corona-Folgen ein Programm für die Musikschulen auflegen, das beim Aufbau digitaler Infrastruktur, beim Entwickeln und Anschaffen von Software und bei der Vermittlung von Skills hilft“, heißt es aus dem Kulturministerium von Isabel Pfeiffer-Poensgen. Die Mittel werden aus dem Kulturstärkungsfonds des Ministeriums bereitgestellt und belaufen sich für das Jahr 2021 auf sechs Millionen Euro.
Tilman Fischer von der Rheinischen Musikschule in Köln kann „den Wunsch an die Politik, online auszubauen“, nur unterstreichen – gerade auch in der jetzigen Situation, in der mit der Öffnung der allgemeinbildenden Schulen auch der Musikunterricht in Präsenz wieder möglich ist. Das aber wollen viele Schülerinnen und Schüler beziehungsweise deren Eltern gar nicht in Anspruch nehmen, weil sie Infektionen fürchten: „Man muss diese Sorgen und Ängste ernst nehmen“, sagt Fischer, und deshalb bleibt die Digitalisierung wohl auf unbestimmte Zeit ein sinnvolles Mittel, die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen nicht unter die Räder der Pandemie geraten zu lassen.