Ben Baur inszeniert „Nabucco“ als Tragödie. Wieder offenbarten sich die akustischen Defizite im Staatenhaus. Unsere Kritik der Opern-Premiere.
„Nabucco“-Premiere in KölnWann kriegen Kölner Opernfreunde endlich das Haus am Offenbachplatz wieder?
Am Schluss gehen gleich drei Darsteller in die Horizontale. Das ist im Plot von Verdis „Nabucco“ eigentlich nicht vorgesehen: Da erwischt es final nur die böse Abigaille – im Gram über ihre eigene Intriganz und Bösartigkeit schluckt sie Gift. In Ben Baurs Inszenierung der Oper, die jetzt im Saal 1 des Kölner Staatenhauses Premiere hatte, trinkt auch ihre Halbschwester Fenena noch kurz vor der Befreiung den tödlichen Mix, und Nabucco muss ebenfalls dran glauben – er wird vom hebräischen Hohepriester Zaccaria ermordet. Die Regie bürstet also das Frühwerk, mit dem der Komponist seinen ersten großen internationalen Erfolg einfuhr, entschieden in Richtung Tragödie.
Und die hört perspektivisch nicht auf. Denn mögen auch der eine Tyrann und sein Umfeld erledigt sein – mit Zaccaria steht tendenziell die Nachfolge bereit. Keine schönen Aussichten auf die Menschheitsgeschichte.
Baur inszeniert Herrschaft als Form des Gefangenseins
„Nabucco“ ist von Haus aus eine Individualgeschichte über Hybris, Strafe und Reue. Baur hingegen richtet sein Augenmerk auf die Struktur von Herrschaft, die deren Inhaber zum Nicht-Loslassen-Können verurteilt und sie dadurch ihrerseits zu Gefangenen macht. Und es geht um die Folgen für die Beherrschten. Zur Hilfe kommen lässt er sich dabei von Ingeborg Bachmanns Gedicht „Einem Feldherrn“ aus ihrem ersten Lyrikband „Die gestundete Zeit“, das zu Beginn des vierten Aktes rezitiert wurde. Folgende Stelle könnte sich immerhin auf Nabucco beziehen lassen: „Eins sollst du wissen:/ erst wenn du nicht mehr versuchst,/ wie viele vor dir, mit dem Degen/ den unteilbaren Himmel zu trennen,/ treibt der Lorbeer ein Blatt.“ Aber Vorsicht, das Gedicht ist mehrdeutig und enigmatisch: Das zentrale Dingsymbol des Lorbeers steht für Feldherrn- wie für Dichterruhm.
Zeitgenössische Referenzen ohne direkte Allusionen an aktuelle Kriege
So richtig befördern die Verse also nicht das Verständnis der Bühnenvorgänge. Ist vielleicht auch nicht nötig, die Sache ist eindeutig genug. Der babylonische König erscheint übrigens keineswegs in herrscherlichem Glanz, sondern eher wie der Chef eines Mafia-Clans, der, im Smoking von einer Party kommend, noch schnell ein paar Feinde erledigen muss. Direkte, aber wohlfeile Allusionen an gegenwärtige Diktaturen und Kriege – ob nun in der Ukraine oder im Nahen Osten – unterbleiben, obwohl die zeitgenössische Kostümierung des Personals dafür die Tür geöffnet hätte. Auch Baurs düstre, enge Bühne mit einer – Klaustrophobie hervorrufenden – Anmutung von Fabrikhalle und Kerker ist unspezifisch. Der Bühnenkäfig, in dem der mit Wahnsinn geschlagene und von Abigaille de facto entmachtete Nabucco schmachten darf, erinnert immerhin an Guantánamo.
Die Tristesse der Szene schlägt auch auf ihre Wirkung durch
Das alles entfaltet einige Suggestivität, ohne dass es einen konzeptionell, als deutende Leistung wirklich vom Stuhl risse. Und die absichtsvolle Einschnürung der Bühne zeitigt auch Nachteile: Weder die – häufig zum Rampengesang verurteilten – Solisten noch der Chor können sich hier choreografisch effektvoll entfalten. Die Tristesse der Szene schlägt auch auf ihre Wirkung durch.
Weithin überzeugend sind die Sängerleistungen, die sich allemal problemlos gegen die Instrumentalbegleitung behaupten. Bei den Herren gefallen Ernesto Petti in der Titelpartie, Evgeny Stavinsky als Zaccaria und Young Woo Kim als Ismaele gleichermaßen dank raumfüllender Stimmgewalt durch alle Lagenwechsel hindurch, einige leichte Übersteuerungen und Intonationsmängel, auch ein paar übertriebene Portamenti abgerechnet. Und wer zuweilen Ausdrucksdifferenzierung und einen Verzicht auf stentorhaftes Durchpowern vermissen mag, wird sich freuen, dass dies an wichtigen Stellen der Oper dann doch der Fall ist; dass sanfte, berührende und beseelte Legato-Töne Platz greifen.
Marta Torbidoni glänzte als Abigaille
Bei den Frauen schoss womöglich Marta Torbidoni als Abigaille den Vogel ab, mit einem enorm versatilen Sopran zwischen schmeichelnd gefügten melodischen Linien und virtuos flammenden Koloraturen – und einer bemerkenswerten Fülle und expressiven Kraft in der Mezzolage. Freilich ist die Rolle auch darstellerisch spektakulär und dankbar. Wenn die Mezzosopranistin Aya Wakizono als Fenena dahinter zurücktrat, lag das nicht an ihrer Performance. Sie gab ihrer Partie die innige Lyrik eines erfüllten Belcanto mit.
Eindrucksvoll, weil stimmgewaltig, schlagkräftig auf den Punkt und meistens auch klangschön, agiert der stark geforderte Chor, nicht nur in dem legendären „Va, pensiero, sull´ali dorati“, das seinerzeit die italienische Einheitsbewegung beflügelte. Das geht verhalten los, um dann machtvoll aufzugipfeln. Ein paar herausknallende Stimmen schädigen zuweilen die Homogenität, aber insgesamt präsentiert sich das Ensemble in exzellenter Verfassung.
Große akustische Defizite durch die räumliche Situation
Und das Orchester? Am Sonntagabend hatte man mal wieder Anlass, die Gürzenich-Musiker zu bedauern: Nein, das ist einfach nichts, dieser „Graben“ mit geringer Tiefe, dafür aber breitgezogen wie ein Kaugummi, wo die Holzbläser am linken Rand das Blech am rechten kaum mehr hören können. Der Zuschauer, zumal in den vorderen Reihen, hört die Mängel dieser Aufstellung indes sehr wohl. Es geht dabei nicht nur um unvermeidliche Koordinationsverluste, sondern auch und vor allem um die grundständige Beeinträchtigung des Sounds. Auf Anhieb mag interessant sein, dass man mit nie gehörter Deutlichkeit untergeordnete Begleitfiguren des Fagotts wahrnimmt. Aber mit dem angezeigten Mischklang der italienisch-romantischen Oper hat das nichts zu tun. Deutlich besser klappte es mit dem (pultnahen) Cello-Sextett in Zaccarias Preghiera.
Zu bedauern war da auch, jedenfalls in der Premiere, der Dirigent Sesto Quatrini, der die unangenehme Situation mit fatalistischer Routine schulterte und das Beste draus zu machen versuchte. Dass da an Esprit, Geschmeidigkeit, Charisma nicht mehr drin ist, dürfte ihm klar sein. Lange Zeit hat man die experimentellen Möglichkeiten, die das Staatenhaus bereithält, zu schätzen gewusst (Stichwort: „Die Soldaten“). Inzwischen aber neigt sich die andere Schale der Waage nach unten. Man hat gute Gründe, von den räumlichen und akustischen Defiziten der Location nur noch genervt zu sein. Wann kriegen die Kölner Opernfreunde endlich das Haus am Offenbachplatz wieder?
Freundlicher Schlussbeifall, ein paar Buhs für die Regie.