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Nach 32 Jahren Schauspiel KölnMartin Reinke macht Schluss

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Martin Reinke im Carlsgarten des Schauspiels Köln.  

Köln – Martin Reinke, der einem auf seinem kleinen Tretroller entgegenflitzt, das ist zunächst ein ungewohnter Anblick. Wenigstens für Kölner Theatergänger, die den dienstältesten Schauspieler des Ensembles bereits in den 1990ern als Mackie Messer erlebt haben, als Mephisto, oder später als Willy Loman und bald als König Lear. Nicht jedoch für seine Kolleginnen und Kollegen im Depot, die kennen Reinke nur rollend, immer schon angekommen, wo andere sich noch hinbemühen müssen, immer perfekt auf alles vorbereitet, was da kommen mag.

Aber jetzt macht Martin Reinke Schluss. Mit dem „König Lear“ verabschiedet er sich vom Kölner Publikum, das ihn doch so sehr ins Herz geschlossen hat. 32 Jahre lang hat der gebürtige Hamburger am Schauspiel Köln gespielt. Er wird das auch noch ein wenig weiter tun, so lange Stücke, in denen er besetzt ist, im Repertoire bleiben. Den „König Lear“, sagt Reinke, würde er am liebsten noch mit ins wiedereröffnete Haus am Offenbachplatz nehmen. Aber neue Inszenierungen mit Reinke, die wird es dann nicht mehr geben, das Theater wird ohne seine mal dünn schneidende, mal rau aufgeraspelte, mal zärtlich gurrende Stimme auskommen müssen, auch wenn das schwer vorstellbar ist.

Aus Liebe zum Theater aufhören

Warum er, der das mit seinen 66 Jahren ja noch nicht müsste, aufhört, das liegt paradoxerweise an Reinkes Liebe zum Theater, an der Sorgfaltspflicht, die er mit seinem Beruf verbindet. Künftig will er nur noch Rollen übernehmen, auf die er sich ein Jahr lang vorbereiten kann. „Dann kann ich aber nicht mehr Ensemblemitglied sein“, begründet Reinke, „sonst müsste ich ja für zwei Produktionen zur Verfügung stehen. Das kann ich nicht mehr mit mir vereinbaren. Ich brauche diesen Vorlauf. Entweder ich arbeite zu diesen Bedingungen, oder eben gar nicht mehr.“

„Das größte Problem auf der Bühne“, sagt Reinke, „ist die Angst. Damit meine ich nicht das Lampenfieber: Das ist eine gesunde Spannung, wie bei der Katze vor dem Sprung. Mich haben mein Leben lang Versagensängste begleitet. Überwunden habe ich die erst durch die Arbeitsweise, die ich in den letzten Jahren entwickelt habe. Aber die ist leider nicht mit dem Theaterbetrieb kompatibel.“

Statt Rente weiter eine Rolle pro Spielzeit am Wiener Burgtheater

Nur am Wiener Burgtheater, zu dessen Ensemble er nun auch schon seit Jahrzehnten gehört, wird er weiterhin eine neue Rolle pro Spielzeit übernehmen. „Wien ist auch ein Zuhause, das muss ich einfach machen. Und dort spielt man die Stücke auch ein bisschen länger.“ Von der Kurzlebigkeit mancher Aufführungen ist er enttäuscht: „Da gibt es tolle Produktionen, die nach der elften Vorstellung abgesetzt werden, oder, wie damals unter Krämer, Strindbergs „Der Vater“ nach 13 Mal nicht mehr zu spielen, worin ich ein Jahr investiert hatte – furchtbar.“

Ähnliches gelte im Übrigen auch für die Arbeit in Funk und beim Fernsehen: „Da nehme ich kein Angebot an, das kurzfristiger als drei Monate kommt. Damit bin ich aber meistens auch schon raus. Schauspieler sind ja immer die letzten, die irgendwas erfahren.“ Könnte man, ketzerisch gefragt, nicht einfach zur Aufnahme antanzen und hinterher den Scheck abholen? „Aus der Lamäng heraus abliefern, mit sturem Blick auf die Gage?“, fragt Reinke: „Da greift man dann auf seine Trickkiste zurück. Sie werden auf diese Art keine neuen Erfahrungen machen. Vielleicht gibt es unter Tausend Schauspielern drei oder vier, die so eine geniale Beziehung zu den Musen da oben haben. Aber das Gros, zu dem ich mich auch zähle, braucht seine Zeit, um so komplexe Stücke wie den ‚Lear' zu begreifen. Das schüttelt man nicht einfach so aus dem Ärmel.“

Martin Reinke mit Shakespeare zum Abschied

Womit wir endlich bei dem Weltdrama wären, das Martin Reinke schon sein Berufsleben lang begleitet. „An diesem ‚Lear' arbeite ich jetzt schon seit vier Jahren und die reine Lernarbeit nimmt mich seit einem Jahr in Anspruch. Ich habe für mich diese Devise: Probenbeginn, also Leseprobe ist Wiederaufnahme. Soll heißen ich steige in den Ring, als hätte ich das Stück schon 80 Mal gespielt.“

In Köln hat Hausregisseur Rafael Sanchez die Inszenierung übernommen. Reinke hat mit ihm schon oft erfolgreich zusammengearbeitet, zuletzt in „Tod eines Handlungsreisenden“ und „Früchte des Zorns“. Aber braucht ein Schauspieler, der sich so gründlich, ja erschöpfend vorbereitet überhaupt noch einen Regisseur? „Das hat mich Alvis Hermanis auch mal gefragt. Wenn sie eine Partitur im Kopf haben, können Sie die auch wieder rausschmeißen, wenn sie nichts im Kopf haben, dann sind sie nur unsicher und kein guter Partner. Ich bin durch meine Art der Vorbereitung sattelfest, ein exzellenter Partner für Regisseure, die sich darauf einlassen.“ Und für seine Kollegen, die eventuell nicht so perfektionistisch arbeiten? „Meine Vorgaben sorgen ja dafür, dass eine Szene schon mal läuft. Das ist wie beim Rudern, wo einer schon mal den Rhythmus vorgibt, eine Erleichterung.“

„König Lear“ ein gottloser König von Gottes Gnaden

Die mag bei einem so schwierigen Stück wie dem „Lear“ mehr als willkommen sein. Der gelte, erinnert Reinke, ja nicht umsonst als unspielbar. „Welche Themen werden denn da eigentlich verhandelt?“ Dem zugegeben flapsigen Vorschlag, dass es um einen Herrscher gehe, der nicht von der Macht lassen kann, was doch als Bühnenabschied einen gewissen Geschmack habe, widerspricht Reinke energisch. Und setzt zu einem langen Exkurs an: von der schwierigen Thronfolge der kinderlosen ersten Elisabeth von England, über den großen Lebensplan Jakobs des Ersten, die Königreiche Schottland und England politisch zu vereinen, bis hin zum Lear, der genau das Gegenteil tut und sein Reich aufteilt, mit den bekannt katastrophalen Folgen.

„Der Lear ist ein König von Gottes Gnaden ohne Gott. Im ganzen Stück taucht das Wort Gott nicht einmal auf! Es gibt keine höhere Instanz. Deswegen ist der Lear eine ganz moderne Figur, die sich keiner höheren Instanz verantwortlich fühlt und deswegen auch keine Verantwortung übernimmt für die Gesellschaft. Er will nur noch die Privilegien, frei von allen Pflichten.“ Das erinnert nun freilich an zeitgenössische Herrschergestalten wie Trump und Johnson. Reinke nickt und zitiert, was der griechische Philosoph Heraklit über die Hybris, die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung des Menschen, geschrieben hat: „Die muss dringender gelöscht werden als eine Feuersbrunst.“

Der Wahnsinn hinterlässt Spuren

Er habe schon viele Figuren gespielt, die grenzgängerisch waren, den Caligula etwa, oder den Siebenmark in Ernst Barlachs „Der arme Vetter“, der am Elbstrand in Blankenese seinen Hut fressen will. Eine Glanzrolle, die Reinke noch aus Bremen mitgebracht hatte, woher er mit dem Intendanten Günter Krämer nach Köln gekommen war. Er habe also gelernt, was das heiße, auf der Bühne wahnsinnig zu werden. Und dass dies nicht ganz ungefährlich ist. „Man ist natürlich auch Handwerker, schaut sich von oben zu. Trotzdem: Die Situation des Bühnenwahnsinns ist, will man sie füllen, wirklich eine Art Katastrophe. Da kommt hinterher das große Flattern. Und hier ist nun fast das ganze Stück eine einzige Wahnsinnspartie. Das hinterlässt Spuren, wie eine Gehirnerschütterung, bei der einem am nächsten Tag noch schwindelig ist.“

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Wie er nun den Lear spielen wird? Da muss man die Premiere am Freitag abwarten. Von Günter Krämer, dem Intendant der ihn gefördert und gefordert hat wie kein Zweiter, habe er gelernt, dass es zwar Hunderttausend Arten geben möge, den Hamlet zu spielen, aber nur die eine Richtige für ihn. Die dürfe man nicht verfehlen. „Die Frage ist: Wie schaffe ich es, mir einen fremden Gedanken so zu eigen zu machen, dass er schließlich mein eigener wird? Denn dann gibt es kein Schauspielern, kein Verwandeln mehr, dann haben Sie Ihre Person ganz in den Dienst eines fremden Bewusstseins gestellt. Das war die wichtigste Lektion meines künstlerischen Lebens.“