NachrufAnouk Aimée war die meist umschwärmte Frau des französischen Kinos

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Das am 2. Mai 1984 aufgenommene Foto zeigt die französische Schauspielerin Anouk Aimée während einer Fernsehsendung in Paris. Die französische Schauspielerin Anouk Aimee, die in den 1960er Jahren durch den Oscar-prämierten Film „Ein Mann und eine Frau“ zu einer Ikone des romantischen Untergangs wurde, ist am 18. Juni 2024 im Alter von 92 Jahren gestorben, wie ihr Agent gegenüber AFP erklärte. Aimees schwüle Raffinesse zierte europäische Arthouse-Meisterwerke wie Federico Fellinis „La Dolce Vita“ (1960) und „8 1/2“ (1963).

Anouk Aimee im Jahr 1984. Am 18. Juni ist die Schauspielerin mit 92 Jahren gestorben.

Die französische Schauspielerin Anouk Aimée wurde mit Filmen von Federico Fellini, Jacques Demy und Claude Lelouch weltberühmt. Jetzt ist sie mit 92 Jahren gestorben.

„Cécile? Niemand nennt mich mehr Cécile“, lacht Lola, als sie ihren alten Schulkameraden Roland in einer dieser überdachten Ladenpassagen trifft, die Walter Benjamin zum Symbol des Kapitalismus und seiner Verführungskünste erhoben hatte. Cécile ist jetzt Lola, die von allen begehrte Sängerin in einem Cabaret in der Hafenstadt Nantes, die sich von Matrosen aushalten lässt. Der unschuldige Begrüßungskuss für den verträumten Freund aus Jugendtagen hinterlässt Lippenstiftspuren – und schon ist es um ihn geschehen. Und ebenso um uns Kinogänger.

Anouk Aimée, die die langbeinige, noch in den Niederungen der Prostitution melancholisch-aristokratisch wirkende Schöne aus Jacques Demys „Lola“ (1961) verkörperte, trug ebenfalls einen erdachten Namen. Geboren wurde sie als Nicole Dreyfus, Tochter eines jüdischen Schauspielers und einer katholischen Mutter, in Paris. Das erste Mal änderte sie ihren Namen, um sich vorm Zugriff der okkupierenden Nazis zu schützen.

Das zweite Mal, um sich in ein Geschöpf der Zelluloidträume zu verwandeln: „Anouk“ lautete der Vorname ihrer ersten Rolle im Film „La Maison sous la mer“, da war sie erst 14 Jahre alt. Den Nachnamen „Aimée“ verlieh ihr der Dichter Jacques Prévert drei Jahre später, als er mit ihr an einem Marcel-Carné-Film arbeitete: „die Geliebte“, im Doppelsinn von begehrt und beliebt. Wie treffend.

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Als schönste Frau des französischen Kinos, zumindest für diejenigen, die keine Blondinen wie Catherine Deneuve oder Brigitte Bardot bevorzugen, spielte sie in Fellinis Meisterwerken „La Dolce Vita“ (1960) und „8½“ (1963) an der Seite von Marcello Mastroianni – zuerst eine lebensüberdrüssige Erbin, dann die Ehefrau, zu der Mastroianni als krisengeschüttelter Regisseur schließlich zurückkehrt.

Ihren größten Erfolg erlebte Anouk Aimée an der Seite von Jean-Louis Trintignant in „Ein Mann und eine Frau“

Sie spielte für Bernardo Bertolucci und Robert Aldrich, für Sidney Lumet und, viel später, für Robert Altman. Am eindrücklichsten aber wohl an der Seite von Jean-Louis Trintignant in Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“ (1966), der Wiederentdeckung der großen Romanze mit den Mitteln der Nouvelle Vague. Ein unvergesslicher Film, eine unvergessliche Schauspielerin. Eine Liebesgeschichte, so hinreißend, dass sie zwei Fortsetzungen fand.

Auch die Lola vom Hafen spielte Anouk Aimée noch ein zweites Mal. In Demys „Model Shop“ (1969) arbeitet sie in Los Angeles, posiert für erotische Fotos im Hinterzimmer eines Fotoladens. Und auch hier verzaubert und verändert sie das Leben des schwärmerischen Protagonisten. Und verschwindet wieder. Als der Lola ein letztes Mal anrufen will, erwischt er nur ihre Mitbewohnerin. Die Geheimnisvolle ist schon ausgezogen. „Ich wollte ihr nur sagen“, stammelt der junge Mann am Telefon, „dass ich sie liebe.“

Am Dienstag ist Anouk Aimée im Alter von 92 Jahren in Paris gestorben, schön und umschwärmt bis zuletzt.

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