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Zum Tod von CoolioVom „Gangsta’s Paradise“ bis nach Böblingen

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Coolio schreibt im Amtsgericht Böblingen Autogramme für Fans.

Los Angeles – Kein Track auf Coolios Solo-Debüt „It Takes a Thief“ kann die Welt auf seinen späteren Hit „Gangsta’s Paradise“ vorbereiten. Obwohl der junge Rapper, dessen Cornrows von seinem Schädel abstanden, als hätte er wider besseren Wissens mit den Fingern in die Steckdose gegriffen, seine Nische bereits hier gefunden hat.

Er ist der Gangbanger wider Willen, das lesefreudige, asthmatische Kind, das die Abende mit seiner alleinerziehenden Mutter und Brettspielen verbringt. Es ist ja nicht seine Schuld, dass er – wie so viele andere Hip-Hop-Größen: Ice Cube, Dr. Dre, Kendrick Lamar – ausgerechnet im kalifornischen Gangsterparadies Compton aufwachsen muss.

So kommt Coolio, bürgerlich Artis Ivey, schnell mit Crack und Kleinkriminalität in Berührung und mit der Polizei in Konflikt. Aber er zieht sich nach einer Jugendstrafe am eigenen Elektroschopf aus dem Sumpf, geht zur Freiwilligen Feuerwehr und findet Trost im christlichen Glauben.

In Dauerrotation auf MTV

Nach Lehrjahren im Viertel und bei der Rap-Crew WC and the Maad Circle unterschreibt Ivey bei Tommy Boy Records. Und mit „Fantastic Voyage“, dem ersten Track auf „It Takes a Thief“, gelingt ihm 1994 gleich der erste Erfolg, Nummer drei in den Billboard-Charts, Dauerrotation auf MTV.

Wie viele seiner Compton-Kollegen berichtet auch Coolio von Drogendeals und Drive-by-Shootings, doch ist er – darauf legt er stets großen Wert – kein Gangsta-Rapper, will meinen: Er weigert sich, das Ganovendasein zu glorifizieren, rühmt sich nicht mit Trotzstolz seiner Missetaten. Im Gegenteil: Er will nur möglichst schnell fort von seinen unguten Einflüssen.

Wenn Eskapismus kein Luxus ist

„Fantastic Voyage“ kommt, wie die meisten Tracks des Debüts, als fröhlich hüpfender Partytrack daher, aber er handelt von einem Leben, in dem Eskapismus kein Luxus sondern eine Notwendigkeit ist. Bloß raus hier und wenn man dabei ein bisschen Spaß am Strand haben kann, umso besser.

Lichtjahre liegen zwischen dieser fantastischen Reise und der klaustrophobischen Atmosphäre der Single, die Coolio im darauffolgenden Jahr zum Weltstar und One-Hit-Wonder zugleich macht. „Gangsta’s Paradise“ beginnt mit einer Zeile aus Psalm 23 (auf Deutsch: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal“), aber kein Stock und Stab können den Rapper trösten, hier herrscht nur noch Hoffnungslosigkeit, begleitet von ominösen Chören und Moll-Akkorden, die er Stevie Wonders 1976er-Song „Pasttime Paradise“ entliehen hat: „Ich schaue mir mein Leben an und stelle fest, dass nichts mehr übrig ist.“

Es gibt kein Entkommen aus diesem Paradies.

Wie Coolio Michelle Pfeiffers Film rettete

Den Song hat Coolio für den Film „Dangerous Minds“ geschrieben, in dem Michelle Pfeiffer als Ghetto-Lehrkraft mit Bob Dylan, Schokoriegeln und strenger Liebe afroamerikanische Jugendliche vor dem Absturz bewahrt. Es ist aber eher Coolios Song, der das fehlgeleitete Drama vom Absturz rettet. Ein Kritiker nannte „Gangsta’s Paradise“ das „desolateste Lied, das jemals die Pop-Single-Charts angeführt hat“, aber die Charts führt es weltweit an, von Norwegen bis Neuseeland.

Das Leben nach dem Hit wirkt wie das Satyrspiel zur großen Tragödie, jedenfalls von außen. Der Song inspiriert den Musikkomödianten „Weird Al“ Yankovic zu einer seiner lustigsten Parodien: „Amish Paradise“. Coolio selbst präsentiert sich auf seinem nächsten, natürlich „Gangsta’s Paradise“ benannten, Album als grüblerische Alternative zum Uzi-schwingenden Gangsta-Rapper. Mit dem leichtfüßigsten Song „1, 2, 3, 4 (Sumpin‘ New)“ gelingt ihm sogar noch ein Top-Ten-Hit.

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Aber der Erfolg von „Gangsta’s Paradise“ lässt sich einfach nicht wiederholen. Stattdessen macht Coolio in Deutschland Schlagzeilen, als er 1998 vor dem Böblinger Amtsgericht erscheinen muss. Laut Anklage hat er seiner Begleitband 40 Thieves dabei geholfen, Sportkleidung im Wert von 3500 Mark aus einer Boutique vor Ort zu entwenden. Die Rap-Crew hielt das für die angemessene Bezahlung nach einer Autogrammstunde. Journalisten aus der ganzen Welt reisen in die schwäbische Kleinstadt, es kommt zu Szenen, die in der Rückschau aus Donald Glovers surrealistischer Hip-Hop-Fernsehserie „Atlanta“ zu stammen scheinen. Coolio wird schließlich zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Was nichts ist, im Vergleich zum Auftritt in der von Arabella Kiesbauer moderierten ProSieben-Show „Comeback – Die große Chance“. Dort muss Coolio im Jahr 2004 gegen deutsche Schlagergangster wie Jürgen Drews, Gunter Gabriel und Markus („Ich will Spaß“) antreten. Als die Jury es wagt, ihn zu kritisieren, flippt der Rapper aus, nicht ganz zu Unrecht.

Frauentausch statt Charts-Erfolg

Tatsächlich veröffentlicht er weiterhin Alben, die finden nur keine Hörer mehr und so tingelt der Rapper durch die Reality-Show-Hölle, von „Big Brother“ bis zum „Frauentausch“. 2020, das haben wir nicht erfunden, bewirbt er sich um das Amt des amerikanischen Vizepräsidenten, als Mitkandidat der Pornodarstellerin Cherie DeVille.

Was alles nichts daran ändert, dass Coolio Rap-Geschichte geschrieben hat. Die 1990er gelten als Goldenes Zeitalter des Hip-Hop und „Gangsta’s Paradise“ war ein Riesenschritt in Richtung Mainstream und der heutigen kulturellen Dominanz des Genres.

Am Mittwoch wurde der 59-jährige Rapper im Bad eines Freundes in Los Angeles tot aufgefunden, als Todesursache wird ein Herzanfall vermutet.