„Cirque du Soleil Crystal“ kommt nach KölnWillst Du einen Schneeball werfen?
Köln – Zu den kleinen Wundern, die man hinter den Kulissen von „Cirque du Soleil Crystal“ entdeckt, gehört eine Schneeballmaschine. Schneller als jedes Winterwetter wirft der Apparat kalte Kugeln aus. Die wandern in einen kleinen Metalleimer, aus dem man sie rasch greift und auf die Zielscheibe wirft, die Nate Cooper rückwärts schlittschuhfahrend hochhält.
Oder man visiert direkt den Clown an, wie es sich für eine Schneeballschlacht gehört.„Lachen und Schmerz“, seufzt Cooper und wischt sich den schon geschmolzenen Treffer von der Latzhose. „Es ist immer beides möglich. Im Job, in der Liebe, im Schaugeschäft.“
Die leicht zerstäubenden Schneebälle tun freilich niemanden weh. Sie sind das Kommunikationsmittel, so viel charmanter als eine WhatsApp, mit dessen Hilfe Nate Cooper zu Beginn jeder Crystal-Aufführung Kontakt zum Publikum aufnimmt. Knapp 50 Schneebälle fliegen jeden Abend vom Eis auf die Tribüne, „mehr schafft ein einzelner Clown nicht“, manche finden auch den Weg zurück.
Cirque du Soleil wagt sich das erste Mal aufs Eis
Nach rund 60 verschiedenen Shows auf Bühnenbrettern und Kreuzfahrtschiffen, in Mehrzweckhallen und Wassertanks, oder hoch oben unterm Zirkuszelt, markiert das von Shana Carroll und Sebástien Soldevila entworfene Event „Cirque du Soleil Crystal“ das erste Mal, dass sich das kanadische Entertainment-Unternehmen – einst eine kleine Straßenkünstlertruppe mit einer großen zirzensischen Vision – aufs Eis wagt.
Nicht um den bekannten Eisrevuen Konkurrenz zu machen. Vielmehr versetzt „Crystal“ die Cirque-eigene Mischung aus Hochleistungs-Akrobatik und dichtem Geschichtenerzählen in ein kristallenes Reich. Mit ganz zauberhaften Ergebnissen: Unterm Schwung der Kufen bemerkt man kaum die fliegenden Wechsel zwischen Artistik und Eistanz – weil beide Hand in Hand der Coming-of-Age-Story des Mädchens Crystal folgen.
Das sucht nach der erwachsenen Frau, die in ihm steckt. Die ihr eigenes Schicksal schreiben wird, fern der engen Vorstellungen ihrer teilnahmslosen Familie: „Skate away from them all, find the one inside“, flüstert sich Crystal zu Anfang ein, bevor sie durch einen zugefrorenen Weiher bricht – ausgeklügelte Video-Projektionen, wie nie zuvor gesehen – und von der Hallendecke schwingend in Spiegelwelten stürzt, die in ihrem Inneren verborgen liegen.
Unter Crystals roter Perücke gleitet dann Stina Martini übers Eis, dreimalige österreichische Staatsmeisterin im Paarlaufen. Nach ihrer aktiven Zeit war die 29-Jährige sowohl in „Holiday on Ice“ als auch in „Disney on Ice“ zu sehen, für die Sat.1-Fernsehshow „Dancing on Ice“ führte sie ein deutsches Männermodell auf die glatte Oberfläche. Eine „Cirque du Soleil“-Produktion, sagt die Salzburgerin, sei aber nochmal etwas ganz anderes. Hier werde man auf höchstem Niveau behandelt und umsorgt. Dafür seien allerdings im Gegenzug auch die Leistungs-Ansprüche höher, „deswegen kommen die Leute ja schließlich“.
Akrobaten und Eisläufer tauschen Tricks aus
Vor allem jedoch schätzt Martini die völlig neue Erfahrung, mit Akrobaten zusammenzuarbeiten: „Wir tauschen unsere Tricks und Fähigkeiten gegenseitig aus. Sie helfen uns zum Beispiel bei Handständen, bei der Balance, wir ihnen beim Eislaufen.“ Manches habe anfangs lang gedauert, ihr fiel besonders die Jonglage schwer. Anderes wurde leichter: „Die akrobatischen Turner heben schon ganz anders als unsere Burschen, die sind viel stärker, die werfen dich einfach durch die Luft.“
Den nötigen Halt für ihre aufsehenerregenden Geschicklichkeits- und Kraftakte an Trapez und Stangen finden die Artisten mit Hilfe eingeschraubter Spikes an Schuhen und Handschuhen.
Wie man die verschiedenen Elemente unfallfrei verbindet, das war ein Lernprozess, berichtet Robert Tannion, der künstlerische Direktor der Produktion. „Wir mussten uns erst einmal das Risiko bewusst machen, das mit der höheren Geschwindigkeit der Show steigt: Die einen haben scharf geschliffene Kufen, die anderen Finger.“
Tannion ist im Norden Australiens geboren, Wintersportarten waren ihm fremd, seinen ersten Schnee hat er mit 18 Jahren in Europa gesehen. Dafür bringt er umso mehr Erfahrung mit aufwendigen, logistisch komplexen Shows mit. Das Endergebnis rechtfertige jede Mehrarbeit: „Das Eislaufen verleiht der Show ihrem Atem, füllt unsere Lungen noch einmal auf andere Weise an, als nur die Akrobatik das könnte.“
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Verbinden sich Verwegenheit und Eleganz besonders spektakulär, läuft man gar Gefahr, das Ausatmen völlig zu vergessen. Etwa, wenn Trickläufer in Eishockey-Trikots von aberwitzig steilen Rampen springen. „Das Spiel mit dem kontrollierten Risiko ist Teil unserer Kunstform“, sagt Tannion. „Aber auch für mich gibt es Momente, in denen ich gleichzeitig denke: »Ja, mach das !« und »Nein, tu das bloß nicht!«“
So haarsträubend solche Höhepunkte sind, so anrührend wirken andere Momente, etwa wenn Nate Cooper mit einer Straßenlaterne übers Eis tanzt, zärtlich wie Buster Keaton. So eine Show, sagt der Clown, müsse man wie den perfekten Schneeball formen, der die ideale Flugbahn findet, um das Publikum ins Herz zu treffen.
„Cirque de Soleil Crystal“ gastiert vom 19. bis zum 23. Oktober für sieben Termine in der Kölner Lanxess-Arena. Karten ab 60 Euro.