Der kanadische Gitarrist Robbie Robertson ist mit 80 Jahren gestorben. Mit The Band, Bob Dylan und Martin Scorsese schrieb er Geschichte. Eine Würdigung.
NachrufWie Robbie Robertson zusammen mit Bob Dylan das unheimliche Amerika erfand
Robbie Robertson wollte Musik schreiben, die der Zeit ihrer Entstehung enthoben ist. Oder, in seinen eigenen Worten, „die sich anfühlt, als hätte sie vor 50 Jahren geschrieben werden können, oder morgen, oder gestern, zeitvergessene Musik“.
Das klingt wie das genaue Gegenteil von Popmusik, aber selbstredend waren die Songs, die der Gitarrist Robertson für die Band komponierte, die nur The Band hieß, der genaue Ausdruck ihrer Zeit: Als 1968 das Band-Debüt „Music From Big Pink“ erschien, markierte es exakt den Moment, an dem die große Vorwärtsbewegung der 60er Jahre ihren Bruch erlebte: Die Oberflächenspannung konnte nicht mehr halten, die Welle brandete an die Küste des geheimnisvollen, unergründlichen Landes, von dem Robertsons Songs fortan erzählen sollten, das „alte, unheimliche Amerika“, wie es der Rock-Historiker Marcus Greil später nennen sollte.
Das Gitarrespiel hatte Robbie Robertson von seinen irokesischen Verwandten gelernt
Dabei war Robertson im kanadischen Toronto geboren worden. Sein leiblicher Vater, von dem er erst später erfuhr, war ein jüdischer Profi-Glücksspieler, seine Mutter eine Irokesin. Im nahe gelegenen „Six Nations of the Grand River“-Reservat, wo sie aufgewachsen war, lernte Robertson das Gitarrenspiel von seinen indigenen Verwandten. Das Radio weckte seine Liebe zum Rock’n’Roll und zum Rhythm and Blues. Mit 14 heuerte er bei seiner ersten Band an, in den Sommerferien arbeitete er für eine Karnevals-Freak-Show, darüber schrieb er später in „Life Is a Carnival“, auf dem vierten Album der Band.
Seine Band-Kollegen lernte er kennen, als ihn der Rock’n’Roll-Sänger Ronnie Hawkins einen Job als Roadie gab - bald darauf nahm Hawkins zwei seiner Songs auf und Robertson wurde zum neuen Bassisten und später Gitarristen der Hawks befördert. 1964 machten sich die Hawks selbstständig, sie hatten das Interesse am Rock’n’Roll verloren, so wie Bob Dylan, ungefähr zur selben Zeit, das Interesse an folkigen Protestsongs verloren hatte.
Der Barde lud Robertson ein, ihn live zu begleiten. Der wollte nicht ohne seine Band. Und so stellten sich die ehemaligen Hawks gemeinsam mit Dylan den Buhstürmen und „Judas“-Rufen, die dieser auf seiner ersten elektrischen Tour erntete. So etwas schweißt zusammen. Nach Dylans längst mythisch verklärten Motorradunfall zog man sich gemeinsam ins dörfliche Woodstock, nördlich von New York, zurück - und nahm im großen pinken Haus zuerst die berühmten Basement Tapes auf und anschließend das erste The-Band-Album. Unwillentlich hatten die Musiker ein neues Genre namens Americana begründet, ein staunender Blick auf einen Kontinent, der wunderlich geworden war und surreal.
Mitte der 1970er waren die Mitglieder der Band drogensüchtig und ausgelaugt, einzig der geschäftstüchtige Robertson hielt die Zügel in der Hand: Das von Martin Scorsese nicht nur abgefilmte, sondern akribisch geplante Abschiedskonzert, „The Last Waltz“, wurde zum Überraschungserfolg und zum Beginn einer innigen Freundschaft und jahrzehntelangen Arbeitsbeziehung zwischen dem Gitarristen und dem Regisseur, angefangen mit „Wie ein wilder Stier“ (1980).
Zuletzt hatte Robertson noch den Soundtrack für den kommenden Scorsese-Film, „Killers of the Flower Moon“, komponiert. Er handelt von den Verbrechen an amerikanischen Ureinwohner in Osage-County. Am Mittwoch ist Robbie Robertson im Alter von 80 Jahren nach langer Krankheit gestorben, für sein Begräbnis hat er um Spenden für das gelegenen „Six Nations of the Grand River“-Reservat gebeten.