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Nadia Kailouli über ihre Sea-Watch-Doku„Psychisches Leid lässt sich schwer abbilden“

Lesezeit 6 Minuten
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Nadia Kalouli

  1. Seit Anfang März verstärkt die 36-Jährige das Team des ARD-Mittagsmagazins. Eine lange Eingewöhnungszeit hatte sie aufgrund der Coronakrise nicht.
  2. Im Moment werde deutlich, wie unverzichtbar guter Journalismus sei, sagt Kailouli. Es sei wichtig und richtig, sich jetzt im Fernsehen voll auf die Epidemie und ihre Auswirkungen zu konzentrieren.
  3. Die Zeit, die sie für ihren Dokumentarfilm über Carola Rackete auf der Sea Watch 3 verbrachte, hat sich ihr eingeprägt: „Wir sind inzwischen blind geworden für die tragischen Momente.“ Ein Interview.

Frau Kailouli, Sie arbeiten für den NDR und verstärken seit Anfang März das ARD-Mittagsmagazin. Seitdem gibt es eigentlich nur noch ein Thema: Corona. Wie war für Sie der Start?

Ich durfte sozusagen gleich ins tiefe Wasser springen, besser kann man gar nicht einsteigen, so tragisch das Thema auch ist. Aber es blieb fast keine Zeit zum Nachdenken, für den Lernprozess. Ich komme nämlich nicht aus der aktuellen Berichterstattung, auch deswegen war es eine Herausforderung für mich: Da werden kurzfristig Sendungspläne umgeworfen, das war sehr aufregend. Da habe ich auch gemerkt, wie wichtig die öffentlich-rechtlichen Medien sind, weil sie so schnell umplanen können. Es ist toll, dass die unterschiedlichen Häuser in den Ländern gute Stücke zuliefern, Stimmung abholen, mit Betroffenen reden.

Welche Rolle nehmen die Medien gerade in der Coronakrise ein, und was läuft Ihrer Meinung nach bisher gut, was nicht?

Wir sehen gerade ganz deutlich, wie unverzichtbar guter Journalismus ist. Das Bedürfnis der Bürger, informiert zu werden und zu bleiben, ist da. Nach all dem, was in den vergangenen zwei Jahren von populistischer Seite auf den Tisch gekommen ist – Fake News oder Versuche, die Pressefreiheit einzuschränken – sehen wir jetzt, wie wichtig es ist, dass Journalisten Zugänge haben und schnell und gewissenhaft arbeiten. Ich finde es gerade auch jetzt wichtig und richtig, monothematisch zu senden, auch wenn ich kein Fan von Panikmache bin und mit Leichtigkeit durchs Leben gehe. Um einen kritischen Punkt anzumerken: Ich finde es schade, dass Sendungen wie Maischberger, Markus Lanz und Maybrit Illner, die hochkarätige Gäste haben, Themen mit viel Ruhe behandeln können und Fragen diskutieren, die die ganze Bevölkerung bewegen, erst am späten Abend gesendet werden. Ich würde mir wünschen, dass man solche Formate ins Hauptprogramm holt und sich da nicht nur auf die Mediathek verlässt.

Für Ihren Dokumentarfilm über die „Sea Watch 3“ wurden sie mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, der am 27. März hätte verliehen werden sollen. Hatten Sie im Vorhinein mit so einer spektakulären Geschichte gerechnet?

Ich war vor drei Jahren schon mal für eine Reportage auf einer Seenotrettungsmission. Das Thema kam immer wieder auf den Tisch. Dieses Mal hatten wir gesehen, dass sich etwas verändert hat: Denn Ende 2018 fing es damit an, dass Rettungsschiffe Probleme hatten, einen Hafen zu finden. Das Wort „Kriminalisierung“ fiel immer wieder. Dass das so kommen würde, damit hätte aber niemand gerechnet. Auch nicht, dass Salvini (der damalige italienische Innenminister, Anm. d. Red.) genau zu der Zeit mit dem neuen Dekret auffährt.

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Carola Rackete wurde zum Symbol für zivilen Ungehorsam, weil Sie sich Italiens Dekret widersetzt und in Lampedusa angelegt hat. In der Doku wirkt sie sehr vernünftig. Sie bewahrt die Ruhe.Wie haben Sie sie als Mensch und Kapitänin erlebt?

Genau so, wie Sie das geschildert haben. Mein Kollege und ich haben uns immer wieder gefragt: Sind wir ihr jetzt eigentlich nahegekommen? Das sind wir nicht. Und das hing nicht damit zusammen, dass sie Carola Rackete ist, sondern damit, dass sie Kapitänin eines Schiffes ist. Auf einem Schiff herrschen andere Hierarchien. Sie hat nicht in erster Linie als sie selbst gehandelt, glaube ich, sondern als Kapitänin. Es gab nicht diese Momente, wo die Kamera aus war und sie sich dann anders verhalten hätte. Sie hat sehr gewissenhaft gearbeitet und strenge Regeln befolgt. Wenn man bei Dunkelheit an Deck gefilmt wurde, durfte kein Licht an sein, was schwer für einen Kameramann ist. Auch in Ruhezeiten hat sie nicht etwa rumgeblödelt. Was uns natürlich total beeindruckt hat, war dieser bürokratische Akt. Nach jedem Polizeibesuch und jedem Tag mussten diszipliniert Berichte und E-Mails geschrieben werden.

Unmittelbar nach der Rettung sieht man, wie die Menschen sich freuen. Später kippt die Stimmung, Lethargie macht sich breit. Wie haben Sie diesen Stimmungswandel erlebt?

Dieser Moment, als die Menschen gefeiert haben, das können wir uns nicht vorstellen: wie es ist, wenn man aus tragischen Missständen kommt, die in Libyen herrschen, und man sich nun in Sicherheit weiß. Und es überhaupt das erste Mal seit Monaten ist, dass keiner eine Waffe auf mich richten wird und mir nichts passiert, dann muss das ein ungemein großes Glücksgefühl sein. Psychisches Leid lässt sich schwer abbilden. Wir werden oft gefragt, wie tragisch es wirklich war. Das waren Menschen, die schlimme psychische Verletzungen haben, ihre Liebsten verloren haben. Sie mussten sich an den Zustand gewöhnen, dass sie wieder ihre Rechte haben. Das heißt, dass sie womöglich Dinge erst einmal geschehen lassen. Die Frage, was nun mit ihnen passiert, kam erst spät auf. Zwei Dixi-Klos auf dem Schiff, kaum Gelegenheit zu duschen, weil das Wasser knapp ist, so etwas lässt sich nicht gut abbilden. Wir sind inzwischen blind geworden für die tragischen Momente.

Am Ende, als das Boot schließlich anlegte, zeigen Sie bewegende Bilder der Erschöpfung der Migranten. Was haben Sie da empfunden?

Das war ein Wechselbad der Gefühle, auch für uns Journalisten. Wir haben drei Tage vor Anlegen sehr viel Berichterstattung für die ARD-Häuser und Radiostationen gemacht. Wir wurden sozusagen von zwei kleinen Reportern zu Korrespondenten. Als wir am Hafen angekommen sind, waren wir 28 Stunden wach. Auch wir mussten das Schiff verlassen, als die Flüchtlinge das Schiff verlassen haben. Und als Carola Rackete verhaftet wurde, war es auch heftig für uns. Damit hatten wir nicht gerechnet. Allein die Tatsache, dass man drei Wochen das erste Mal Land sieht, ist eine unbeschreibliche Emotion. Wir hatten sehr viele Anfragen an dem Tag, haben uns aber beide entschieden, dass wir sie nicht annehmen können, weil wir übermüdet waren. Wir hätten keine sachliche Berichterstattung machen können. Unser Material wurde von der Polizei beschlagnahmt, zum Glück hatten wir noch eine Speicherkarte.

Derzeit wird die eskalierte Flüchtlingssituation an der griechisch-türkischen Grenze corona-bedingt nur wenig thematisiert. Jetzt sind sogar die EU-Außengrenzen offiziell zu.

Für Journalisten ist es gerade nicht einfach, ausgiebig zu berichten. Ausgangssperren treffen eben jeden. Als ich vor zwei Wochen beim Mittagsmagazin angefangen habe, habe ich das Thema der Außengrenzen angebracht. Aber den Journalisten ist es vor Ort kaum möglich, nah dran zu sein und gerade für ein Medium wie das Fernsehen ist es schwierig, wenn es keine Bilder gibt.

Sie stammen aus der Nähe von Köln, aus Wermelskirchen, leben aber in Hamburg. Gibt es etwas was Sie am Rheinland oder an Köln vermissen?

Ich habe mein erstes Schulpraktikum in Köln gemacht. Jeden Morgen bin ich früh aufgestanden, um mit dem 260er-Bus nach Köln zu fahren. Später habe ich beim WDR gearbeitet bis Ende 20. Köln und NRW werden für mich immer Heimat bleiben. Durch meine offene Art, die ich dem Rheinland zuschreibe, hatte ich es in Hamburg sehr leicht und ich bin ein gern gesehener Gast auf Parties (lacht). Meine Familie wohnt auch noch da. Bei mir um die Ecke gibt es eine Kölschkneipe – ich bin gut aufgehoben.

Zur Person

Nadia Kailouli wurde 1983 in Wermelskirchen geboren. Ihre ersten öffentlichen Auftritte hatte sie im Studio Mittelfranken Süd. Mittlerweile arbeitet Kailouli für die „Panorama“-Redaktion des NDR und ist Teil von „STRG_F“, einem Youtube-Format von ARD und ZDF. Seit März ist sie eine der Moderatorinnen des ARD-„Mittagsmagazin“. (ksta)