Corona-Journalismus„Fast nichts ist alternativlos“
- Für den Medienwissenschaftler Klaus Meier ist guter Journalismus in der Coronakrise eine Gratwanderung.
- Einerseits muss man gegenüber Politikern und Experten kritisch bleiben. Andererseits sollte man die Menschen nicht noch mehr verunsichern.
- Dass die Wegnahme grundlegender Freiheitsrechte in Kommentaren größtenteils gefeiert wurde, findet er bedenklich.
- Guter Journalismus müsse immer auch nach den Alternativen fragen.
Köln – Herr Meier, wie bewerten Sie, dass Journalisten in diesen Zeiten zu systemrelevanten Zeitgenossen erklärt werden?
Klaus Meier: Die Journalismusforschung weist schon lange darauf hin, dass Journalismus gerade im Zeitalter von Fake News extrem wichtig ist für die Demokratie. Für eine demokratische Gesellschaft ist eine unabhängige Öffentlichkeit immer entscheidend. Aber dass dieser Status nun eigens mit dem Begriff „systemrelevant“ geadelt wird – das ist neu. Das galt ja bislang nur für die Großbanken in der Finanzkrise und eben jetzt für die Gesundheitsberufe in Zeiten der Epidemie.
Was ist gerade in diesen Zeiten ein Merkmal für guten, seriösen Journalismus?
Wir erleben wie unterm Brennglas jetzt sehr deutlich, vor welchen Herausforderungen Journalismus immer steht. Journalismus muss auf einem Grat zwischen zwei Polen wandern: Einerseits braucht es die kritische Distanz zur Politik und anderen mächtigen Akteuren. Das sind momentan sehr stark die Mediziner, die Virologen – da gilt es, auf Unsicherheiten hinzuweisen, auf die Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnisse. Und auf die Multioptionalität von Politik: Journalismus muss deutlich machen, dass fast nichts eindeutig und „alternativlos“ ist.
Und der andere Pol?
Auf der anderen Seite steht die ethische Verpflichtung, an die Folgen zu denken. Die Darstellung von Vielfalt und wissenschaftlicher Unsicherheit erzeugt Angst und Panik bei den Menschen. Gerade die Fernsehberichterstattung in den letzten Wochen fühlte sich offensichtlich dieser Verantwortungsethik verpflichtet und vermittelte weitgehend distanzlos, dass die Entscheidungen der Politik alternativlos sind, dass wir ihnen unbedingt zu folgen haben, weil andernfalls schlimme Dinge geschehen könnten. Es sollte vermieden werden, dass die Gefahr, die vom Virus ausgeht, verharmlost wird. Die Wegnahme grundlegender Freiheitsrechte wurde in Kommentaren größtenteils gefeiert oder noch mehr davon gefordert. Diese Gratwanderung zwischen einerseits kritischer Distanz und andererseits der Vermittlung politischer Entscheidungen aus berechtigter Sorge hinzubekommen, ist angesichts der Situation extrem schwierig, ist aber auch immer eine grundsätzliche Herausforderung für den Journalismus.
Um noch einmal auf die Bedeutung von Wissenschaftlern zurückzukommen – sie sind nun Autoritäten. Wir als Journalisten sind in den seltensten Fällen naturwissenschaftlich oder medizinisch ausgebildet. Haben wir da nicht ein Kompetenzdefizit?
Ich denke, Journalisten haben hier auch einen Kompetenz-Vorteil. Sie sind unabhängige Beobachter, deren oberster Grundsatz lautet: Recherchiere! Traue nie einer einzigen Quelle! Hinzu kommt – und dies ist Praxis unter Wissenschaftsjournalisten – dass man aktuelle medizinische Studien selbst liest. Dieses Nachfragen, das vielfältige Recherchieren bei mehreren wissenschaftlichen Quellen, das ist gefragt. Um es auf den Punkt zu bringen: „Follow the Science!“ – aber genauso gilt: „Don’t blindly follow a single Scientist!“
Eine zu einseitige Medienrealität weckt Skepsis
Was können wir tun, die Brisanz der Situation klar zu machen, ohne die Mediennutzer zu verschrecken?
Gerade das Fernsehen verfolgt den Ansatz, Panik zu vermeiden, indem man betont, wie richtig es ist, was die Politik macht. Das geht sicherlich bei großer Bedrohung kurzfristig ganz gut. Andererseits könnte man aber sagen, dass gerade diese Form der Berichterstattung zumindest mittelfristig Angst und Unsicherheit erzeugt, weil die Menschen in einer Demokratie gelernt haben skeptisch zu sein. Gerade was die Beschränkung der Freiheitsrechte betrifft. Ich denke, guter Journalismus muss die Politik immer wieder vor sich hertreiben, und zwar nicht dem Sinne, dass sie noch zu schärferen Maßnahmen greifen soll, sondern, indem man zum Beispiel nach den Ausstiegsszenarien fragt: Wann kehren wir zur Normalität zurück, wovon machen wir das abhängig? Nur von den Fallzahlen? Auch vom Ausmaß der Nebenwirkungen sozialer Isolation? Diese Fragen müssten gestellt werden. Wenn sie seriös recherchiert und nicht sensationalistisch dargestellt werden, tragen sie zur Sicherheit bei.
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Wenn man ins Fernsehen schaut, gibt es unzählige Sondersendungen zu Covid 19, und ich will uns Zeitungen gar nicht auslassen – auch wir füllen viele Seiten mit dem Thema. Finden Sie, das ist zu viel?
Ich denke, man kann sich gar nicht beschränken, weil die Menschen zu diesem Thema alles wissen wollen. Wenn überhaupt, hätten sich Journalisten vielleicht am Anfang etwas zurücknehmen müssen – nicht jede neue Zahl musste groß mit einer Schlagzeile bedacht werden. Jetzt bekommt man die Zahnpasta nicht mehr die Tube zurück. Doch auch in diesem Fall gilt die journalistische Grundregel, dass man möglichst vielfältig berichten sollte. Es geht zum Beispiel auch darum, frühzeitig über die Folgen der sozialen Isolation und der massiven Beschränkungen zu berichten, zum Beispiel über Menschen zu berichten, die unter psychischen Erkrankungen leiden, oder auch über die grundsätzlichen Schwächen unseres Gesundheitssystems. Ich beobachte, dass es vor allem im Lokaljournalismus in dieser Hinsicht gute Ansätze gibt.
Weil der näher dran ist?
Exakt. Näher an den Leuten, vielfältiger, in allen Bereichen präsent und nicht nur als Mikrofonhalter für Politiker und Virologen unterwegs.
Wir haben bereits über Fake News gesprochen. Was treibt Menschen eigentlich, Falschmeldungen zu verbreiten?
Das hat vielfältige Gründe. Ein Aspekt ist sicher, dass eine zu einseitige Medienrealität Skepsis bei vielen Menschen weckt und letztlich auch die Suche nach alternativen Informationsangeboten – dann wird man empfänglich für Verschwörungstheorien. Was wir auch erleben, ist die Verschiebung der Koordinatensysteme in der Hinsicht, dass Fake News bisher vornehmlich aus einer Richtung kamen, nämlich sehr stark aus einer rechtsnationalen Haltung heraus, aus Angst vor dem Fremden. Jetzt kommen Verschwörungstheorien aus allen möglichen Ecken, zum Beispiel auch von Gegnern der Schulmedizin. Ein ziemliches Durcheinander, so dass die Welt nicht mehr so schwarz-weiß wie sonst ist.
Zur Person
Klaus Meier ist seit 2011 Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt - davor war er an der Technischen Universität Dortmund und der Hochschule Darmstadt. Meier ist Autor und Herausgeber verschiedener Lehrbücher zur Journalistik. Er studierte Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Philosophie und arbeitete auch als Journalist.