Menschliche VerwüstungWas wir von der ersten Pandemie lernen können
- Eine weltweite Seuche leitete den Untergang des Römischen Reiches ein. Heute können wir davon lernen.
- Die Historikerin Kyle Harper hat ein faszinierendes Buch darüber geschrieben.
- Wir fassen das Wichtigste zusammen.
Der Untergang kam nicht von heute auf morgen. Es dauert lange, bis Throne bersten und Reiche zersplittern. Der Untergang des Römischen Reiches war so ein Fall. Und die Hintergründe des Zerfalls Roms sind gerade für die Gegenwart aktueller denn je.
Es setzte ein langer politischer und ökonomischer Prozess ein, der dazu führte, dass die urbanisierte und vernetzte politische Einheit des 2. Jahrhunderts sich veränderte, bis aus ihr im 7. Jahrhundert eine zersplitterte, agrarische und wirtschaftlich geschwächte Staatengruppe wurde. Doch wie kam es dazu? Der Historiker Kyle Harper erläutert in seinem Buch „Fatum“ (C.H. Beck), welche Einflüsse zum Zerfall des Riesenreiches geführt haben. Auf dem Höhepunkt der römischen Macht, erklärt er, die er zwischen 100 vor Christus bis 200 nach Christus datiert, sei das Klima relativ stabil gewesen. Im Schnitt sei es sogar wärmer und in Teilen Südeuropas feuchter gewesen als im übrigen Holozän, sagt Harper. Das Holozän umfasst den Zeitraum der vergangenen 12 000 Jahre.
Harper sagt: „Das Bild wird komplexer, wenn wir Klimawandel und Pandemien mit einbeziehen.“ Bei einem wärmeren Klima geht es den Menschen besser, die Ernten fallen größer aus, die Landwirtschaft kann auch in höher gelegenen Gegenden betrieben werden, was besonders für Italien gilt.
Die Forschung hat mit Hilfe von Hinweisen aus Eisbohrkernen und in Baumringen oder von Sedimentablagerungen in Höhlen und am Meeresboden wichtige Daten sammeln können. Sie fügen sich in Bezug auf das Römische Reich wie ein Puzzle zusammen. Heraus kommt eine Erzählung, wie das gesamte Reich instabil wurde und schließlich zerfiel. Zusammengefasst findet sie sich in Harpers soeben erschienen Buch, das zur Monografie der Stunde wird. Doch bevor Rom in die Krisenzeiten geriet, wurde zunächst das Klima instabil. Es mündete in die sogenannte Kleine Eiszeit der Spätantike.
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Die Daten, welche dies belegen, ließen sich auch an dem Fluss Nil sammeln. Harper nutzte diese Möglichkeit, in dem er sich anschaute, was die Aufzeichnungen über Ernten und den Getreidepreis verraten. Denn durch die Dokumente aus dieser Zeit lassen sich Rückschlüsse gewinnen, ob eine Flut gute oder schlechte Folgen für die Ernte hatte. Ägypten war über Jahrhundert die Kornkammer Europas. Bei knappen Ernten erhöhten sich die Preise, was wiederum in Dokumenten nachprüfbar ist. Plötzlich habe sich im Jahr 160 n. Chr. die Situation verschlechtert, erzählt Harper. Ein weiterer Faktor kam hinzu: eine Seuche. Damals starben die meisten Menschen an Infektionskrankheiten wie Malaria oder Typhos.
Zu der Zeit, als das Klima kippte, kam eine andere Seuche hinzu: die sogenannte Antoninische Pest. sie wurde nach dem Geschlecht von Kaiser Mark Aurel benannt. „Es war die erste Pandemie“, sagt Harper. Sie wütete auf mehreren Kontinenten.
Noch ist zwar nicht eindeutig belegt, welcher Erreger für die Seuche verantwortlich gewesen ist. Dennoch deutet alles auf eine Pocken-Epidemie hin. Auch sicher ist, dass die Pest importiert wurde, also von außerhalb in das römische Herrschaftsgebiet gelangte. Höchstwahrscheinlich waren es die Handelswege, über die der Erreger in die römischen Sphären hineingetragen wurde, mutmaßt Harper. Und für Rom war charakteristisch, dass es sich um die am dichtesten besiedelte Gesellschaft der Antike gehandelt hat. Ideale Bedingungen also für die Ausbreitung des Erregers. Wenn es sich um die Pocken gehandelt hat, dann trat in diesem Augenblick ein Virus auf die Weltbühne, das zu einem der größten Killer der Menschheitsgeschichte wurde.
Schneise der menschliche Verwüstung
Für Harper wie gesagt die erste Pandemie, denn ältere Quellen würden etwas vergleichbares nicht hergeben. Die Pocken zogen eine Schneise der menschlichen Verwüstung. Die Seuche wütete auf der Arabischen Halbinsel, dann in Ägypten, zog von dort aus in den Nahen Osten, trat in Griechenland, Italien, Zentraleuropa auf und zog bis an die Grenzen Westeuropas. Unzählige Menschen kamen ums Leben, da sie keine Abwehrmittel gegen die Pocken besaßen. Dass es viele Menschen gewesen sein müssen, die ihr Leben verloren hatten darauf deutet ein plötzlich eintretender Arbeitskräftemangel hin und die Tatsache, dass es den Römern immer schwerer fiel, ausreichend Soldaten für ihre Feldzüge bzw. die Grenzsicherung zu rekrutieren. Ein klarer Fall für den Historiker: die Bevölkerung war geschrumpft. Es gab weitere Plagen, die auf die erste folgten.
Die Geschichtswissenschaft weiß nicht viel über sie.In Ägypten kam die Hälfte der Bevölkerung bei der Cyprianischen Pest ums Leben. Anders als heute waren die Menschen den Erregern schutzlos ausgeliefert, sie hatten wenig Kenntnisse über die Erreger bzw. gar keine. Sie glaubten, dass es sich um eine Strafe zorniger Götter handeln würde.
Ausgerechnet Apollon soll verärgert gewesen sein, jener Gott, dessen Antlitz sich in heutigen Buddha-Bildnissen widerspiegelt. Die Priester eines Apollontempels gaben die Warnung aus, dass die Menschen sich zur Begrüßung nicht mehr küssen sollten. Gewisse Schlüsse hatten sie also aus der Krankheit gezogen.
Obwohl die Historiker viel weniger über die Cyprianische Pest des 3. Jahrhunderts wissen als von der Pocken-Epidemie, bildete diese wohl der Anfang vom Ende des Römischen Reiches. Im Jahr 410 wurde Rom von den Goten geplündert, die Kraft des Reiches war ermattet, obwohl es noch Jahrhunderte weiterbestehen sollte, vor allem als Oströmisches Reich. Die Krise beinhaltete auch Klimaveränderungen. Besonders unter Kaiser Justinian in den 540er Jahren versuchte das Reich, wieder zu alter Stärke zu finden. Er eroberte als byzantinischer Herrscher Teile des Westens wieder zurück und schuf noch einmal die große Einheit des politischen Kolosses. Doch sein Handeln war besonders tragisch. Denn indem er die Größe Roms wiederherstellte, sorgte er zugleich für seinen Untergang. Denn durch die Truppenbewegungen und die Menschen, die ihre Orte durch Kämpfe verließen, wurden die Erreger der Beulenpest durch das ganze Reich getrieben. Es ist der Beginn einer Pandemie, die in den nächsten beiden Jahrhunderten alle 15 bis 20 Jahre erneut zuschlagen sollte. Die Bevölkerung schrumpft immer weiter. Zeitgleich kommt es zu einem anderen Phänomen: die besagte Kleine Eiszeit beginnt.
Vulkanausbrüche als Faktor
Möglicherweise waren es eine Reihe von Vulkanausbrüchen, die zu der Abkühlung der Erde führten. Im Jahr 536 soll die Sonne für ein Jahr lang nur gedimmt auf die Erde geschienen haben. Von 540 bis ins 7. Jahrhundert wurde der kälteste Abschnitt im gesamten Holozän festgestellt. Ein bis zwei Grad hatte sich die Temperatur im Durchschnitt abgekühlt. Ein drastischer Einschnitt, wenngleich kleiner als das, was uns in der Zukunft bevorsteht.Für die Römer hatte es gravierende Folgen. Neben der Dezimierung der Bevölkerung durch die Pest fielen den Ernteerträge schlechter aus im Vergleich zu den wärmeren Zeiten, als Rom prosperierte.Allein durch Veränderungen der natürlichen Rahmenbedingungen hatte sich quasi hinter dem Rücken der Bevölkerung und der Herrscher Roms etwas vollzogen, was sie nicht steuern konnten. Die Bedingungen für die Existenz des Riesenreiches waren andere geworden.
Kyle Harper: „Fatum: Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches“, erschienen im Verlag C.H. Beck. 567 Seiten, 32 Euro.