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Fake News über CoronaWenn „Poldis Mutter“ Lügen verbreitet

Lesezeit 8 Minuten
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Über das Coronavirus werden massenhaft Fake News verbreitet. Wer dahinter steckt, ist meistens unklar.

  1. Eine Frau, die sich „die Mama von Poldi“ nennt, verbreitet in einer Sprachnachricht Forschungsergebnisse, die es nicht gibt.
  2. Der Fake verbreitet sich massenhaft in deutschen WhatsApp-Chats. Nur eine von vielen Falschbehauptungen in den Sozialen Medien rund um das Coronavirus.
  3. Manche der Lügen können für Nutzer richtig gefährlich werden. Eine Übersicht.

Köln – Poldis Mama verbreitet Lügen. Zumindest nennt sich die unbekannte Frau selbst so, die da quasselt, in einer Sprachnachricht, während der vergangenen Tage massenhaft auf Whatsapp weitergeleitet. Darin erzählt „Elisabeth, die Mama von Poldi“, sie habe eine Freundin an der Wiener Uniklinik. Dort sei „so ein bisschen Forschung betrieben“ und herausgefunden worden: Die Einnahme des Schmerzmittels Ibuprofen beschleunige die Vermehrung von Coronaviren.

Stimmt nicht. Die Sprachnachricht ist ein Fake. Mittlerweile der wohl bekannteste rund um das Coronavirus. Die Medizinische Universität Wien schrieb bereits am vergangenen Samstag auf Twitter: Die Nachrichten zu einem Zusammenhang zwischen Ibuprofen und Covid-19, die in Verbindung mit der Hochschule stünden, seien gänzlich ausgedacht. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte klar: Es gibt bislang, weder aus Wien noch von sonst irgendeinem Forschungsinstitut, wissenschaftliche Belege darüber, ob die Einnahme von Ibuprofen den Verlauf einer Corona-Erkrankung beeinflusst.

Die Sprachnachricht aber verbreitet sich noch immer in den Chats der lahmgelegten Republik . „Weil die Dementi und Aufklärungen nicht mehr eine so große Aufmerksamkeit erzeugen wie die Fake-Nachricht selbst“, sagt Sozialpsychologin Nicole Krämer, die an der Universität Duisburg-Essen unter anderem zu Fake News forscht. Die Falschbehauptung erreicht mehr Menschen als die Richtigstellung. Weil die oft weniger spektakulär ist.

Seit Wochen schon kursieren in Sozialen Netzwerken hunderte Gerüchte, Halbwahrheiten und Falschinformationen über Krankheitsverlauf, Ursache und Heilmittel des Coronavirus. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte bereits im Februar: „Fake News verbreiten sich schneller und einfacher als dieses Virus – und sie sind genauso gefährlich.“ Die WHO hat mittlerweile ein eigenes Team, das Lügengeschichten aufspürt und korrigiert. Und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius forderte am Dienstag gar ein gesetzliches Verbot der Verbreitung von unwahren Behauptungen über die Versorgungslage der Bevölkerung, die medizinische Versorgung oder Ursache, Ansteckungswege, Diagnose und Therapie von Covid-19. „Fake News zur Versorgungslage in Zeiten der Coronakrise sind brandgefährlich“, sagte Pistorius dem „Spiegel“.

Eine Einordnung der bekanntesten Falschnachrichten:

Gesundheit: Auch Knoblauch hilft nicht

Die Diskussion um vermeintliche Negativeffekte von Ibuprofen ist in dieser Woche erneut aufgekommen, weil nun auch offizielle Stellen eine Warnung ausgesprochen haben. So wies der französische Gesundheitsminister Olivier Véran auf Twitter darauf hin, Entzündungshemmer könnten den Krankheitsverlauf verschlimmern. Ein Sprecher der WHO riet am Mittwoch von einer Einnahme von Ibuprofen ohne ärztlichen Rat bei einer Infektion ab.

Diese Warnungen beruhen allerdings – anders als in der Sprachnachricht dargestellt – auf rein theoretischen Überlegungen. So ist bekannt, dass Ibuprofen die Blutgerinnung hemmt, dadurch das Risiko für innere Blutungen bei manchen Krankheiten steigt. Beweise, dass das beim Coronavirus auch so ist, gibt es aber nicht.

„Die ursprünglich als Fake-News produzierte Geschichte wird durch die nachträgliche Warnung der Experten natürlich geadelt“, sagt Sozialpsychologin Krämer. Zwar sind die Informationen in der Sprachnachricht nachweislich ausgedacht oder arg überspitzt. Dennoch könnte laut Krämer nun bei vielen Nutzern das Gefühl aufkommen, dass vielleicht doch etwas dran war an der Geschichte um Poldis Mutter. „Im schlimmsten Fall schicken nun einige auch andere zweifelhafte Nachrichten weiter, weil sie denken: »Am Ende stimmt es doch wieder, war ja beim Ibuprofen auch so.«“

Auf Whatsapp kursieren zahlreiche weitere Meldungen über angebliche Mittel zum Schutz oder zur Heilung einer Infektion. So soll etwa der Verzehr von Knoblauch oder das Trinken von viel Wasser die Ansteckung verhindern. Beides ist zwar gesund, hat aber laut WHO keinen Einfluss auf das Virus.

Doch auch fragliche Mittel werden von manchen Stellen empfohlen. Ein indisches Ministerium rät unteranderem zur Behandlung der Krankheitssymptome mit homöopathischen Mitteln – obwohl die Wirkung wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist.

Von angebliche Wundermittel, die alles heilen sollen

Auf mehreren deutschen Webseiten wird zudem für eine Flüssigkeit namens MMS (Miracle Mineral Supplement) geworben, die das Virus „inaktivieren“ soll. Schon in der Vergangenheit wurde MMS im Internet als Heilmittel gegen HIV, Malaria und Krebs angepriesen. MMS besteht aus Chlordioxid, einem Desinfektionsmittel, mit dem sonst Kleidung gebleicht wird.

Walter Möbius, ehemaliger Chef der Abteilung für Innere Medizin am Bonner Johanniter-Krankenhaus und Mitglied im Expertenrat des „Kölner Stadt-Anzeiger“, verweist auf die Warnungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). „Hände weg von angeblichen Wundermitteln! Sie sind oft teuer, fast immer nutzlos und nicht selten gefährlich. So auch in diesem Fall“, sagt Möbius. Laut Verbraucherzentrale entstehe durch eine Einnahme „erhebliche Gesundheitsgefahr“. Nierenversagen könne die Folge sein, auch ein Todesfall sei bekannt.

Als simples Mittel, das Virus im Körper zu zerstören, wurde in verschiedenen Kettenbriefen auch das Trinken von heißem Wasser genannt. „Dieses Mal ist das Wuhan-Virus nicht hitzebeständig und wird bei einer Temperatur von 26 bis 27 Grad abgetötet“, heißt es da. „Völliger Quatsch!“, sagt Experte Möbius. Verhielte sich das Virus so wie behauptet, wäre es für den Menschen von vornherein unschädlich. Der menschliche Körper hat eine durchschnittliche Körpertemperatur von 37 Grad. Das Virus müsste also absterben, sobald es sich im Körper befindet. Die Aufnahme von heißem Wasser ändere überhaupt nichts. Der Körper gleicht den Temperatur-Unterschied aus.

Die WHO selbst listet auf ihrer Webseite weitere Mythen auf: Auch Impfungen gegen Lungenentzündungen oder heiße Bäder helfen demnach nicht. Es gibt bislang schlicht kein Heilmittel. Ärzte können lediglich die Symptome behandeln. Schutz vor einer Infektion bietet nur regelmäßiges Händewaschen.

Eigendiagnosen, die nicht funktionieren

Geht es nach den im Netz kursierenden Gerüchten, kann man das Virus erkennen, ohne einen Labortest gemacht zu haben. In einem Fall bezieht sich der Urheber einer Fake-News auf „Experten aus Taiwan“. Es genüge, etwa zehn Sekunden die Luft anzuhalten. Sollte man dabei nicht Husten müssen und ein „Engegefühl“ ausbleiben, sei man nicht infiziert. Das „Taiwan Fact-Check Center“ hat die Behauptung schon im Februar überprüft und als falsch bewertet. Auch das Bundesgesundheitsministerium hat bereits klargestellt: „Ein Schnelltest, mit dem eine Bestätigung der Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 eigenhändig durchgeführt werden kann, in etwa analog zu einem Schwangerschaftstest, existiert nicht.“

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Eine weitere Behauptung, die derzeit auf Whatsapp vermehrt weitergeleitet wird: „Wenn Sie eine laufende Nase und einen Auswurf mit einer Erkältung haben, können Sie keine neue Art von Coronavirus-Lungenentzündung sein“, da diese mit trockenem Husten und ohne laufende Nase einhergehe.

Abgesehen von der radebrechenden Grammatik, ist die Aussage auch inhaltlich zweifelhaft. Zwar ist Schnupfen tatsächlich nur selten Symptom einer Covid-19-Erkrankung. Aber weder bei Kindern noch bei Erwachsenen ist damit ausgeschlossen, dass zu einer simplen Erkältung nicht auch eine Corona-Infektion hinzugekommen ist oder hinzukommen kann. „Man nennt das eine Super-Infektion“, erklärt Möbius.

Wilde Verschwörungstheorien

Auch falsche Geschichten über Herkunft und Entstehung des Erregers werden von Rechten und Verschwörungstheoretikern verbreitet.

So veröffentlichte etwa der Pegida-Gründer Lutz Bachmann Anfang Februar auf Facebook ein Foto eines Hygiene-Sprays, auf dessen Flaschenbeschriftung angeblich schon 2016 eine Wirkung gegen Coronaviren versprochen wurde. Das Virus sei „also schon ewig bekannt“, schreibt Bachmann, er fragt, ob mit „dem Hype vielleicht von anderen Sachen abgelenkt werden“ soll.

Dass der Begriff „Coronaviren“ auf einer Flasche von 2016 auftaucht, ist nicht verwunderlich. Er beschreibt eine ganze Virusfamilie, die der Wissenschaft schon seit Jahren bekannt ist. Auch das Sars-Virus, das 2002 eine weltweite Pandemie auslöste, ist ein Coronavirus.

Unter Bachmanns Post wird von einem Nutzer eine weitere Verschwörungstheorie angerissen: Das Virus sei von Forschern gezüchtet. So schreibt der Mann: „Das Corona Virus ist ein Ableger vom Sars Virus und im Labor entstanden. Eigentlich als biologische Waffe (…)“ Wer das Virus erschaffen haben soll und wozu, darauf findet man auf rechten Portalen unterschiedliche Antworten. Mal sind es den kruden Weltbildern der Autoren zufolge die Großkonzerne, die mit einem Impfstoff die Menschheit versklaven wollen. Mal ist es der Staat Israel, der der Bevölkerung ihre Freiheitsrechte nehmen will. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen haben diese Erzählungen nichts zu tun.

Der Ursprung des Virus ist zwar noch nicht abschließend geklärt. Forscher gehen aber davon aus, dass es von einer bisher unbekannten Tierart auf den Menschen übergesprungen ist. Zum ersten Mal aufgetreten ist Covid-19 im Dezember des vergangenen Jahres in der chinesischen Stadt Wuhan. Genanalysen haben eine 88-prozentige Verwandtschaft mit einem Virus gezeigt, das seit längerer Zeit Fledermäuse befällt. Von ihnen soll der Erreger zunächst noch ein weiteres Tier befallen haben. Welches genau, wird aktuell untersucht. Über diesen Zwischenwirt aber könnte das Virus zum Menschen gekommen sein. Womöglich auf einem Wildtier- und Fischmarkt in Wuhan.

Ursprung unbekannt

Wer genau diese oder weitere Falschmeldungen anfertigt, ist in den meisten Fällen kaum auszumachen. Bei Fake News auf Webseiten sind die Hauptmotivation der Urheber laut Experten oft die Werbeeinnahmen, die sie per Click bekommen. Bei Bildern, Sprachnachrichten und Kettenbriefen hingegen kann über die Intention der Betrüger nur spekuliert werden. „Boshaftigkeit, kriminelle Energie, der Wille zur Manipulation der Demokratie. Könnte alles sein, wir wissen es nicht“, sagt Sozialpsychologin Nicole Krämer.

Gerade während einer Ausnahmesituation wie einer Pandemie seien die Menschen laut Krämer besonders anfällig für manipulierte Nachrichten. „Einerseits haben sie wegen der Nachrichtenflut kaum Kapazität, jede Meldung zu verifizieren“, sagt die Wissenschaftlerin. „Andererseits sind viele verunsichert. Sie suchen nach Antworten, die die Wissenschaft noch nicht geben kann.“ Wenn dann auch noch Bekannte, denen man vertraut, die gefälschten Meldungen weiterleiten, schaffe das zunächst Glaubwürdigkeit.

WhatsApp hat mittlerweile gehandelt und eine eigene Webseite geschaffen, auf dem Tipps zum Umgang mit dem Messenger in Pandemiezeiten gesammelt werden. Überdies sind unabhängige Portale wie etwa Mimikama oder die Webseite des Recherchenetzwerks Correctiv gute Anlaufstellen für zweifelnde Nutzer. Dort werden durchgehend Behauptungen aus dem Netz zur Corona-Pandemie zusammengetragen und Faktenchecks unterzogen.

„Dennoch beobachte ich bei einem Großteil der Bevölkerung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch ein großes Vertrauen in etablierte Medien, Politik und Institutionen“, sagt Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen. Seriöse Quellen würden hierzulande gerade in der aktuellen Krisenzeit umso mehr genutzt, um sich zu informieren.

Am vergangenen Sonntag etwa erreichte die Tagesschau 17 Millionen Zuschauer. Fast doppelt so viele wie durchschnittlich im Jahr 2018.