Köln – Frau Snoep, Ihr Amtsvorgänger als Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums, Klaus Schneider, hat Ihnen vorgeworfen, Sie würden die Wissenschaft durch aktivistische Museumsarbeit ausbremsen. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?
Nanette Snoep: Jeder darf seine Meinung haben. Aber die entscheidende Frage ist natürlich: Welcher Wissenschaft öffnen wir nun auch die Türen? Und wer produziert das Wissen? Wir sprechen heute von pluralem Wissen und pluraler Erinnerung und sehen die Geschichtsproduktion sehr kritisch. Am Rautenstrauch-Joest-Museum erweitern wir den Wissenschaftsbegriff, statt ihn einzuengen oder „auszubremsen“. Wir öffnen uns für neues Wissen und müssen uns als Institution hinterfragen. Das macht die Sache doch gerade so spannend. Ideen ändern sich, und wir passen uns an.
Europäische Forscher werden in Köln nicht ausgebremst
Sie arbeiten oft mit Gastkuratoren aus den Herkunftsländern zusammen.
Es geht um eine kooperative Wissensproduktion, in der wir mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Denkern und Kreativen ein gemeinsames Wissen erarbeiten. Das haben wir vor allem in der „Resist!“-Ausstellung gemacht. Plötzlich ist man damit konfrontiert, dass manches nicht so ist, wie wir es uns dachten.
Herr Schneider sieht den Dialog auf Augenhöhe zwischen europäischen Wissenschaftlern und deren Kollegen aus den Herkunftsländern in Gefahr, weil die europäische Ethnologie nach seinem Eindruck nicht mehr viel gelten darf.
Das sehe ich ganz anders. Wir haben am RJM viele Forschungsprojekte, etwa eine Kooperation mit der Universität Köln, der Universität Bremen und Wissenschaftlern vom afrikanischen Kontinent, wir lassen zu Wilhelm Joest, einem der Namensstifter unseres Museums, forschen, wir veranstalten Seminare mit der Universität Köln, es gibt Projekte mit den Universitäten in Bonn und Berlin. Insbesondere zur „Resist!“-Ausstellung kommen zahlreiche Anfragen von Studierenden und Ethnologen, die sich dafür interessieren, was wir am Museum tun. Das ist geradezu eine Explosion an Wissensproduktion. Also: Europäische Forscher werden in Köln nicht ausgebremst.
Herr Schneider hat konkret die Ausstellung „I Miss You“ zu den von britischen Kolonialtruppen verschleppten Benin-Bronzen angesprochen. Ihm fehlen dort Hinweise auf den historischen Hintergrund des Königreichs, das gelegentlich als Sklavenhalterregime umschrieben wird.
Bevor ich nach Köln kam, wurde unsere Benin-Sammlung so gut wie nicht erschlossen. In der „Resist!“-Ausstellung von 2019 haben wir erstmals gezeigt, wie viele Benin-Objekte wir besitzen, und zwar mit Hilfe der nigerianischen Kunsthistorikerin Peju Layiwola, die seit mehr als 25 Jahren zu den Benin-Bronzen forscht. Wir haben diese Werke erstmals ernst genommen und wissenschaftlich aufgearbeitet. In der „I Miss You“-Ausstellung geht es darum, was es bedeutet, etwas zu vermissen, sich an etwas zu erinnern und etwas zurückzugeben. Wir wollten eine Debatte über den Verlust des materiellen Erbes anstoßen und darüber, dass identitätsstiftende Kulturgüter aus Afrika in Köln aufbewahrt werden. Die Ausstellung ist zugleich ein Labor, ein Work-in-Progress, an dem sich Mitglieder der nigerianischen Gemeinschaft in NRW beteiligen können und sollen.
Kann man eine Benin-Ausstellung machen, ohne über den Charakter des Königreichs aufzuklären?
Ich finde es interessant, dass aus der sehr konservativen Ecke jetzt vor allem darüber geredet wird, dass das Königreich Benin mit Sklaven gehandelt hat, dass es ein „Blutstaat“ war. Das spielte vor einigen Jahren noch keine so große Rolle in der Benin-Debatte. Welches Königreich war denn nicht an der Sklaverei beteiligt, das kann gerade ich als Niederländerin sagen.
Haben Sie eine Theorie, warum das jetzt so prominent thematisiert wird?
Das sind Argumente, um Menschen in der Restitutionsfrage zu verunsichern. Ja, das Königreich Benin war am Sklavenhandel beteiligt. Aber 1897, als die Benin-Bronzen geraubt wurden, war die Sklaverei dort bereits lange abgeschafft, und die Bedeutung der Sklaverei für Benin wurde schon in der kolonialistischen Propagandaliteratur übertrieben. Dort hieß es, die Europäer würden die Afrikaner von ihren Sklavenhändlern befreien. So wurde unter anderen die Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents gerechtfertigt.
Aus den USA gibt es jetzt Stimmen, die von Nigeria, als Rechtsnachfolger Benins, Entschädigungen für die Sklaverei fordern.
Das wird in der Zukunft noch eine Rolle spielen im Gespräch zwischen den Nationen des globalen Südens und den Nachfahren versklavter Menschen in den USA und in Südamerika. In der Kolonialismus-Debatte gibt es viele interessante neue Themen. Wer kannte außerhalb der Fachwelt vor einigen Jahren Benin-City in Nigeria? Wer wusste etwas von der Verstrickung Deutschlands in den niederländischen Sklavenhandel? Diese unglaublich komplizierte Verflechtungsgeschichte wollen wir weiter thematisieren.
Wer wusste etwas von der Verstrickung Deutschlands in den niederländischen Sklavenhandel?
Die deutschen Benin-Bronzen sollen an Nigeria restituiert werden. Wann ist das für die Kölner Sammlung der Fall?
Wir sind Teil der Bundeskulturpolitik, aber am Ende entscheidet der Kölner Stadtrat, ob und wann die Benin-Bronzen zurückgehen. Gerade hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine entsprechende Abmachung unterzeichnet, wobei ein Drittel der Werke als Leihgaben in Berlin bleiben. Ich bin sehr gespannt, wann die Stadt Köln es ihr gleichtun wird.
Innerhalb Nigerias ist umstritten, wer genau die Rückgaben erhalten soll: der Staat oder das Königshaus.
Das liegt nicht mehr in unserer Verantwortung. Es ist an Nigeria, das zu klären, nicht an uns. Auch diese Debatte wird benutzt, um Verwirrung zu stiften, dabei arbeitet das Palastmuseum des Königshauses mit dem nigerianischen Museumsbund zusammen. Übrigens geschieht in der afrikanischen Museumswelt gerade sehr viel, gerade auch angestoßen durch Restitutionen aus europäischen Staaten. Da gibt es viele positive Entwicklungen, und wir als Stadt Köln können dazu etwas beitragen.