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Neue Graphic NovelWarum Daniel Clowes die 60er Jahre unheimlich geworden sind

Lesezeit 3 Minuten
"Monica" by Daniel Clowes

Eine Seite aus „Monica“ von Daniel Clowes

Der Autor Daniel Clowes („Ghost World“) verknüpft in „Monica“ Horror-Comics mit einer erschütternden Biografie.

Bevor Monicas Geschichte beginnt, fasst Daniel Clowes auf einer Doppelseite zusammen, was bisher geschah: Prokaryoten im Urschleim, die Saurier und ihr Ende im Meteoriteninferno, Urmenschen, Ägypter, Jesus am Kreuz, der Schwarze Tod, Kolumbus, Hamlet, rauchende Fabrikschlote, Gas im Schützengraben, Hitler, der Trinity-Test, Chuck Berry, Sputnik, JFK, die Beverly Hillbillies aus dem Fernsehen.

Clowes, Jahrgang 1961, gehört zusammen mit Charles Burns, Alison Bechdel, Chris Ware oder Adrian Tomine zur zweiten Generation amerikanischer Underground-Comic-Autoren. Mit der Verfilmung seiner Graphic Novel „Ghost World“ mit Scarlett Johansson wurde Clowes zum Primus dieser Gruppe, ein neuer Band von ihm ist ein literarisches Ereignis. In den USA wurde „Monica“ als Meisterwerk gefeiert.

In den USA wurde Daniel Clowes „Monica“ als Meisterwerk gefeiert

Blättern wir um, zum eigentlichen Anfang von „Monica“, sehen wir zwei US-Soldaten. Der eine, in Großaufnahme, zündet sich mit einem Zippo eine Zigarette an. „Was für ein Leben, oder, Johnny?“, fragt sein zynischer Kamerad im Profil. Aber Johnny hat dazu nichts zu sagen. Sein Gesicht ist leer, seine blauen Augen sehen nicht, was vor ihnen liegt. Er träumt, mitten im Dschungel, den amerikanischen Traum. „Ich will doch bloß ein ganz einfaches Leben“, bekennt er. „Penny heiraten, Kinder kriegen, ein Haus, einen Job.“ Der Wunsch bleibt ihm verwehrt, stattdessen bewahrheitet sich die apokalyptische Vision seines Waffenbruders: „Es regnet Feuer und Blut und die Erde tut sich auf.“

Allein: was hat das mit Monica zu tun? Bei erster Durchsicht scheint die Graphic Novel in neun unverbundene Kurzgeschichten zu zerfallen. In denen dekliniert Clowes sämtliche Groschenroman-Genres durch, für die Mitte des vergangenen Jahrhunderts der Verlag EC Comics berühmt und berüchtigt war, bevor die Zensoren zuschlugen: abgebrühte Kriegsgeschichten und schmachtende Romanzen, Science-Fiction und Horror.

Doch der Band reiht eben nicht nur Hommage an Hommage, selbst wenn es an unerklärlichen Vorfällen und satanischen Kulten nicht mangelt. Erzählt wird die Biografie von Monica, der Tochter jener Penny, die der simpel gestrickte Soldat Johnny zu heiraten gedachte. Doch die verliert sich im Chaos der 1960er, datet Künstler, Kiffer und Sektenführer, egoistische Arschlöcher allesamt, bis sie die Tochter bei den Großeltern zurücklässt: „Von da an lebte ich ein normales, glückliches und behütetes Leben“, erzählt die erwachsene Monica.

Eine Lüge – ihr Leben wird von der Suche nach ihrer unvollständigen Geschichte deformiert: „Dämonica“ tauft der Großvater die verwunschene Enkelin. Die kommuniziert mit dem Verstorbenen über ein Transistorradio mit Draht zum Jenseits. Oder hat sie sich das nur eingebildet? Nach einem Autounfall liegt sie länger im Koma, kann fortan ihren Erinnerungen nicht mehr trauen.

Daniel Clowes beschreibt, ähnlich wie Michel Houellebecq in seinen frühen Romanen, den Aufbruch der 60er als Horrorshow. Utopien enden als unerledigte Rechnungen, die Hippiekinder als geistige Waisen. Anders als Houellebecq treibt ihn diese Erfahrung nicht ins Reaktionäre: „Monica“ endet so rätselhaft, wie es begonnen hat. Doch mit jedem Wiederlesen tun sich neue Verbindungen auf, findet sich Sinn im Unheil: was für ein Leben, Johnny!

„Monica“ ist bei Reprodukt erschienen, 106 Seiten, 24 Euro