In „Liberty“ erzählen Julian Voloj und Jörg Hartmann von Amerikas großen Ideen und kleinlichen Spendern. Genau zur rechten Zeit.
Neuer ComicbandWie die Freiheitsstatue nach Amerika kam
Lady Liberty bleibt stumm und auch ihr Schöpfer, der elsässische Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi lehnt wortlos das Angebot ab, eine Rede zur Einweihung seiner Kolossalstatue zu halten. Die Worte, die bis heute mit der kupfernen Strahlenkranz-Trägerin assoziiert werden, sie stammen von der New Yorker Dichterin Emma Lazarus. Die ließ sich, nach anfänglichem Zögern, von Bartholdis größenwahnsinnigem Projekt zum Gedicht „The New Colossus“ inspirieren.
Darin spricht die Freiheitsstatue mit unbewegten Lippen: „Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen.“
Wie Lady Liberty zum Symbol für die Hoffnung der Einwanderer wurde
Ursprünglich sollte die Freiheitsstatue die französische-amerikanische Freundschaft und das transatlantische Ideal des Republikanismus feiern, aber Lazarus' Sonett verwandelte, in den Worten Paul Austers, „die Freiheit in eine aufnehmende Mutter, ein Symbol der Hoffnung für die Ausgestoßenen und Unterdrückten der Welt“.
Die Werte, für die sie seit knapp 140 Jahren im Hafen New Yorks die Fackel reckt, könnten kaum weiter von denen der kommenden zweiten Trump-Regierung sein, weshalb „Liberty“, der Comicband des Szenaristen Julian Voloj und des Zeichners und Aquarellisten Jörg Hartmann nun zur Unzeit erscheint – und damit genau richtig.
In ihrer Graphic Novel berichten Voloj und Hartmann von den Umwegen, die gegangen, den Hindernissen, die überwunden und den Niederlagen, die weggesteckt werden mussten, bis sich das Symbol des amerikanischen Versprechens endlich 93 Meter hoch auf Bedloe's Island aufrichten konnte. Es ist ein Sachcomic, der sich mit den Fakten zwar keine Freiheiten erlaubt, diese aber aus derart überraschenden Perspektiven und in so suggestiven Bildern präsentiert, dass er noch ganz andere Dinge zu erzählen weiß.
Man erfährt vom jungen Bildhauer Bartholdi, von seiner auf einer Ägyptenreise erweckten Begeisterung für monumentale Skulpturen, von der entscheidenden Begegnung mit dem Abolitionisten Édourd de Laboulaye, der 1865, nach dem gerade beendeten Bürgerkrieg, der befreundeten Nation ein Denkmal für ihre Unabhängigkeit schenken will. Wegen der starken historischen Verbindungen beider Länder, aber auch weil er im amerikanischen Demokratie-Projekt ein Leitbild für die Welt erkennt: Frankreich habe es versäumt, die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu institutionalisieren, es sollte sich an den USA orientieren.
Bartholdi, der eigentlich nichts über die États-Unis weiß und kaum Englisch spricht, schifft sich nach New York ein. Wir erleben die Stadt – „so seltsam anders, als er es sich vorgestellt hatte“ – und das weite Land dahinter durch seine Augen, es sind die eines Träumers, der mit aufgeschlagener Landkarte blindlings vor eine Kutsche läuft, der im gerade fertiggestellten Kapitol in Washington – auf dessen Balustrade er die Haltung der Skulptur demonstriert – und in der Independence Hall in Philadelphia vorstellig wird, der das Gewirr der Telegrafenmasten in Chicago ebenso bestaunt wie die einschüchternde Größe der Rocky Mountains und der kalifornischen Mammutbäume: Für diesen bewundernden Blick verzichtet Hartmann auf Umrisszeichnungen und hält ihn in Aquarellen fest.
Gustave Eiffel entwirft das Gerüst, das die Freiheitsstatue zusammenhält
„Das, mein lieber Pulitzer“, antwortet der deutschstämmige Zeitungsverleger Carl Schurz seinem Gehilfen auf dessen Frage nach dem kuriosen Besucher, „war ein Mann mit einem Traum.“ Der lässt sich nicht so einfach verwirklichen, wie der Bildhauer anfangs vermutet hatte. Er sammelt begeisterte Befürworter, Geldgeber sind sehr viel schwieriger aufzutreiben. Und die nüchtern wirtschaftenden Amerikaner sehen es gar nicht ein, warum sie sich an einem Geschenk finanziell beteiligen sollten.
Dabei steigen die Kosten stetig, eine derart gigantische Statue verlangt nach neuen technischen Lösungen – am Ende entwirft Gustave Eiffel die Innenstruktur, die die Kupferplatten der Freiheit zusammenhält. „Liberty“ hält auch einige Lektionen in erfolgreichen Marketing bereit: Der fackeltragende Arm der Statue wird auf der Weltausstellung zum hundertjährigen Bestehen der USA dem zahlenden Publikum als begehbare Attraktion dargeboten, ihr Kopf macht in Paris vorm Arc de Triomphe Station und schließlich muss Joseph Pulitzer, inzwischen selbst Besitzer einer Zeitung, unter seinen Lesern eine Spendenkampagne organisieren, als während des Sockelbaus die Mittel ausgehen: „Lasst uns den Sockel mit den Zehn-Cent-Stücken des Volkes aufbauen, nicht mit den erbettelten Dollars einiger weniger Reicher!“
Mehr als 20 Jahre sind von der Idee bis zur Einweihung vergangen und selbst die verläuft nicht ganz nach Plan. Doch am Ende weist Lady Liberty bis heute den „vom Sturme Getriebenen“ den Weg in Richtung Freiheit. Oder zumindest den Touristenscharen.
Jetzt, wo der Sockel der Demokratie immer mehr Bruchstellen aufweist, kann man aus Julian Volojs und Jörg Hartmanns Graphic Novel viel lernen. Zum Beispiel, dass zwischen hehren Idealen und deren praktischer Umsetzung kein gerader Weg verläuft, dass die Route ständig neu berechnet werden muss – und man eventuell ganz woanders ankommt, als man ursprünglich geplant hatte. „Liberty“ zeigt aber auch, welche Kraft eine träumerische Idee inmitten des politischen Klein-Kleins entwickeln kann.
Julian Voloj, Jörg Hartmann: „Liberty“, Splitter Verlag, 144 Seiten, 29,80 Euro