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Neue Kölner Klassik-CDsWarum Dorothee Oberlinger eine barocke Rarität ausgräbt

Lesezeit 5 Minuten
Dorothee Oberlinger schaut uns freundlich an.

Die Kölner Flötistin Dorothee Oberlinger widmet sich einer selten gespielten Komponistin des Barock.

Dorothee Oberlinger widmet sich einer Oper von Markgräfin Wilhelmine. Außerdem gibt es neue Einspielungen von Christoph Spering und Christoph Poppen.

Bei Bayreuth denken die meisten Musikfreunde wohl an Wagner. Das ist etwas einseitig, denn der nordfränkische Ort hat eine glanzvolle musikalische Vergangenheit lange vor dem Romantiker. Davon zeugt noch heute das opulente barocke Opernhaus – eines der wenigen gut erhaltenen Exemplare seiner Art. Bauherrin war Wilhelmine von Bayreuth, die Schwester Friedrichs des Großen. Der preußische Hof hatte sie standespolitisch weit unter Kurs und Wert an den Bayreuther Markgrafen „verkauft“. Die musikbegeisterte und einschlägig ausgebildete ehemalige Prinzessin mischte die Provinzresidenz kulturell mächtig auf, schrieb selbst Opernlibretti und komponierte auch.

Neue CD der Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger

Zwei Cavatinen aus ihrer Feder wurden in die opernhafte Festa teatrale „L’Huomo“ interpoliert, die der Münchner Vizekapellmeister Andrea Bernasconi 1754 auftragshalber ablieferte – auch diesmal auf ein ins Italienische übersetztes Textbuch der hocharistokratischen Kunstfreundin. Wir können das Werk jetzt in einer CD-Premiere (Label dhm) mit dem von der Kölnerin Dorothee Oberlinger geleiteten (und gegründeten) Originalklang-„Ensemble 1700“ hören. Ja, von wegen nur Blockflöte! Als Intendantin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci gräbt Oberlinger Opernraritäten des 18. Jahrhunderts aus (2022 war das eine Buffa von Giuseppe Scarlatti), die irgendwie einen Bezug zum preußischen Hof in Potsdam haben, und bringt sie mit musikwissenschaftlicher Unterstützung zur Wiederaufführung. Auch „L’Huomo“ erklang unter anderem beim Potsdamer Festival, während die Aufnahme für den Tonträger allerdings am Originalschauplatz vonstattenging, eben dem Bayreuther Opernhaus.

Oper „L’Huomo“, mit Cavatinen der Schwester von Friedrich dem Großen

„L’Huomo“ ist tatsächlich keine Oper im engeren Sinn, sondern ein für die Barockzeit typisches allegorisches Spiel, in dem unterschiedliche Kräfte um die Herrschaft über die menschliche Seele ringen. Die – mit Rezitativen, Fanfaren, Interludien, Balli – kleinteilig angelegte Partitur ist zweifellos abwechslungsreich und farbig; Hörner und Fagotte liefern ein intensives Kolorit, immer wieder kracht es, schlägt es ein, dass es eine Freude ist. Klar, Ensemble 1700 ist voll bei der Sache, und auch die Sänger (unter ihnen Philipp Mathmann, Francesca Benitez, Florian Götz und Anna Herbst), deren Performance Oberlinger als Maestra eines Blasinstruments atemtechnisch verständnisvoll zur Hilfe kommen dürfte, liefern eine gute Leistung ab. Eine gute, keine durchweg überragende, da gibt es auch ein paar unschöne Höhen und schlecht gestützte Phrasen. Und mitunter wird die geforderte vokale Virtuosität nicht vollends souverän abgeliefert. Trotzdem hört man gerne zu, zumal Drive und Vitalität der Einspielung die Bühne und ihre Präsenz zwar nicht ersetzen, aber sie doch mehr als nur erahnen lassen.

Dennoch: „Braucht“ es diese Aufnahme unbedingt? Auf diese Frage wird man zurückhaltend antworten müssen. Sicher ist allein musikgeschichtlich interessant, wie es damals in deutschen Landen abseits der Metropolen geklungen hat. Aber es hilft ja nichts: Bernasconis Musik, die zwischen Spätbarock und galantem Stil angesiedelt ist und an seinen deutschen Kollegen Hasse erinnert (der heute ebenfalls mehr oder weniger verschollen ist), kommt ungeachtet der genannten Vorzüge insgesamt über eine 2b-Qualität nicht hinaus. Man kann sie sich genau einmal anhören, dann sehnt man sich nach anderem.

Kirchenmusikdirektor Christoph Spering mit Bach-Interpretation

Zum Beispiel, um ungefähr in der Epoche zu bleiben, nach Bach. Das ist natürlich ein in jeder Hinsicht unfairer und auch abgeschmackter Vergleich, aber er zeigt drastisch, was am obersten Ende der Güteleiter immerhin möglich war. Und manches andere ist dann doch wohl zu Recht in der Versenkung verschwunden. Bach also, interpretiert vom Kölner Kirchenmusikdirektor Christoph Spering (der übrigens wie Dorothee Oberlinger aus Simmern im Hunsrück stammt) und seinen bewährten Ensembles Chorus Musicus Köln und das Neue Orchester.

Die neue drei CDs umfassende Einspielung (wiederum bei dhm) ist Sperings dritte diskografische (wie die Vorgänger anlässlich der jeweils 300 Jahre zurückliegenden Uraufführung entstandene) Befassung mit dem Choralkantatenjahrgang von 1724/25. Bach baut hier die jeweilige Komposition um einen in den Mittelpunkt gestellten Choral (Text und Melodie), aus dem erste und letzte Strophe „unverfälscht“ im Eingangschor und am Schluss erklingen. Die übrigen Strophen kommen mitunter in den Binnensätzen „dran“ – Bachs geniale Formfantasie kennt da keine Grenzen. Dabei sind etliche durchaus ungeläufige Werke zu hören – zu denen selbstredend nicht das berühmte BWV 1 mit dem einleitenden Chor „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ gehört.

Die Dominanz des jeweiligen Chorals ermöglicht es Spering, bei der Tempowahl dessen Puls für das komplette Werk geltend zu machen – was dazu führt, dass hier jedes Werk seine ganz und gar eigene „Tinta“ erhält. So schnell klingt da keine Kantate wie die andere. Die Interpretation ist gewohnt dicht und eindringlich, die Freude – etwa in dem Chor „Ich freue mich in dir“ – noch einen Tick beschwingter, als man es vielleicht kennt. Dafür klingt in dem Chor „Nimm von uns Herr, du treuer Gott“ die Chromatik so quälend wie an den finstersten Stellen der Matthäuspassion.

Der Chor ist in der Vorstellung der Polyphonie technisch und musikalisch tadellos, das Originalinstrumentarium klingt kernig und vital-aufgeraut, die Gesangssolisten sind allesamt meisterhafte Darsteller der Barockrhetorik. Wie der Bass Tobias Berndt an der Stelle „Und ihre Wut mit mir zum Abgrund eilt“ in einen voluminös hallenden Keller stürzt, das ist sehr eindrucksvoll. Nicht alles überzeugt freilich rundum: Warum zieht die Sopranistin Yeree Suh bei „Wie lieblich klingt es in den Ohren“ das „l“ so lasziv-affektiert in die Länge?

WDR Rundfunkchor und Kölner Kammerorchester mit den Mozart-Messen

Ihre Gesamtaufnahme der Mozart-Messen (bei Naxos) setzen der WDR Rundfunkchor und das Kölner Kammerorchester unter Christoph Poppen mit den Werken KV 167, 194 und 275 aus der mittleren Salzburger Zeit (1773 bis 1777) fort. Interessant ist hier zumal die sogenannte Trinitatis-Messe KV 167, weil sie nicht zum Typus der von Mozart in Salzburg gepflegten Missa brevis gehört, sondern, zumal im Credo, zu ausgedehnteren Dimensionen und reichem kontrapunktischem Leben findet. Musikalisch am überzeugendsten ist aber wohl die vom Meister selbst noch in seinem Todesjahr 1791 geschätzte B-Dur-Messe KV 275.

Die Aufnahme pflegt einen kultivierten Mozart-Stil, der nicht über die Stränge schlägt und immer wieder sorgfältige Detailarbeit zeitigt. Die wenig geforderten Solisten Carolina Ullrich, Elvira Bill, Patrick Grahl und Dominik Köninger überzeugen genauso wie das Orchester. Der klangschön agierende Chor kommt in der Polyphonie optimal heraus, im Ganzen scheint es aber etwas an Begeisterung, an Biss und Verve zu fehlen. Klar, diese Musik bereitet den Ausführenden keinerlei Probleme, sie feiern sie routiniert ab – aber muss man das unbedingt hören?