Der russische Pianist widmete einen ganzen Abend den Werken seines Landsmanns Sergej Rachmaninow. Unsere Kritik.
Kölner PhilharmonieAlexander Melnikov spielt Rachmaninow mit zirkusreifer Brillanz
Das magische Momentum des Konzerts ereignete sich womöglich erst in den Zugaben, zwei Sätzen aus Rachmaninows Préludes opus 32: Hier fand keine pianistische Exaltation mehr statt, sondern stille Versenkung; hier faszinierte der lyrische Augenblick, der sich indes bruchlos mit der strukturellen Mehrdimensionalität der Partitur, der Eigenständigkeit ihrer Stimmen verband. Zweifellos: Alexander Melnikov, KölnMusik-Porträtkünstler der laufenden Saison, die er jetzt mit einem Soloabend in der Philharmonie mehr oder weniger beschloss, ist tief eingetaucht in die Klangwelt seines Landsmannes – wobei sein Bekenntnis, an deren Herausforderungen beharrlich zu scheitern, kein kokettes Understatement ist, sondern von einer äußerst seriösen Selbstqual zeugt.
Viele Musikkenner verachten Rachmaninow für seine Kitschnähe
Es gehört zum guten Ton vieler tatsächlicher oder vermeintlicher Musikkenner, Rachmaninow zu verachten – für virtuose Überlast und zuckrige Kitschnähe bei gleichzeitiger Verweigerung von Modernität. Das pauschale Verdammungsurteil unterschlägt freilich, dass der Gescholtene zunächst einmal einfach ein guter Komponist war. Die kontrapunktische Finesse mit Kanon und Ostinato in den Variationen opus 22 über ein berühmtes Chopin-Prélude zum Beispiel ist vom Feinsten. Und sie klingt kaum nach Bach, sondern ist völlig in Rachmaninows Personalstil integriert. Wenn schon, dann denkt man als Zuhörer eher an Schumanns „Symphonische Etüden“.
Dennoch: Im Konzert geht das ein bisschen unter – und das, obwohl Melnikov nicht nur dem technischen Anspruch dieser Klavieristik in höchstem Maße gewachsen ist und mit einer fast unheimlichen, weil nie schwitzenden Präzisionsdisziplin zu Werke geht, sondern sich auch konsequent als Feind jeder wabernden Süßlichkeit präsentiert. Nein, da wird – auch in den Corelli-Variationen opus 42 und in den Études-Tableaux opus 39 – die Polyrhythmik im Sinne der erwähnten Mehrdimensionalität genau exekutiert, da werden die Stimmengewichte stets neu justiert; da traktiert Melnikov das Dies-Irae-Motiv mit überlegenem Klangsinn und großer Konsequenz, da setzt er Steigerungen und Zusammenbrüche, Aufschwünge und Erschöpfungen mit nie versiegender Kraft und genauer Dramaturgie ins Werk.
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So mag es am Ende dann doch an der – durch die Musik selbst nahegelegten – Dauerattacke auf den Flügel liegen, an der allzu offensiven Einforderung von zirkusreifer Brillanz, am Ersticken von Form und Kontur unter einem Zuviel an Ornament, wenn der Hörer emotional eigentümlich unberührt bleibt. Darüber wird er selbst auch deswegen unglücklich, weil sein Kopf ihm sagt, er habe hier eine überragende Kunstleistung anzuerkennen.
Vielleicht lag es an der Programmation: Ein Abend ausschließlich mit Rachmaninow – das zeugt von Melnikovs Sendungsbewusstsein in dieser Sache, beim Publikum aber führt es tendenziell zu Ermüdung und Erschlaffung. Wie wäre es gewesen, die Études-Tableaux zum Beispiel mit einer Serie von Chopin- oder Debussy-Préludes zu kombinieren? Gerade die Konfrontation mit Debussy hätte womöglich eine wenigstens punktuelle und darin überraschende Nähe des scheinbar Gegensätzlichen erweisen und damit Rachmaninow wirkungsvoll vom Odium einer reaktionären Romantik befreien können.