Zum 100. Todestag von Franz Kafka erzählen David Schalko und Daniel Kehlmann sein Leben in sechs Folgen. Zur besten Sendezeit in der ARD.
Mit vielen TV-Stars„Kafka“-Serie – Die ARD traut sich mal was
Franz Kafka näselt wie der Typ aus der Anti-Schuppen-Shampoo-Werbung („Ich wusste gar nicht, dass Sie Schuppen haben?“ „Hab ich auch nicht“). Man muss sich also erst einmal daran gewöhnen, wie Joel Basman in der Titelrolle der Mini-Serie „Kafka“ seine verrätselten Aperçus herauspresst: „Es gibt unendlich viel Hoffnung – aber nicht für uns“, schnupft Basman. Nach wenigen Minuten hat man die Schuppen vergessen und seine eigensinnige Intonierung akzeptiert.
Seine Verkörperung des Prager Versicherungskonzipisten umflort der Schein des Ikonischen. Und ist es nicht selbstverständlich, dass der Mensch, der die Albträume und Demütigungen des 20. Jahrhunderts so feinnervig vorformuliert hat, aus jeder möglichen Gesellschaft als etwas seltsam herausragt, ein scheues Wesen von einem anderen Stern?
Die Co-Produktion von ARD und ORF bringt Franz Kafka zu dessen 100. Todestag (am 3. Juni) an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zur besten Sendezeit auf den Bildschirm, allein diesen Umstand gilt es zu feiern. Die Anstalten haben dafür keinen Aufwand gescheut, sage und schreibe 13 Redakteure und Redakteurinnen betreuten die Serie, sie ist trotzdem geglückt.
Selbst winzigste Nebenrollen sind in „Kafka“ prominent besetzt
Verschwenderisch auch das Casting: selbst winzigste Nebenrollen sind, wie in Christopher Nolans „Oppenheimer“, prominent besetzt. Da darf Charly Hübner als Ernst Rowohlt im Wirtshaus von den Kosten des Verlagsgeschäfts grummeln, Lars Eidinger als Rainer Maria Rilke den verdutzten Kafka in charakteristischer Exaltiertheit für seine Erzählung „Der Heizer“ loben – und war das nicht gerade Katharina Thalbach, die als Berliner Zimmerwirtin nach „Ruhe“ schrie? Am effektivsten ist dabei vielleicht der Kurzauftritt von Verena Altenberger: Die ehemalige Salzburger Buhlschaft spielt Robert Musil in Drag.
Regisseur David Schalko, seit seinem schwarzhumorigen Meisterwerk „Braunschlag“ (2012) Spezialist für verschroben-abgründiges Fernsehschaffen, hat das Biopic in sechs Teilen gemeinsam mit dem Bestseller-Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“, „Lichtspiel“) entwickelt. Der wiederum konnte sich als Drehbuchautor nicht nur auf die dreibändige Kafka-Biografie von Reiner Stach stützen, sondern auch auf dessen Beratung vor Ort, ja man räumte ihm sogar Veto-Recht ein.
Weshalb „Kafka“ denn auch zum größten Teil ohne Biopic-Klischees auskommt. Schalko und Kehlmann nutzen das serielle Format, um mit jeder Folge neu anzusetzen. Immer wieder fragt sich der von Michael Maertens gesprochene Erzähler, ob man nicht anders anfangen müsste, wolle man Kafkas kurzes Leben zu fassen kriegen, immer wieder beleuchtet er es aus einem anderen Blickwinkel. Angefangen beim besten Freund und Nachlassverwalter Max Brod, ohne dessen Verrat der Welt nur wenige Erzählungen und Prosaskizzen des Jahrhundertautors geblieben wären.
David Kross spielt den mittelbegabten Schriftsteller als begnadeten Freund, überzeugt von der Außerordentlichkeit des allzu Bescheidenen, aufmunternd, wo dieser niedergeschlagen ist. Ein Schürzenjäger und Bonvivant, der staunend zuschaut, wenn der Gesundheitsfanatiker Kafka jeden Bissen 40-mal kaut. Zusammen wirken Kross und Basman wie ein klassisches Komiker-Duo, ergänzt noch von drei weiteren liebenswerten Literaten (Robert Stadlober, Tobias Bamborschke und Christian Friedel als Franz Werfel), dem Prager Kreis, wie Brod sie unter Protest der Gemeinten vorzustellen pflegt.
Nicholas Ofczarek läuft als tobsüchtiger Vater zu abscheulicher Form auf
Andere Episoden zeigen, wie sich Kafka für sein jüdisches Erbe begeistert, das der verhasste Vater in seinen Assimilationsbestrebungen verleugnet. Überhaupt: dieser Haustyrann! Da hat man aus dem „Brief an den Vater“ zwar schon eine recht fixe und nicht sehr angenehme Vorstellung, aber Nicholas Ofczarek läuft in der Rolle des tobsüchtigen Galanteriewarenhändlers dennoch zu unerwartet-abscheulicher Form auf – er ist der Minotaurus in den labyrinthischen Erzählungen des Sohnes.
Bleibt noch die Korrektur eines Klischees: Der Autor, dessen Protagonisten sich oft in undurchdringlichen Bürokratien verlieren, war selbst ein äußerst gewandter Bürokrat, als Experte für Gefahrenklassen in der staatlichen Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt hochgeachtet, eine vergnügliche Episode.
Drei weitere Folgen sind jeweils einer der drei Verlobten Franz Kafkas gewidmet: Felice Bauer (Lia von Blarer), Milena Jesenská (Liv Lisa Fries) und Dora Diamant (Tamara Romera Ginés). Wenn Bauer den zaudernden Ehekandidaten zum Tribunal ins Hinterzimmer eines Hotels vorlädt, ihm seine Briefflut an ihre beste Freundin als Beweismittel seiner Doppelzüngigkeit vorhält, wirkt das so absurd wie die Gerichtsszenen im „Process“. „Sie rufen jetzt vielleicht: Das kann nicht so gewesen sein, das ist ja wie aus einem Kafka-Roman!“, kommentiert dann der Erzähler.
Der meldet sich in schöner Regelmäßigkeit und Ratlosigkeit zurück – wie soll man diesem nicht auszudeutenden Autor nur gerecht werden? Manchmal sind es freilich die Figuren, die die vierte Wand durchbrechen. Oder Kafkas Fiktionen stülpen sich über des Dichters Alltag. Am Ende, während des letzten, vergeblichen Kuraufenthalts, droht die Handlung von „Das Schloss“ die biografische Erzählung vollständig zu übernehmen. Sind das nun Brecht'sche V-Effekte oder postmoderne Spiele? Beides wirkt wie aus der Zeit gefallen, das Erzählwerk Kafkas dagegen von unabgestumpft schneidender Modernität.
Hier sticht die Milena-Folge heraus, die als eine Geschichte aus dem Wiener Wald erzählt wird, als luftiges Naturtheater (ein Plakat am Bahnsteig weist auf das „Naturtheater von Oklahoma“ aus „Amerika“ hin). Der Dichter und seine Übersetzerin spazieren verknallt durchs Naherholungsgebiet. „Ich habe noch nie so einen Menschen wie dich getroffen“, stellt sie fest, „und ich vermute, das liegt daran, dass es noch nie so einen Menschen gegeben hat.“ Aber Franz, den sie Frank nennt, braucht seine Angst, sein Alleinsein noch mehr als Milena. Sie redet von Liebe, er von Fahrplänen. Am Ende bleiben mal wieder nur Briefe.
„Kafka“ läuft am 26., 27. 3. in der ARD, jeweils ab 20.15 Uhr, und bereits ab dem 20. 3. in der ARD-Mediathek