Neue Serie „WandaVision“Superhelden aus der Lachkonserve
Auf die Gefahr hin, dass Sie mich für verrückt erklären: Wenn ich früher mal in New York war, habe ich viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Genauer gesagt im Museum of Television & Radio in Midtown-Manhattan, wo man sich sein eigenes Programm aus klassischen US-Shows und großen Fernsehmomenten zusammenstellen konnte.
Das war damals, zumindest für Europäer, eine der wenigen Möglichkeiten, „I Love Lucy“, die „Dick van Dyke Show“ oder auch Kuriositäten wie „My Mother the Car“ zu sichten (falls Sie sich fragten: In der Sitcom spielt Jerry van Dyke, Dicks jüngerer Bruder einen Anwalt, der von seiner Mutter heimgesucht wird, die in sein altes Auto reinkarniert ist; ein Fest für Psychoanalytiker).
Dann kamen DVD-Box-Sets, Youtube und schließlich „WandaVision“, die just angelaufene Superheldenserie aus dem Marvel-Universum auf dem Streamingdienst Disney+. Die funktioniert als ihr eigenes, sorgfältig kuratiertes Fernsehmuseum.
Das könnte Sie auch interessieren:
Ich weiß, das klingt verrückt und das ist es ja auch. Zuletzt sah man Wanda Maximoff alias Scarlet Witch und Vision, ihren auserwählten Androiden, zusammen im Blockbuster „Avengers: Infinity War“. An dessen Ende der blasslila Bösewicht Thanos mit dem armen Vision kurzen Prozess machte, indem er ihm den künstliches Leben spendenden Gedankenstein aus der Stirn reißt.
Ups, das klingt jetzt noch verrückter. Aber immerhin gab es viele Millionen Menschen, die dieses Kinospektakel verfolgt haben. Die dürften sich nun fragen, wie es kommt, dass Wanda und Vision als glückliches Ehepaar in der amerikanischen Vorort-Idylle wieder auftauchen.
Die eben exakt so aussieht, wie sie dem Fernsehzuschauer in Hunderten von Serien begegnet ist. Exakt bedeutet in diesem Fall, dass sich die beiden Avengers aus der zweiten Reihe in einer Realität wiederfinden, die bis ins letzte Detail der Fernsehwirklichkeit von anno pief nachempfunden ist. Man stelle sich vor, Tobey Maguire hätte seine Rolle in der ganz ähnlich angelegten Fantasy-Komödie „Pleasantville“ (1998) im Kostüm aus seinen „Spider-Man“-Filmen absolviert – dann erhält man eine ungefähre Idee, wie „WandaVision“ funktioniert.
Die Sorgfalt, mit der hier der TV-Geschichte gehuldigt wird, ist bestechend. Die ersten zwei Episoden sind in Schwarz-Weiß und im alten 3:4-Seitenverhältnis der alten Röhrenapparate. Ausstattung, Tempo, Beleuchtung, die eingespielten Lacher: Die Mimikry ist nahezu perfekt.
Schauspiel-Meisterklasse
Zudem dürfen Elizabeth Olsen (Wanda) und Paul Bettany (Vision) nun endlich zeigen, was sie noch alles können, außer die Handlung in einem langen, lauten Superheldenfilm voranzubringen. Allein der subtile Übergang von der ersten, an der „Dick van Dyke“-Show angelehnten, zur zweiten Episode, die hauptsächlich die Mitt-60er-Sitcom „Verliebt in eine Hexe“ zitiert, ist eine Meisterklasse in Schauspielerei: Wie sich die Körpersprache langsam von den Zwängen der 1950er löst, wie der Text jetzt auch mal herausgestottert oder improvisiert werden darf.
Selbstverständlich verbirgt sich hinter der klaustrophoben Idylle eine Vorhölle und aller Voraussicht nach findet die gesamte Handlung nicht in einer höheren TV-Dimension, sondern allein vor Wanda Maximoffs geistigem Auge statt. Dazu muss man nicht wissen, dass das spezielle Talent der Scarlet Witch die albtraumhafte Krümmung der Realität ist, das verrät ja bereits der Titel.
Oder lieber „Friends“?
Von Folge zu Folge streut die Showrunnerin Jac Schaeffer zunehmend größere David-Lynch-artige Irritationen in die Sitcom-Standardsituationen wie „der Chef kommt zum Abendessen“ ein. Will man sehen, wo das hinführt, muss man ein wenig Geduld mitbringen. Denn auch die Gags der einzelnen Episoden ordnen sich der Hommage unter.
Wer über Sendungen wie „Bezaubernde Jeannie“ noch lachen kann, der lacht auch hier. Alle anderen werden sich eher mit einem Schmunzeln begnügen und sich fragen, ob sie sich als nächstes „Avengers: Endgame“, oder nicht doch lieber eine Folge „Friends“ schauen sollen.