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Neue Staffel von „Die Ringe der Macht“Warum sieht Sauron plötzlich wie Philipp Amthor aus?

Lesezeit 4 Minuten
Die walisische Schauspielerin Morfydd Clark reitet in ihrer Rolle als Elbenkriegerin Galadriel in der Amazon-Prime-Video-Serie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ einen Schimmel. Ihre blonden Haare und ihre grünen Gewänder wehen im Wind.

Morfydd Clark als Galadriel in „Die Ringe der Macht“

Man sieht die Millionen, die Amazon Prime in seine „Der Herr der Ringe“-Vorgeschichte gesteckt hat. Aber spannender wird die Serie dadurch nicht.

„Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ gilt als bislang teuerste Serie in der Geschichte des Fernsehens. Allein 250 Millionen Dollar hat Amazon den Tolkien-Erben für die Rechte am berühmten Stoff bezahlt. Die Produktionskosten der ersten Staffel sollen laut „Washington Post“ mehr als 700 Millionen Dollar verschlungen haben. Die zweite Staffel, deren erste Episoden seit wenigen Tagen auf Amazons Streamingdienst Prime zu sehen sind, dürfte ähnlich hoch budgetiert sein, eventuell hat ja die Entscheidung geholfen, die Produktion von Neuseeland nach England zu verlegen.

Die hübschen Summen haben dabei mindestens zu schönen, detailverliebten Bildern geführt. Zwar schwankt die Ästhetik bisweilen unentschieden zwischen den Sonnenuntergangs-Postern alter Jugendzimmer und den monumentalen Landschaftsgemälden John Constables, aber teuer sieht hier alles aus. Edel-Content, wie von Elben handgeschnitzt. Das lichtmalerische Prassen ist dabei so wenig Selbstzweck wie die Ausgestaltung barocker Kirchen: J.R.R. Tolkiens großzügige Naturbeschreibungen und tief verästelte Hintergrundgeschichten verlangen nach bilderbuchmäßiger Üppigkeit. In fast allen Gewerken ist die Serie ein künstlerischer Triumph.

Die Serie ist ein optisches Festmahl, das seine Gäste hungrig zurücklässt

Wenn die beiden Showrunner J. D. Payne and Patrick McKay doch nur ebenso großzügig erzählten! Zwar gibt es in „Die Ringe der Macht“ immer etwas Neues zu sehen, der Plot indes schreitet nur in glazialer Geschwindigkeit fort. Die Serie ist ein optisches Festmahl, das seine Gäste hungrig zurücklässt. Zudem sind seit der Veröffentlichung der ersten Staffel der Serie bereits zwei Jahre vergangen. Die „New York Times“ nahm das zum Anlass, über das Ent-ähnliche Tempo zu lästern, mit dem sich TV-Programme heutzutage bewegen (Ents, für Nicht-Fans, sind baumähnliche Wesen, die mit aufreizender Geruhsamkeit durch endlose Wälder stapfen). Auch der direkte Genre-Konkurrent „House of the Dragon“, ein Sequel zum High-Fantasy-Blockbuster „Game of Thrones“, ließ zwischen seinen beiden Staffeln 22 Monate vergehen.

Während im sogenannten wirklichen Leben Krise um Krise den gesellschaftlichen (Auflösungs-)Prozess beschleunigt, tritt die Fiktion gewaltig auf die Bremse. Vielleicht hält sich das Publikum an solchen statischen Fantasiewelten fest, als Atempause vom Geschichte machen.

Uruk Adar führt eine brandschatzende Ork-Armee an.

Sam Hazeldine als Ork-Anführer Uruk Adar in einer Szene aus „Die Ringe der Macht“

Am Anfang der ersten neuen Folge von „Die Ringe der Macht“, „Elbenkönige hoch im Licht“, hat man noch seine liebe Mühe, sich an die eben nicht besonders denkwürdigen Protagonisten und den Stand der Dinge in Mittelerde zu erinnern. Warum sieht der böse Hexenmeister Sauron plötzlich wie die Mittelerde-Version von Philipp Amthor aus? Und warum hat er sich jetzt in ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor verwandelt?

Aber schnell versteht man, dass sich eigentlich nichts getan hat. Sauron (Charlie Vickers) wechselt weiterhin die Gestalten und manipuliert Orks, Elben, Menschen und Zwerge gleichermaßen. Galadriel (Morfydd Clark), die blonde Elben-Schildjungfer, liegt immer noch fest entschlossen falsch. Und der geheimnisvolle Fremde (Daniel Weyman) irrt mit dem Harfuß-Mädchen Nori (Markella Kavenagh) – bei den Harfüßen handelt es sich um die nomadischen Vorfahren der Hobbits – durchs wüste Land, auf der Suche nach seiner Identität. Obwohl seit seinem Himmelssturz am Ende der ersten Folge der ersten Staffel völlig klar ist, dass es sich bei ihm um den mächtigen Zauberer Gandalf handelt, Tolkiens wahrscheinlich beliebteste, an den germanischen Göttervater Odin angelehnte Figur.

Warum gibt Amazon Unsummen für einen Stoff aus, nur um diesen dann derart knauserig zu verwenden?

Bleibt die Frage: Warum gibt Amazon freimütig Unsummen für einen Stoff aus, nur um diesen dann derart knauserig zu verwenden? Die Antwort in Zahlen: J.R.R. Tolkiens Hauptwerk „Herr der Ringe“ umfasst in der deutschen Ausgabe 1568 Seiten, Peter Jacksons Kino-Version neun Stunden und 18 Minuten. Tolkiens „Der kleine Hobbit“ ist in der Taschenbuch-Ausgabe nur 336 Seiten lang, trotzdem erstreckt sich Jacksons dreiteilige Verfilmung über sieben Stunden und 54 Minuten. Die Rechte, die Amazon für eine Viertelmilliarde Dollar an Tolkiens Werk erworben hat, betreffen jedoch nur einen Band mit Anhängen zu „Der Herr der Ringe“, der ist gerade mal 208 Seiten lang, dazu gehören aber auch Zeittafeln, Register, Stammbäume. Die Vorlage zur Geschichte, die Payne and McKay über fünf geplante Staffeln und rund 50 Sendestunden erzählen wollen, umfasst nur wenige Seiten.

In „Die Gefährten“, seinem ersten „Der Herr der Ringe“-Film, fasst Peter Jackson diese Geschehnisse in fünf Minuten zusammen.

Geld ist ausreichend vorhanden, angeblich war Jeff Bezos – der abwechselnd reichste oder zweitreichste Mensch der Welt – als Tolkien-Fan selbst bei den Verhandlungen mit dessen Erben zugegen. Die knappe Ressource der zeitgenössischen Entertainment-Industrie ist geistiges Eigentum, weshalb Amazon seinen kleinen Anteil an der „Der Herr der Ringe“-Mythologie hütet, wie der Drache Smaug den Schatz der Zwerge im „Hobbit“.

Das gibt den „Ringe der Macht“-Showrunnern einerseits die Freiheit, Mittelerde zu ihrem Spielfeld zu machen, sich alle möglichen apokryphen Subplots auszudenken. Andererseits dürfen ihre Neuerfindungen keine echten Konsequenzen zeugen, denn das Ergebnis von Saurons machiavellistischen Machenschaften ist ja sattsam bekannt. Behält die Serie ihr bisheriges Tempo bei, müssen wir noch bis ins Jahr 2030 ausharren, wenn wir erleben wollen, wie Isildur (Max Baldry), König von Gondor, den dunklen Lord Sauron besiegt, und in der Folge selbst dem einen Ring, sie zu knechten, verfällt. Dabei weiß man doch längst, wo der am Ende hinplumpst.