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Serie „Die Ringe der Macht“Leben wir etwa alle in Mordor?

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Morfydd Clark, Mitte, und Charlie Vickers, rechts, am Set

Mittelerde – Es ist Halbzeit in der ersten Staffel von Amazons gigantischer, oder zumindest gigantisch budgetierter Tolkien-Adaption „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“. Schon der Name kann ja vor Kraft kaum gehen, das zu streamende Ergebnis erlaubt sich jedoch einige Subtilitäten, die man im doch recht simplen Gut-Böse-Schema der Mittelerde-Geschichten kaum vermutet hätte: Ziemlich verbohrte Elben etwa, oder erstaunlich mitfühlende Orcs.

Die Macher und Schauspieler der Serie mussten bereits einem rassistischen Shitstorm standhalten, weil die Bewohner des Mythenreiches nicht länger allesamt so bleich waren wie ein Ku-Klux-Klan-Umzug. Und selbstverständlich hatte auch jeder selbst ernannte Tolkien-Experte etwas auszusetzen, zumeist betreffs zu geringer oder zu großer Texttreue.

Im Großen und Ganzen aber scheint sich Amazon mit seiner Großinvestition nicht verkalkuliert zu haben – allein die Fernsehrechte, die den Machern letztlich nur erlauben, einige Brosamen aus J.R.R. Tolkiens umfangreicher „Herr der Ringe“-Hintergrundgeschichte zu verwenden, sollen 250 Millionen Dollar gekostet haben.

Wie zu Hochzeiten des linearen Fernsehens

Das weltweite Publikum scheint den im Wochenrhythmus ausgestrahlten Folgen entgegenzufiebern, man wartet auf den nächsten Freitag wie zu Hochzeiten des linearen Fernsehens, und die Frage, welcher der zahlreichen neuen Charaktere sich bald als erzböser Gestaltwandler Sauron entpuppen wird, wird in Kaffeeküchen und auf Pausenhöfen heiß diskutiert.

Wenn es trotzdem schwer fällt, die Serie als eigenständiges Werk wahrzunehmen, liegt das vor allem daran, dass sich die beiden verantwortlichen Showrunner J. D. Payne und Patrick allzu sklavisch an die ästhetischen Vorgaben der Peter-Jackson-Verfilmungen halten. Von wegen unbegrenzte Fantasie: Auf absehbare Zeit wird Mittelerde wie Neuseeland mit erhöhter Farbsättigung aussehen.

Fantasy stellt die Mehrzahl populärer Serien

Interessanter scheint allemal die Frage, warum eigentlich die Mehrzahl derzeit populärer Serien dem Fantasygenre zuzuordnen ist: Von HBOs „House of the Dragon“ über Netflix’ „Sandman“ bis zu Disney+ „She-Hulk“ – wenn man Superhelden-Stories, die schließlich sämtliche physikalischen Gesetze verletzen, denn Fantasy nennen darf.

Die Welt des Mythos beginnt bekanntlich dort, wo die Wissenschaft endet. Ist es also so, dass je rationaler – und durchrationalisierter – die Welt wird, die Menschen sich desto mehr nach Irrationalität sehnen? Dann wäre die rückwärtsgewandte Fantasy – im Gegensatz zu den vorausschauenden Gesellschaftsspielen der Science-Fiction – in der Tat nur das, was ihr seit jeher vorgeworfen wurde: Reiner Eskapismus.

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Worauf man entweder mit den Worten des Genrekenners Dietmar Dath antwortet: „Das könnte denen so passen, dass man ihre Scheißwirklichkeit nicht nur nicht verändern können soll, sondern noch nicht einmal das Recht zugestanden kriegt, sich mal eine Weile mit was ganz anderem zu befassen, um nicht komplett abzustumpfen.“

Oder einräumt, dass sich unsere „Scheißwirklichkeit“ den atavistischen Welten Tolkiens oder seines zynischen US-Widerparts George R.R. Martin inzwischen soweit angenähert hat, dass von Eskapismus keine Rede mehr sein kann. Nicht ohne Grund haben die überfallenen Ukrainer die russischen Aggressoren von Anfang an als „Orcs“ bezeichnet.

Analogien zwischen Putin und Sauron zu ziehen mögen politisch nicht allzu viel Sinn machen. Dass sie gezogen werden, zeigt jedoch, wie sich die Einstellung des Publikums zur Fantasy gewandelt hat: Aus dem Weltfluchtpunkt ist ein Welterklärmodell geworden. Kein anderes Genre fängt das Gefühl der Unsicherheit und Ungewissheit in den Jahren nach der Nachkriegszeit so überzeugend ein. Wir leben alle im Finsterreich Mordor.