AboAbonnieren

Disney holt zu Netflix aufWarum sich der Streamingkrieg für Zuschauer nicht lohnt

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Drückt für Disney+ auf die Tube: Buzz Lightyear  

Köln – Große Schlachten stehen bevor: Mit Spannung erwartet wird der Ausgang des kommenden Duells zwischen Mittelerde und Westeros. Am 21. August schickt HBO Max mit „House of the Dragon“ das Prequel seines Zehner-Jahre-Hits „Game of Thrones“ ins Rennen. In Deutschland streamt die Serie auf Wow. Am 2. September kontert Amazon Prime Video mit dem umständlich betitelten „The Lord of the Rings: The Rings of Power“. Allein für die Fernsehrechte an J.R.R. Tolkiens Geschichten soll Jeff Bezos 250 Millionen Dollar gezahlt haben. Das Gesamtbudget der Serie übersteigt eine Milliarde Dollar.

Welche der beiden Fantasy-Serien wird in den nächsten Monaten die Diskussion bestimmen? Welche wird das Publikum glauben, unbedingt gesehen haben zu müssen?

Der Krieg, der zu dieser beispiellosen Content-Schlacht führt, spielt sich in keiner fiktiven Vergangenheit ab, sondern im Hier und Jetzt: Nachdem Netflix lange Zeit in Sachen On-Demand-TV die Richtung vorgab, schwächelte der Streamingpionier zuletzt. Am Ende des ersten Quartals 2022 musste er zum ersten Mal einen Verlust von 200 000 Abonnenten vermelden, mit noch sehr viel düstereren Aussichten.

Die Maus, die brüllte

Und nun läuft ihm auch noch die Konkurrenz von Disney den Rang ab, obwohl deren Streamingdienst Disney+ erst im November 2019 an den Start gegangen war (Netflix streamt bereits seit 2007). Der Maus-Konzern hat im jüngsten Geschäftsquartal ein unerwartet rasantes Wachstum verzeichnet. Seine Streamingdienste Disney+, Hulu und ESPN+ brachten es Ende Juni zusammen auf insgesamt 221 Millionen Abos. Hulu bedient den Erwachsenenmarkt und ist in Deutschland unter dem Namen Star im Angebot von Disney+ integriert, ESPN+ zeigt Sport.

Mit den neuen Zahlen kommt Disney dem Marktführer Netflix gefährlich nahe. Der beendete das vergangene Vierteljahr ebenfalls mit der Zahl von 221 Millionen. Allerdings zählt Netflix Abonennten und Abonnentinnen, nicht Abos. Verkauft Disney seine Plattformen im Paket, zählt der Konzern zwei oder drei Abos. Für Netflix sind die sehr guten Zahlen von Disney dennoch eine Niederlage im laufenden Wettbewerb, den Marktbeobachter in den USA als „streaming wars“ bezeichnen.

Für den Konsumenten wird es unübersichtlich

Zu den erwähnten Kriegsparteien kommen noch kleinere wie Apple TV+, Paramount+ und Peacock hinzu, oder in Deutschland Joyn Plus, MagentaTV, RTL+ Premium. Für die Konsumenten wird es zunehmend unübersichtlich – und teuer. Die Zeiten, in denen Zuschauer mit günstigen Einstiegspreisen gelockt wurden, sind vorbei. Disney nutzte seine starken Zahlen sogleich, um kräftige Preiserhöhungen einzuleiten. So soll der Preis für das werbefreie Standardabo bei Disney+ für Kunden in den USA am 8. Dezember um 3 Dollar auf 10,99 Dollar pro Monat steigen. Zum bisherigen Preis von 7,99 Dollar gibt es nur noch eine Variante mit Werbepausen, bis zu vier Minuten pro Stunde.

Amazon Prime hat seinen Monatspreis in Deutschland bereits von 7,99 auf 8,99 Euro erhöht und gleichzeitig kostenloses Einsteigerangebot mit Werbeunterbrechungen eingeführt. Auch Netflix will demnächst eine günstigere Werbe-Version anbieten. Was unterscheidet das Streaming-Fernsehen dann eigentlich noch vom klassischen Antennen-Programm?

Die starken Marken machen es

Am Ende werden wohl die Inhalte über den Ausgang der „streaming wars“ entscheiden. Wie sonst hätte Disney+ mit einem Angebot von nur rund 1000 Titeln Netflix mit seinem Angebot von 17 000 Titeln einholen können? Die Devise lautet: klein, aber fein. Nur auf Disney+ findet man Marken wie Marvel, Star Wars, Pixar, die Simpsons und natürlich auch die beliebten Figuren aus der fast hundertjährigen Geschichte des Entertainmentriesen.

Netflix konnte sich jahrelang auf das geistige Eigentum anderer Studios verlassen. Die haben inzwischen jedoch fast alle ihre eigenen Streamingdienste eingerichtet, wo sie ihre Inhalte nun exklusiv zeigen – weshalb Netflix Milliarden in die Entwicklung eigener Franchises pumpt.

Kaufrausch mit durchwachsenen Ergebnissen

Die Ergebnisse des Kaufrausches sind durchwachsen. Zwar hat der große Erfolg der vierten Staffel von Netflix’ Flaggschiff-Serie „Stranger Things“ dafür gesorgt, dass der Streamer im zweiten Quartal 2022 nur knapp eine Million Abonnenten verloren hat, statt der erwarteten zwei Millionen.

Doch andere Investitionen enttäuschen: Rund 200 Millionen Dollar betrug das Produktionsbudget des Netflix-Thrillers „The Gray Man“, in dem sich Ryan Gosling und Chris Evans unter der Regie der Russo-Brüder („The Avengers: Endgame“) quer über den Globus hetzen. Der Film erreichte auch eine beachtliche Zahl an Zuschauern, ein Sequel und ein Spin-Off sind bereits in Arbeit.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber er war kaum Gesprächsthema in Teeküchen oder Pausenhöfen, sondern nur weitere zwei Stunden Content in Netflix’ anschwellender Videothek anonymer, aber enorm kostspieliger Actionkracher. Man wäre halt gerne James Bond. Dummerweise hat Amazon im vergangenen März die MGM-Studios für knapp 8,5 Milliarden Dollar übernommen und mit ihnen das Paket der 25 offiziellen Bond-Filme.

Der Disney-Konzern produziert derweil fleißig immer neue Film- und Serien-Varianten seiner bekannten und beliebten Marken. Demnächst unter anderem auf Disney+ verfügbar: „Star Wars: Andor“, „Star Wars: The Bad Batch“, „Lego Star Wars: Sommerurlaub“, „She Hulk“, „Ich bin Groot“, und immer so weiter. Dass es auch für treue Fans einen Punkt gibt, an dem die Übersättigung einsetzt, weiß Disney aber spätestens seit seinem Kinoflop „Solo: A Star Wars Story“.

Das erste Opfer der „streaming wars“ kennt man also schon: Es sind die neuen, originellen Geschichten. (mit dpa)

In einer früheren Version des Artikels hatten wir Disneys 221 Millionen Abos Netflix' 221 Abonennten gegenüber gestellt. Abos und Abonennten lassen sich jedoch nicht direkt vergleichen.