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Neuer Comicband„Little Bird“ zeigt Amerikas düstere, blutige Zukunft

Lesezeit 4 Minuten
Little Bird Comic

Illustration aus „Little Bird“

Ein Priester, der in einer Wanne voll Blut badet, über deren Rändern sich allerlei darmartiges Gekröse windet. Eine fette Nonne, die in einer Kugel aus Licht und Feuer reist. Menschmaschinen, unter deren langen Gewändern sich Eingeweide und messerbewehrte Insektenbeine verbergen. Und ein mörderisches Mädchen, das sich unter einem Wolfsfell verborgen an seine Feinde heranpirscht.

Wäre diese Kritik vor zwei Wochen erschienen, hätten wir wahrscheinlich zuerst vom drastischen Surrealismus dieses Comicbandes gesprochen, in dem die USA und Kanada nach dem Totalzusammenbruch der Zivilisation unter der Knute eines faschistischen Gottesstaates stehen.

Hätten erwähnt, dass dieses Setting selbstredend an Margaret Atwoods berühmten dystopischen Roman „Der Report der Magd“ erinnert, die Umsetzung aber eher an die großen Tage des französischen Comic-Magazins „Métal hurlant“ (in Deutschland unter dem Namen „Schwermetall“ bekannt) in den 1970er Jahren.

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Vor allem die Bilder des Amerikaners Ian Bertrams knüpfen direkt an die Zeiten an, als sich der Meisterzeichner Jean Giraud unter dem Pseudonym Mœbius mit abgründig-irren Geschichten wie „Der Umweg“ und „Die hermetische Garage“ noch einmal neu erfand. Und auch die Pastell-Farben von Matt Hollingsworth zitieren die Palette der 70er.

Wie gesagt, vor wenigen Tagen noch hätte man „Little Bird — Der Kampf um Elder’s Hope“ strikt der Fantastik zugeordnet — und eine Warnung an zart besaitete oder realistischeren Erzählweisen verhaftete Leser ausgesprochen. Doch nach den Fotos und Fernsehbildern des rechtsradikalen Karnevalsmobs, der das Capitol in Washington stürmte – befeuert von evangelikalem Sendungsbewusstsein, mittelalterlichen Brunnenvergiftungsmythen (oder auch nur der Verwechslung von „Mad Max“-Filmen mit Gebrauchsanweisungen) –, wirkt die phantasmagorische Bilderwelt von „Little Bird“ plötzlich erschreckend schlüssig.

Little Bird Comic 2

Illustration aus „Little Bird“

Tatsächlich hatten Ian Bertram (als Zeichner) und der kanadische Filmemacher Darcy van Poelgeest (als Autor) bereits vor der Trump-Präsidentschaft mit der Arbeit an „Little Bird“ begonnen. Die Verwerfungen und Abgründe, über die sie ihre bizarre aber seltsam vertraute Welt errichtet haben, reichen ja auch viel weiter zurück, als die letzten vier Jahre.

Die Menschen, die sich am Anfang der Geschichte vor dem Heiligen Krieg dieses neuen Gottesstaats in die kanadischen Rocky Mountains zurückgezogen haben, erinnern nicht von ungefähr an die Kulturen des pazifischen Nordwestens. Sie halten nicht länger als zwei Comicseiten durch.

Rache um jeden Preis

Einzige Überlebende ist das junge Mädchen Little Bird und das schört Rache, um jeden Preis: „Manchmal geht es mehr um das Kämpfen selbst, als darum, wofür man kämpft.“ Da hilft es, dass sie selbst kaum zu killen ist und zwischen Traum und Wirklichkeit wandeln kann. Unterstützen soll sie bei ihrem Rachefeldzug ein genmanipulierter Superkrieger namens „Die Axt“, den sie erst einmal aus einem Hochsicherheitsgefängnis befreien muss.

Das klingt nach dem Auftakt einer geradlinigen Action-Story, und es folgen auf den nächsten 200 Seiten denn auch zahlreiche und ausnehmend blutige Kämpfe. Aber die geben nur den rasanten Takt vor, den Bertram und van Poelgeest mit Bildern von verfolgten genetischen Freaks und ihren Zufluchten oder beklemmenden Erziehungsanstalten in der New-Vatican-Hauptstadt des extrabreiten Bibelgürtels füllen. Und mit einer komplexen Familiengeschichte, deren handelnde Personen sich wie ähnlich in der „Star Wars“-Saga zwischen Gut und Böse aufteilen, nur dass die jeweiligen Zuschreibungen hier nicht gar so einfach sind.

Das Kreuz als Mittel der Unterdrückung

Nebenbei geht es in „Little Bird“ keineswegs um grundsätzliche Religionskritik, die Gotteskrieger haben hier ungefähr so viel mit dem christlichen Wertekanon am Hut, wie die Capitol-Vandalen mit demokratischer Meinungsbildung. Das Kreuz ist hier vor allem ein Mittel der Ordnung und Unterdrückung.

Die Comic-Macher erzählen in ihren Bildern allerdings auch implizit, woher der Wunsch nach Ordnung und einem letzten Hauch von Erlösung rührt: Jeder Einwohner des nordamerikanischen Kontinents ist verstümmelt und von Ausschlägen bedeckt, es ist eine Gesellschaft von Todkranken. Eine Metapher, die umso besser funktioniert, als man sie im Comic nicht aussprechen muss.

Ausgezeichnet in den USA

In den USA wurde die Miniserie (ein zweiter Sammelband soll folgen) mit einem Eisner Award ausgezeichnet, der höchsten Ehre der Sparte. Die deutsche Ausgabe ist nun beim Cross Cult Verlag als großformatiges Album erschienen. Umso besser kann man die feingliedrigen, üppigen, aber schonungslosen Zeichnungen von Ian Bertram würdigen, um so weniger fällt ins Gewicht, dass es nicht immer ganz einfach ist, der Geschichte zu folgen.

„Little Bird – Kampf um Elder’s Hope“ von Darcy van Poelgeest, Ian Bertram, Matt Hollingsworth, 208 Seiten, 35 Euro