In ihrem neuen Roman „Für immer“ zeichnet die norwegische Bestseller-Autorin Maja Lunde eine Dystopie, in der für die gesamte Menschheit die Zeit stehen geblieben ist.
Neuer Roman von Maja LundeFür immer leben ist auch keine Lösung

Die norwegische Autorin Maja Lunde
Copyright: Oda Berby
Eine Krebsdiagnose ändert von einem auf den anderen Tag alles im Leben von Jenny. Gerade verbrachte die Fotografin und Mutter zweier kleiner Kinder noch einen Familienurlaub im Ferienhaus an der norwegischen Küste, jetzt geben die Ärzte ihr noch ein halbes Jahr. Konfrontiert mit dem eigenen Tod und der Tatsache, dass ihre Kinder ohne Mutter aufwachsen werden, beginnt Jenny ihren Alltag zu fotografieren: „Sie wollte alles einfangen, selbst die Krümel, selbst die Schatten, die sie auf das Holz des Tisches warfen, denn das war ihr Leben, dieser Frühstückstisch, die Spuren dieser Mahlzeit. Und das Entscheidende war, sie in der Zeit zu verankern, genau in diesem Moment.“
Erst später merkt Jenny, dass die Zeit an diesem Tag tatsächlich angehalten hatte – und zwar für die gesamte Menschheit. Seitdem ist niemand mehr gestorben, niemand wurde mehr geboren, Menschen haben aufgehört zu altern, und die Krebszellen in Jennys Körper teilen sich nicht mehr. In diesem seltsamen Zustand der Zeitlosigkeit entwickelt die norwegische Autorin Maja Lunde die Geschichte ihres neuen Romanes erst langsam, dann rasant zu einer düsteren, mitunter absurden Dystopie.
Wie wollen wir als Menschen, aber auch als Gesellschaft, unsere begrenzte Zeit verbringen?
Aus Sicht von sechs verschiedenen Figuren denkt Maja Lunde darüber nach, wie wir als Menschen, aber auch als Gesellschaft, unsere begrenzte Zeit verbringen wollen. Ihre Figuren befinden sich an ganz unterschiedlichen Punkten im Leben, dementsprechend verschieden reagieren sie auf die neue Situation, was die Autorin in langsam erzählten, bildhaften Szenen beschreibt. Das ist oft gut gelungen, nur manchmal wirkt es allzu konstruiert. Die zunächst positiv bis euphorische Stimmung kippt jedenfalls schnell in eine allgemeine Verunsicherung, große Langeweile und schließlich Sehnsucht nach der alten Vergänglichkeit des Lebens.
Hatte Maja Lunde in ihren letzten Büchern – das bekannteste davon war „Die Geschichte der Bienen“ – Fakten über die Auswirkungen des Klimawandels mit persönlichen Schicksalen verbunden, so ist der neue Roman ausschließlich fiktional. Aber auch diesmal problematisiert sie die verheerenden Folgen menschlichen Handelns auf der Erde. Denn während in ihrem Szenario das Leben der Menschen stillsteht, nimmt die Natur weiter ihren Lauf – fast so, als wollte sich die Erde am parasitären Menschen und seinem rücksichtslosen Verhalten rächen, ihn endlich von sich abschütteln.
Als wollte sich die Erde am parasitären Menschen rächen
„Wir vermehren und verbreiten uns, wir beuten die Natur aus und lassen weder den anderen Arten noch unseren eigenen Nachkommen etwas übrig. Indem die Menschheit jetzt zum Stillstand kommt, werden wir außer Gefecht gesetzt“, erklärt Philip seinen Freunden. Seine Kritik am Klimawandel verbindet er allerdings mit wilden Verschwörungserzählungen über eine ominöse „Kraft“, gegen die er mit anderen Radikalen vorgehen will. Das zunehmende Misstrauen gegenüber Autoritäten und wissenschaftlichen Fakten, das sich in Krisenzeiten in der Bevölkerung entwickelt, erinnert wiederum mehr an das Verhalten von Querdenkern in der Coronakrise, als an das von Klimaaktivisten.
Und auch im Buch ist die Wissenschaft sich uneinig darüber, wie man zur Normalität zurückkehren könnte. Die allzu dramatischen, teils grotesken Ereignisse am Ende des Romans sind wenig überzeugend. Am stärksten ist dieser Roman ohnehin da, wo Maja Lunde aus Jennys Perspektive schreibt. Hier gelingt es der Autorin, selbst Mutter von drei Söhnen, die Gefühlslage einer zugleich zerbrechlichen und äußerst mutigen Frau, die mit der Kamera in der Hand nach Halt sucht, auf eindrückliche Weise einzufangen.
„Für Immer“ von Maja Lunde, btb Verlag, 320 Seiten kosten 24 Euro.