Wolf Haas puzzelt in seinem neuen Roman „Wackelkontakt“ virtuos an Erzählebenen und den Fallen moralischer Wurstigkeit herum.
„Wackelkontakt“ von Wolf HaasSchuld und Sühne im moralischen Morast der Welt

Wolf Haas, der Autor von Wackelkontakt
Copyright: IMAGO/dts
Mittlerweile dürfte sich bis zum letzten Rezensenten herumgesprochen haben, dass Wolf Haas in jungen Jahren eine Doktorarbeit über die „sprachtheoretischen Grundlagen der konkreten Poesie“ verfasste und der Erzähler seiner todkomischen Brenner-Romane daher weniger holterdipolter daherredet, wie Haas behauptet, als sich einer wohldosierten Kunstsprache bedient. Der Germanistenprosa hat ihn trotzdem noch niemand geziehen, auch nicht bei „Brennerova“, einem Brenner-Spätkrimi, in dem die Handlung zunächst einige Dutzend Seiten lang dermaßen grandios-enervierend auf der Stelle tritt, als wolle sich Haas mit einem Werk über den Nouveau Roman habilitieren.
Für die Jugendsünde der Akademikerkarriere hatte sich Haas schon bald als Verfasser von Werbetexten rehabilitiert; erst danach wurde er zum Romancier. Und so geht jetzt mutmaßlich auch der Beste jemals verfasste Buchklappentext auf sein Autorenkonto: „Franz Escher wartet in seiner Wohnung auf den Elektriker“, heißt es über „Wackelkontakt“ auf dem giftgelben Umschlag. „Um sich die Wartezeit zu vertreiben, liest er ein Buch. Es handelt von dem Mafia-Kronzeugen Elio Russo. Der sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Entlassung. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, liest er ein Buch. Es handelt von einem gewissen Franz Escher. Er wartet in seiner Wohnung auf den Elektriker.“
In Interviews erklärte Wolf Haas freundlicherweise auch schon, was es mit dem Wackelkontakt auf sich hat
Dieser Klappentext ist vermutlich ein Dankeschön an all die Rezensenten, die Wolf Haas all die Jahre verlässlich lobten und dafür nicht viel verlangten – außer das nächste Meisterwerk. Es entlässt den Kritiker aus der lästigen Pflicht, den Romaninhalt so notdürftig wie pflichtschuldig zusammenzuraffen, und er setzt sich nicht einmal dem Vorwurf aus, zu viel verraten zu haben, obwohl er, den Klappentext zitierend, bereits alles verraten hat. Mehr passiert in „Wackelkontakt“ im Grunde nicht, als dass Franz Escher und Elio Russo, die selbstredend nichts voneinander ahnen, ihr Leben leben und in dessen Ruhepausen ein Buch lesen, das das fortschreitende Leben des jeweils anderen erzählt.
In einigen, das Buch bewerbenden Interviews erklärte Haas freundlicherweise auch schon, was es mit dem titelgebenden Wackelkontakt auf sich hat. Er hat sich in eine von Franz Eschers Steckdosen eingenistet und setzt die von einem Leben zum anderen springenden Handlungen in Gang. Aber vor allem ist er in die beiden Hauptfiguren gefahren, die, aus unterschiedlichen Gründen, weitgehend beziehungsunfähig sind. Während Franz Escher jede Traumfrau von der Bettkante schubst, um ein Puzzle mit Motiven der Kunstgeschichte zu legen, versteckt sich Elio Russo mit falscher Identität vor der kalabrischen Mafia in einem Zeugenschutzprogramm.
Wären das Leben und die Liebe ein Stromkreis, würde das Licht dieser Hauptfiguren beständig flackern. Allerdings trägt die Metapher im Buch nicht allzu weit. So muss sich Russo im deutschsprachigen Exil zwar beständig verstellen und mehr als einmal eine neue Identität annehmen; in dieser macht er es sich aber jeweils recht bequem. Und Escher, erfolgloser Autor und erfolgreicher Trauerredner, ist zwar keine strahlend helle Leuchte, glimmt aber beständig vor sich hin. Bis zu jenem Tag, an dem er versehentlich den Elektriker, der seine Steckdose reparieren sollte, tötet, indem er die abgeschalteten Sicherungen gedankenverloren zurück in die Ausgangsstellung drückt.
Haas legt falsche Fährten in die Kunstgeschichte, vor allem zu den optischen Täuschungen M.C. Eschers
Jetzt liegt der Elektriker tot in Eschers Küche, und guter Rat ist teuer. Schnell kommt der Totenredner zu dem Schluss, dass die Welt ein moralischer Morast ist und der Elektriker auch nichts mehr davon hätte, wenn er, Escher, sich zu seiner Schusseligkeit bekennt und dafür ins Gefängnis geht. Fahrlässige Tötung ist schließlich ein hässliches Wort, und vielleicht kommt ein übereifriger Staatsanwalt am Ende sogar auf die Idee, ihm Absicht zu unterstellen. Um auf andere Gedanken zu kommen, legt sich Escher hin, um sich in die Geschichte des Mafiosos zu vertiefen.
Bald geht es zwischen den Erzählungen hin und her, und Haas macht beinahe eine eigene Kunstform daraus, das richtige Timing für den Wechselschwung zu finden. Zumal die Geschichten einen verwandten, aber nicht identischen Tonfall haben, und die Zeit in ihnen in einer jeweils anderen Geschwindigkeit verstreicht. Die Escher-Geschichte bewegt sich, als wienerisch-gemütliche Version von „Schuld und Sühne“, beinahe in Echtzeit durch die unmittelbare Gegenwart, der Russo-Roman wird deutlich atemloser, etliche Jahre zusammenfassend und mit großen Zeitsprüngen erzählt. Auch die Lesemotivation ist eine gänzlich andere: Während der untergetauchte Gangster eher sporadisch und meist aus Langeweile zum Buch mit dem toten Elektriker greift, folgt Escher dem Bedürfnis, den Bedrängnissen der Wirklichkeit zu entfliehen.
Haas legt einige (falsche) Fährten in die Kunstgeschichte, wie schon der Namen Escher zeigt. Von seinem Namensvetter M.C. Escher, dem Schöpfer in sich verschlungener, perspektivisch unmöglicher Wirklichkeiten, puzzelt der Held im Buch so manches Motiv zusammen. In „Wackelkontakt“ geht es gleichwohl nicht um optische Täuschungen, sondern um zwei Geschichten, die einander bedingen und, man ahnt es bald, irgendwann zusammentreffen müssen. Überraschend ist diese Wendung also nicht. Aber wie Wolf Haas sie orchestriert, sich von einem Cliffhanger zum nächsten hangelt und zwei Schundromane zu hoher Literatur verschränkt, ist nicht nur sprachtheoretisch meisterhaft. Oder um es mit dem allerweltsklugen Erzähler des Escher-Romans zu sagen: „Er rannte ins Nebenzimmer und riss das verdammte Buch an sich. Er wollte wissen, wie der Dreck weiterging.“
Wolf Haas: „Wackelkontakt“, Hanser Verlag, 240 Seiten, 25 Euro, E-Book: 18,99 Euro.