Mit ihrem neuen Album „Mayhem“ knüpft Stefani Germanotta alias Lady Gaga an ihre Anfänge an. Wer hätte gedacht, dass das so viel Spaß machen kann?
Neues Album „Mayhem“Die zweite Jugend der Lady Gaga

Lady Gaga hat ihr neues Album „Mayhem“ veröffentlicht
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Noch bevor irgendjemand außerhalb der Lower East Side Manhattans ihren Namen kannte, haderte Stefani Germanotta bereits mit den künftigen Auswirkungen ihres angestrebten Ruhms. Als Lady Gaga sang sie unverblümt von ihrer Gier nach Prominenz, Champagner und unermesslichem Reichtum, blickte dabei aber nicht weniger offen in den Abgrund der Celebrity-Kultur, in stalkerische Obsessionen und drogenbefeuerte, psychisch verkorkste Kurzromanzen.
Ihr erstes Album nannte Gaga „The Fame“ (2008) und dessen erweiterte Ausgabe „The Fame Monster“. In den 15 Monaten dazwischen hatte sich ihre Prophezeiung selbst erfüllt. Mehr als 18 Millionen Tonträger hatte sie von ihrem Debüt verkauft, die ganze Welt war gaga geworden. Sie war ein Superstar nach Andy Warhols Bauplan, aber zugleich ihr eigener Architekt: Rote Teppiche und Musikvideos waren ihre Leinwände, Konzerthallen und Arenen ihr Performance-Space.
Lady Gagas Verlobter Michael Polansky bat sie, wieder Popmusik zu machen
Auf ihrem neuen, siebten Studioalbum „Mayhem“ blickt die Sängerin jetzt nicht nur auf diese frühen Jahre des Ruhms zurück, sie zitiert auch deren aufgekratzten Sound. Das haben wir nicht zuletzt ihrem Verlobten Michael Polansky zu verdanken, der ihr zuflüsterte, dass sie – nach dem Countryfolk von „Joanne“, den Alben mit Jazz- und Cabaret-Standards, den House-Einflüssen von „Chromatica“ – endlich wieder Popmusik machen müsse und der sich damit einen Produzenten-Titel verdiente.
Dass die Reise rückwärts geht, ahnte man nach den beiden vorab veröffentlichten Singles: Das dunkel-industrielle „Disease“ klang nach Gaga zirka „Born This Way“ (2011), „Abracadabra“ nach der besten aller möglichen Gagas, nach einem böse funkelnden Bastard aus „Bad Romance“ und „Poker Face“. Mit diesen beiden Stück beginnt „Mayhem“, doch sie führen ein wenig in die Irre.
Musikalisch geht es noch weiter zurück, bis zum Zauber ihres Anfangs mit „The Fame“ und darüber hinaus. „Killah“ knüpft an David Bowies funkige erste US-Nummer-Eins an, 1975 im New Yorker Electric Lady Studio entstanden (und auch ein wenig an Princes „Kiss“). Schwer zu sagen, ob das bekannte Gitarrenriff von Carlos Alomar ein Sample oder nachgespielt ist, wichtiger sind Titel und Inhalt, die Gaga hier wortlos heraufbeschwört: Bowies „Fame“ wirkt wie ein erster Entwurf zu ihrem Lebensthema.
Wenn Kunstschaffende spät in ihrer Karriere ein Album veröffentlichen, in dem sie sich wieder aufs Kerngeschäft besinnen, kommt oft nur Aufgewärmtes heraus. „Mayhem“ dagegen bezieht seine Energie daraus, dass Gaga die bekannten Versatzstücke ihres jüngeren Ichs noch einmal völlig neu zusammenpuzzelt, eine Welt entwirft, in der die Jugend nicht – wie George Bernard Shaw glaubte – an die Jungen verschwendet ist. In der sie zum „Fame“-Riff eben nicht von den Zumutungen des Star-Daseins singt, sondern sich mit gespreiztem Selbstbewusstsein als Femme fatale inszeniert, die nicht nur Männer, sondern auch ihre Fans killt – durch Übererfüllung der Erwartungen.
Das Bemerkenswerteste an Lady Gaga ist ihr Durchhaltevermögen
Das Thema „Ruhm“ hat sie bereits zwei Lieder zuvor auf „Perfect Celebrity“ abgehandelt, in dem sie sich als „berüchtigtes Wesen“ bezeichnet: „Ihr liebt es, mich zu hassen.“ Musikalisch erinnert das an den Industrial-Rock der Nine Inch Nails, aber Gagas kraftvolles Löwinnengebrüll lässt keinen Platz für innere Zerknirschtheit oder Selbsthass, sie hat ihren Frieden mit dem Teufelspakt gemacht: „Ihr bringt mir Geld, ich bringe euch zum Lachen.“
So bemerkenswert ihr Aufstieg in den Pophimmel – der ja zugleich die Hölle ist – Ende der Nuller Jahre ausfiel, um einiges erstaunlicher ist Gagas Durchhaltevermögen. Weder Hüft-OPs noch Nervenzusammenbrüche, weder bei Publikum und Kritik durchgefallene Alben („Artpop“, 2013) noch Kinokassenflops („Joker: Folie à Deux“, 2024) haben die Stehauf-Frau vom Weg abgebracht.
Es gibt keine Handvoll Stars, die es derart lang in den sauerstoffarmen Regionen des Musikgeschäfts ausgehalten haben, wo die Zeit im schnellen Vorlauf rast und neue Anwärter und Anwärterinnen auf den Thron ohne zurückzuschauen über dich hinwegsteigen. Und guckt man, wem es gelungen ist, in drei verschiedenen Jahrzehnten jeweils mehrere Nummer-Eins-Singles in den Billboard-Charts zu landen, bleiben außer Gaga nur zwei Namen: Michael und Janet Jackson.
Weshalb „Mayhem“ über weite Strecken nach ungebremster Lebenslust klingt: Die Discohymne „Garden of Eden“ lobpreist die Freuden eines konsequenzlosen One-Night-Stands nach Clubbesuch, bevor es zur „Bad Romance“ kommt, ist die Sängerin schon wieder durch die Tür. „Zombieboy“ entführt uns in einen New Yorker Hochsommer Anfang der 80er Jahre, bevor Aids alles kaputt gemacht hat, flirrt so leicht ins Ohr wie Blondies „Rapture“ oder ein Groovemonster von Chic. Aber es ist mehr als bloßes Pastiche, unvermutet zersägt eine Hardrock-Gitarre das entspannte Klangbild.
Gaga verquirlt immer neue, stets überraschende Einflüsse: „How Bad Do U Want Me“ beantwortet die Frage, wie sich Yazoos Synthie-Ballade „Only You“ anhören würde, hätte Taylor Swift sie geschrieben. Im bereits erwähnten „Killah“ zieht Gagas Mitstreiter, der französische DJ Gesaffelstein im Outro das Tempo an, bis der Song eine neue Heimat auf der Berghain-Tanzfläche gefunden hat.
Es ist fast schade, wenn Gaga in den finalen drei Stücken auf die Bremse drückt, man will noch nicht, dass es aufhört. Die obligatorische Powerballade, „Blade of Grass“, könnte der nächste Bond-Titelsong werden, aber „Die With a Smile“, ihr Welthit mit Bruno Mars, wirkt wie angetackert. Zucker für die Ohren, aber nicht mal halb so aufregend wie der Rest dieses lustvoll-eklektischen Albums.
„Mayhem“ ist bei Universal erschienen