Mit „Rockstar“ hat die Country-Legende Dolly Parton ihr erstes Rockalbum aufgenommen. Unsere Kritik.
Neues AlbumSchickt Mick Jagger in Rente – Dolly Parton singt jetzt das gesamte Rockrepertoire
Als Dolly Parton im März vergangenen Jahres erfuhr, dass sie zum Kreis der für die Rock & Roll Hall of Fame Nominierten gehören wird, bat sie die Verantwortlichen, ihren Namen von der Liste zu streichen. Sie fühle sich zwar geschmeichelt, habe diese Ehre aber nicht verdient. Sie sei nun mal eine Country-Sängerin und wolle Menschen, die jahrelang im Rockbusiness hart gearbeitet haben, nicht den Platz streitig machen.
Sehr sympathisch, wie man das eben kennt von der 77-Jährigen, dem vielleicht einzigen Menschen, auf den sich ganz Amerika einigen kann, von der linken Feministin bis zum Maga-Mützenträger.
Dolly Parton ackert sich fast zweieinhalb Stunden lang durch sämtliche Rock-Klassiker
Gewählt wurde Parton trotzdem. Sie akzeptierte und kündigte zugleich an, ihr erstes Rockalbum aufnehmen zu wollen, zur nachträglichen Rechtfertigung. Und da ist es nun, schlicht oder anmaßend, je nachdem wie man es verstehen will, „Rockstar“ betitelt. Eine Anmaßung, nein, eine Zumutung, ist indes die Laufzeit des Albums: 141 Minuten und 18 Sekunden, aufgeteilt auf 30 Aufnahmen, von denen nur fünf neue, von Parton selbst verfasste Songs sind und der Rest Coverversionen nahezu unbekannter Perlen des Genres. Hätte ich gerne geschrieben. Aber so ist es nicht.
Für die Trackliste bieten sich mehrere Erklärungen an, als da wären: Dolly Parton hat wirklich noch nie in ihrem Leben Rockmusik gehört und sich deswegen einfach an der Liste der meistgespielten Songs im Classic Rock Radio orientiert. Weshalb die Hörer nun in den zweifelhaften Genuss beinahe originalgetreuer Versionen von Songs wie „I Can't Get No Satisfaction“, „Every Breath You Take“ oder „We Are the Champions/We Will Rock You“ kommen. Weil man die ja unbedingt noch einmal hören wollte.
Paul McCartney und Sting dürfen nur im Hintergrund singen
Deren ursprüngliche Interpreten werden hier in den Hintergrund – Sting in „Every Breath You Take“, Paul McCartney und Ringo Starr in „Let It Be“ – oder zum Wettsingen – Elton John in „Don't Let the Sun Go Down on Me“ – verdammt. Für andere abgenudelte Klassiker hat sich Dolly jüngere, weibliche Unterstützung gesucht: Pink und Brandi Carlisle unterstützen sie bei „Satisfaction“, Lizzo und ihre Querflöte sind Überraschungsgäste bei „Stairway to Heaven“. Aber diese Updates werfen kein neues Licht auf die patriarchale Rockvergangenheit, dafür klingen sie zu sehr nach Happy Hour in der Karaoke-Bar.
Hatten wir nicht einst in „Wayne's World“ gelernt: „No Stairway! Denied!“? Die Dolly-Klone haben den Originalen nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen. Außer das Publikum ein weiteres Mal daran zu erinnern, wie tot, oder besser untot diese Musik anno 2023 klingt. Was uns zum nächsten Erklärungsversuch bringt: Man kann „Rockstar“ auch als unbescheidenen Vorschlag der Künstlerin verstehen, den gesamten Kanon im Altrockcontainer zu entsorgen und allein Partons erschöpfende Liedersammlung in der Vier-Vinylschallplatten-Ausgabe zu behalten. Als mahnendes Beispiel.
Und wie halten sich Dollys Eigenkompositionen gegen die geballte Rockpower? Gar nicht so schlecht. Das Titelstück beginnt mit einem Richie-Sambora-mäßigen Gitarrensolo (gespielt, na klar, von Richie Sambora). „Was soll der Krach?“, mosert eine Männerstimme. „Na ja, ich muss doch üben“, pariert Dolly. „World on Fire“ ist dann ihr großer Statement-Song. Die Welt brennt, die Politiker sind korrupt, wo bleiben Anstand und Respekt? Na ja.
„Bittersweet“ und „My Blue Tears“ würde man lieber als Country-Balladen hören, auch wenn Michael McDonald als Duettpartner immer eine gute Wahl ist – und Simon Le Bon zumindest eine originelle. Schade, dass Kenny Rogers nicht mehr unter uns weilt.
Mein Favorit ist der simple 80er-Jahre-Rocker „Bygones“ mit Ex-Judas-Priest-Sänger Rob Halford als Gast. Dolly Parton, das immerhin kann man sagen, zeigt sich durchwegs bei starker Stimme. Hier klingt sie ein wenig nach Klaus Meine von den Scorpions. So könnte eine Kaufempfehlung aussehen: Wer schon immer glaubte, dass Nashville mehr Hannover vertragen könnte, für den ist „Rockstar“ die ideale Platte.
„Rockstar“ ist am 17. 11. bei Universal erschienen