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Neues Album von Nina HagenSie hat die Allmacht Gottes gespürt, aber hallo

Lesezeit 4 Minuten
Nina Hagen

Nina Hagen hat nach elf Jahren ein neues Album veröffentlicht

Mit „Unity“ hat das ewige Enfant Terrible Nina Hagen nach elf Jahren Pause ein neues Album veröffentlicht. Auf dem Label von Herbert Grönemeyer.

Elf Jahre sind vergangen, seit Nina Hagen ein Album veröffentlicht hat. Jetzt ist ein neues erschienen. Damit hatte man nicht mehr gerechnet. Man hat, ehrlich gesagt, auch nicht darauf gewartet. Bemerkenswert ist es dennoch.

Denn die Hagen, das wird vom ersten Ton des ersten Songs namens „Shadrack“ an klar, vermag immer noch zu verstören. Abwechseln Kopfschütteln, glupschäugige Bewunderung und Schulterzucken auszulösen. Sie sprengt alle Schubladen, ihrer medialen Einhegung als verrückte Ufo-Hupe vom Dienst zum Trotz.

Für „Unity“, so der Titel des neuen Werks, hat sie bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records unterschrieben. Dort reiht sich die 67-Jährige nun neben Wiederveröffentlichungen von Neu!, Holger Czukay und Deutsch Amerikanische Freundschaft ein. Das passt. Sie gehört zum Kanon der besseren, wilderen, experimentierwütigen deutschen Popmusik.

Warum zwei Deutschlands zu klein für Nina Hagen waren

Sie ist zudem einer der wenigen deutschen Acts, deren Ehrgeiz, Talent und künstlerische Waghalsigkeit die engen Grenzen ihres Landes sprengten. Beziehungsweise ihrer beiden deutschen Länder, denn es spricht ja Bände, dass die Ost-Berlinerin, als sie ihrem Ziehvater Wolf Biermann 1977 in die Bundesrepublik folgte, diese gleich wieder für London verließ. Und dass sie nach dem 78er-Debüt mit der West-Berliner Nina Hagen Band schon beim zweiten Album ihre Gesangsparts lieber aus Los Angeles beisteuerte.

Zurück zu „Unity“, zurück zu „Shadrack“: Der Gospel-Song, bekannt in den Versionen von Louis Armstrong und Brook Benton, erzählt die Geschichte von Nebukadnezars Feuerofen aus dem alttestamentarischen Buch Daniel nach. Schadrach ist einer von drei Hebräern, die in den Flammen des Ofens vergehen sollen, weil sie sich weigern, ein goldenes Götzenbild anzubeten. So weit, so biblisch. Die Sängerin hat sich vor 13 Jahren im evangelisch-reformierten Glauben taufen lassen.

Entscheidend ist aber die Umsetzung: „Shadrack-ack-ack“ räuspert sich eine Vocoderstimme wie aus einem alten Daft-Punk-Track, ein eckig-funkiger Rhythmus setzt ein und Hagens Stimme irrlichtert von kettenrauchender Thekenkraft zu elektronisch säuselnder Sirene. Und ihre freie Übersetzung ist von beinahe Lindenberg’scher Flapsigkeit: Der babylonische König, bemerkt Hagen am Schluss, „hat die Allmacht Gottes zu spüren gekriegt, aber hallo“.

Bibelgeschichten von Dämonen, Feueröfen und goldenen Götzen

Das erinnert an „Antiworld“, das Auftaktstück auf Hagens   erster Soloplatte „Nunsexmonkrock“ von 1982: Eine Bibelgeschichte – diesmal die von Jesus, der einem Besessenen den Dämon Legion austreibt und in eine Schweineherde fahren lässt – vorgetragen im vielstimmigen Drogenrock-Wahnsinn.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich mir die „Nunsexmonkrock“ mit 13 Jahren in der öden Osnabrücker Innenstadt kaufte, auf der furnierten Plattentruhe meiner Oma abspielte und mich ganz furchtbar erschreckte. In der Springteufelhaftigkeit ihres Gesangs ist sich Nina Hagen über 40 Jahre hinweg treu geblieben.

Das gilt ebenso für ihren Eklektizismus. Den hat sie auf „Unity“ so weit übers Nachvollziehbare hinaus getriebenen, dass man sich fragt, ob der Titel ein Witz oder Wunschdenken ist: Auf dem Dub-Reggae-Titelstück ist unter anderem P-Funk-Gott George Clinton zu hören, aber auch das Sklaven-Spiritual „Wade in the Water“.Der Song soll Hagens Beitrag zur Black-Lives-Matter-Bewegung darstellen und man weiß nicht so recht, ob man das nun sagenhaft oder sagenhaft bescheuert finden soll.

Darauf folgt eine mit Grabesstimme vorgetragene Cover-Version von Merle Travis’ sozialistischem Folk-Klassiker „16 Tons“, die dann in die krautrockige Klangcollage „Atomwaffensperrvertrag“ mündet, die sich aus friedensbewegten Ansprachen von Hagen und Dennis Kucinich zusammensetzt, seines Zeichens zweimaliger demokratischer Kandidat für die Nominierung zur US-Präsidentschaftswahl, überzeugter Veganer und linker Trump-Fan.

Wer an dieser Stelle bereits irritiert aufgibt, der verpasst „Venusfliegenfalle“, eine etwas monoton dahinrockende Warnung an die Nasa, zukünftige Marsflüge doch bitte zu unterlassen. Der Kampf ums All, orakelt die Sängerin, habe gerade erst begonnen. Noch bizarrer ist freilich ihre Neuaufnahme von Marlene Dietrichs eingedeutschtem Bob Dylan-Cover „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“: Hagens Stimme hallt wie im 1960er-Jahre-Schlager, ein geisterhafter Kinderchor scheint ihr direkt aus dem Jenseits zu assistieren, dazu fiept ein monophoner Synthie wie ein trauernder Hund.

Im Vergleich wirkt die feministische Disco-Hymne „United Women of the World“ geradezu eingängig und erdverbunden, bemerkenswert ist sie vor allem, weil Hagen hier ihre Post-Punk-Kollegin Lene Lovich mit der einstigen Boney-M.-Stimme Liz Mitchell zusammenbringt. Wer außer ihr könnte das?

Nach längerem Hören findet man sogar ein übergreifendes Thema im Wirrwarr: Es ist die Sehnsucht nach Erlösung. „Unity“ ist nach keiner gängigen Definition ein gutes Album. Aber es ist interessanter als 90 Prozent aller aktuellen deutschen Veröffentlichungen. Am Ende singt die Hagen mit Bob Geldof ein Lagerfeuerliedchen zur Wandergitarre. Und warum auch nicht.