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Neues AlbumWarum sich Taylor Swift auf „The Tortured Poets Department“ gegen ihre Fans wendet

Lesezeit 5 Minuten
02.06.2023, USA, Chicago: Sängerin Taylor Swift tritt während ihrer «Eras Tour» im Soldier Field auf.



Im neuen Album von Taylor Swift geht es viel um Liebeskummer.

Taylor Swift hat mit „The Tortured Poets Department“ ihr elftes Studioalbum veröffentlicht.

Taylor Swift hat die Popmusik monopolisiert. Da kann es nicht verwundern, dass ihr neues Album auch ihr bislang Swiftigstes ist.

Neulich hatte ich einen Traum. Einige von Taylor Swifts Ex-Boyfriends – von Jordan Alford („Du bist ein Redneck-Herzensbrecher, der schlecht lügen kann“) über John Mayer („Denkst Du nicht, dass ich zu jung war, um mit mir herumzumachen?“) bis zu Jake Gyllenhaal („Ich muss nicht Dein Psychiater sein, um zu wissen, dass Du nie glücklich sein wirst“) – hatten sich zusammengetan, um den großen Antwortsong auf Swifts gnadenlos getextete Abrechnungen zu schreiben. Als ich aufwachte, dachte ich mir, dass dabei wahrscheinlich nur ein beleidigtes „I’m Just Ken“ herauskommen würde. Die Liebe kennt kein Gesetz, es ist nicht nötig, beide Seiten zu hören.

Freilich hat Swift schon seit zehn Jahren kein klassisches Trennungslied mehr veröffentlicht, die Zehn-Minuten-Version ihres „Red“-Klassikers „All Too Well“ mal ausgenommen. Auf ihren musikalisch introspektiven Pandemie-Alben „Folklore“ und „Evermore“ hatte sie als Autorin endlich die Außenwelt und das Erzählen in der dritten Person Singular für sich entdeckt. Auf „Midnights“, ihrem bislang letzten Studiowerk mit neuem Material, ließ sie sogar ihren langjährigen Lebensgefährten Joe Alwyn an einigen Stücken mitschreiben und sparte sich ihr Vitriol für einige ausgesuchte Feinde aus dem Schaugeschäft auf.

Streng genommen hat Taylor Swift sogar zwei Alben veröffentlicht

Jetzt hat die Pop-Monopolistin nach der kurzen Zeitspanne von 18 Monaten streng genommen gleich zwei neue Alben herausgebracht: „The Tortured Poets Department“ und eine um 15 Songs erweiterte Version namens „The Tortured Poets Department: The Anthology“. Nach „Midnights“ hatte Swift mit ihrer „Eras“-Tour, der erfolgreichsten aller Zeiten, einen Karrierehöhepunkt erreicht, wie er noch keiner anderen Performerin vergönnt war, sie hat nebenbei ihre alten Alben „Speak Now“ und „1989“ – ihren Durchbruch als Popstar – neu eingespielt, hat mit Alwyn Schluss gemacht, sich mit Matt Healy, dem Sänger der britischen Band The 1975 mehr gequält als vergnügt und mit einem nicht ganz unbekannten Football-Star eine neue Liebe gefunden. Andere Leute schaffen es in derselben Zeit noch nicht einmal die Trödelecke im Wohnzimmer aufzuräumen.

Travis Kelce, ihrem Tight End der Herzen, widmet Swift jedoch nur ein Stück auf „The Tortured Poets Department“ und die Football-Metaphern in „The Alchemy“ sind so augenfällig, dass in den Fanforen längst die Diskussion über versteckte Zweitbedeutungen heiß läuft. Erfüllte Beziehungen geben als Thema nicht viel her und in einem Gedicht zum Album gibt Swift unumwunden zu: „Es sind die schlimmsten Männer, über die ich am besten schreibe.“

This combination of cover images released by Republic Records shows "The Tortured Poets Department" by Taylor Swift. (Republic Records via AP)

Mit diesen verschiedenen Covern kann man „The Tortured Poets Department“ erwerben.

Wie wahr. „Du bist nicht Dylan Thomas/Ich nicht Patti Smith/Das hier ist nicht das Chelsea Hotel/Wir sind moderne Idioten“ heißt es etwa im Titelsong: Das richtet sich wohl an Matt Healy, den gequälten Poser-Poeten. Und „My Boy Only Breaks His Favorite Toys“ beginnt mit einem genervten Augenrollen: „Oh, da sind sie wieder, die Stimmen in seinem Kopf.“ Und auch ihre Selbstanklagen kann man als harte Abfuhren lesen: „I Can Fix Him (No Really I Can)“ heißt ein Song, „But Daddy I Love Him“ ein anderer.

Was man viel zu selten liest: Taylor Swift kann verdammt witzig sein. „Sag mir, dass sich nicht alles um mich dreht“, singt sie in „Who’s Afraid of Little Old Me?“, um sogleich hinzuzusetzen: „Aber was, wenn es das doch tut?“ Warum, könnte die bedrohte Minderheit der Nicht-Swifties an dieser Stelle nachfragen, sollten wir uns überhaupt für die Dating-Probleme einer amerikanischen Milliardärin interessieren? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil ihr größtes Talent darin besteht, ihr High-End-Liebesleben in Songs zu bündeln, die die Erfahrungen von Millionen Frauen widerspiegeln.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Swift auf „The Tortured Poets Department“ neben den beiden Ex-Lovern noch einen dritten Bösewicht ausmacht: ihr eigenes Publikum. Im oben erwähnten „But Daddy I Love Him“ aktualisiert sie nicht nur die Romeo-und-Julia-Referenzen ihres Teenager-Dramas „Love Story“ mit „Hamlet“-Zitaten – das Konzept von Intertextualität ließe sich ganz hervorragend mit Swifts Oeuvre vermitteln –, sie wendet sich am Ende auch direkt gegen die besorgten Besserwisser aus ihrer Fan-Armee, „all diese Vipern, die sich als Empathen verkleiden“: „Ich würde lieber mein ganzes Leben niederbrennen, als noch eine Sekunde diesen Gezicke und Gejammer zuzuhören.“

Das wirkt weniger dünnhäutig als abgeklärt, nicht umsonst klingt sie gleich auf dem ersten Stück „Fortnight“ (mit einem sehr zurückgenommenen Post Malone) ein wenig nach Lana Del Rey. Man kann sich von Zehntausenden im Stadion als Popgöttin feiern lassen – und sich dabei trotzdem allein und deprimiert fühlen. Man kann das der Menge allerdings auch bei nächster Gelegenheit mitteilen, um die Sachlage zu verkomplizieren (und damit letztendlich noch reizvoller zu gestalten).

Ich habe noch nicht über die Musik gesprochen. Die zieht die Summe aus dem Indie-Folk ihrer Blockhütten-Phase und den schimmernden Neonklängen von „Midnights“. Erster wirkt so stadionkompatibler, letzterer stärker geerdet. Swifts langjährige musikalische Partner Jack Antonoff und Aaron Dessner teilen sich die Produktions- und auch viele der Songwriting-Credits mit ihr, allerdings sind Dessners ruhigere Co-Kompositionen größtenteils auf der „Anthology“ gelandet. Noch ruhigere, könnte man sagen. Denn Swift scheut allzu heftige Pegelausschläge, selbst ihr gemeinsamer Song mit Florence Welch, dürfte das am dezentesten aufbrausende Stück in der Diskografie von Florence + the Machine sein.

Die ganze Arbeit steckt hier in den Kompositionen und im anschließenden Feinschliff, unterm Kopfhörer kann man sogar Verweise auf Swifts Country-Vergangenheit herauslauschen, eine Pedal-Steel-Gitarre hier, eine fidele Sologeige dort. Aber das Risiko, das sie in ihren Texten nicht scheut, meidet Swift in ihrer Musik. „The Tortured Poets Department“ ist so vielleicht die klassischste aller Swift-Platten, oder sollen wir einfach sagen: die Swiftigste?

Das ist eben auch exakt das, was die meisten Menschen von ihr hören wollen, so gut umgesetzt, wie es nur menschenmöglich ist. Aber warum sollte man Swift dafür loben? Auch das kann sie besser als ihre Kritiker: „Du weißt, dass du gut bist“, singt sie, „wenn du es mit einem gebrochenen Herzen tun kannst.“