Der alternde Entertainer wollte keine weinerliche Bilanz abliefern. Aber das ist Thomas Gottschalk wirklich nicht leicht gefallen.
Neues Buch „Ungefiltert“Mit dieser Kränkung hadert Thomas Gottschalk 320 Seiten lang
Thomas Gottschalk ist berühmt dafür geworden, in Hörfunk und Fernsehen Dinge auszusprechen, die man nicht in ein Mikrofon oder in eine Kamera zu sagen pflegte. Die öffentlich-rechtliche Medienwelt folgte in den 1970ern und 1980ern noch einem starren Regelwerk, selbst Spielshows mit Kindergeburtstagsaufgaben verliefen so regelkonform, als folge man dem spanischen Hofzeremoniell.
Der blond gelockte Kulmbacher aber vertraute seinem naturgegebenen Witz, ohne Rücksicht auf Verluste – der Zuspruch des Publikums stärkte ihm den Rücken. Heute wird Gottschalk für eben jene unbedachte Spontanität regelmäßig gemaßregelt. Früher, beklagte er in der wütenden Abschiedsrede am Ende seiner finalen „Wetten, dass..?“-Sendung, habe er im Fernsehen so geredet, wie er es auch zu Hause mache. Das könne er schon länger nicht mehr.
Thomas Gottschalks Endgegner sind die Influencer
Das ist das eine. Das andere ist, dass jetzt im Netz jeder so bedenkenlos daherschwätzt, wie es einst ausschließlich Gottschalk im Nachmittagsprogramm von Bayern 3 oder am Samstagabend im ZDF durfte. In seiner gut 300 Seiten langen Suada klagt der alternde Entertainer, „dass meine Stimme, die man früher wahrgenommen und gehört hat, heute im Schwall der vielen Millionen untergeht, denen das Netz eine Stimme gegeben hat“.
„Ungefiltert“ (Heyne, 24 Euro) steht derzeit auf Rang 9 der „Spiegel“-Sachbuchliste, es hört also noch jemand zu. Trotzdem sitzt diese doppelte Kränkung tief.
Gottschalk bemüht sich, den Plauderton seiner Liveshows zu verschriftlichen, streut nur hie und da ein paar lateinische Floskeln ein, weil er doch Respekt vorm Medium Buch hat und das seine Idee von humanistischer Bildung ist. Geschwätz sei sein Berufsmodell gewesen, gibt er unumwunden zu, und bekennt freimütig die Angst, dass ihm seine „Bekenntnisse“ als „weinerliche Bilanz eines älteren Mannes“ ausgelegt werden könnten.
Aber es ist ja Gottschalk selbst, der sich auf jeder zweiten Seite als „alter weißer Mann“ gegen jene „Influencer“ in Position bringt, die er sich zum Angstgegner auserkoren hat. Der Gekränkte ist kein frei drehender Reaktionär wie Peter Hahne, intellektuell versteht er durchaus, dass sich die Welt weitergedreht hat. Aber emotional kommt er mit seinem Bedeutungsverlust einfach nicht zurecht.