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Lesung in KölnThomas Gottschalk: „Das Fernsehen braucht mich nicht mehr“

Lesezeit 5 Minuten
Entertainer Thomas Gottschalk bei der lit.Cologne Spezial in der Flora in Köln.

Entertainer Thomas Gottschalk bei der lit.Cologne Spezial in der Flora in Köln.

Thomas Gottschalk vergewissert sich bei der lit.Cologne der Liebe seiner Fans, schimpft auf den ÖRR und kann die Kritik nicht nachvollziehen.

Ein paar Fans können es am Samstagabend in der Kölner Flora nicht erwarten, nun endlich das lang ersehnte Erinnerungsfoto ihres Idols zu machen und schleichen sich aus den hinteren Reihen nach vorne, um Thomas Gottschalk besser im Bild zu haben. Und was macht der? Der 74-Jährige steht auf, breitet die Arme aus, so wie er es zu Beginn einer jeden „Wetten, dass..?“-Sendung früher machte, und lässt sich fotografieren. Für einen Herren geht er gar auf die Knie und macht mit ihm ein Selfie.

Wie ein Prediger wirkt er, der zu seinen Jüngern spricht, und das passt ja auch irgendwie, denn die Hörer seines Podcasts mit Mike Krüger nennen sich Apostel. Einer Predigt oder einem Gottesdienst ähnelt dieser Abend im Rahmen der lit.Cologne Spezial dann tatsächlich. Moderator Jörg Thadeusz wagt sich schon früher von der Bühne und lässt Menschen aus dem Publikum Fragen stellen. Fast niemand kommt ohne den Hinweis auf schöne Erinnerungen an Samstagabende vor dem heimischen Fernseher aus, die ihnen Gottschalk als Moderator von Europas größter Livesendung verschönerte.

Thomas Gottschalk: Der Zuspruch tut ihm sichtlich gut

Gottschalk beweist in den Gesprächen, dass er noch immer schlagfertig ist. Und es ist deutlich zu spüren, dass ihm der Zuspruch guttut. Die vergangenen Wochen seit Erscheinen seines Buches, seit dem umstrittenen Interview im „Spiegel“ und seinem Auftritt im „Kölner Treff“ sind offensichtlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

Er fühlt sich unverstanden, falsch und einseitig dargestellt. So geht es in den anderthalb Stunden in der Flora weniger um sein Buch „Ungefiltert – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“, sondern vielmehr um die mediale Wahrnehmung seiner Person und die Frage, ob das deutsche Fernsehen Gottschalk braucht oder Gottschalk das Fernsehen.

Er gibt sich nüchtern. „Ich habe mein ganzes Leben lang performt für Menschen, die es nicht wert gefunden haben, einzuschalten“, sagt er. Aber nun stehe eben fest: „Das Fernsehen braucht mich nicht mehr.“ Dabei habe er noch 14 Millionen Zuschauer bei seiner letzten „Wetten, dass..?“-Sendung gehabt, aber das ZDF wolle es eben nicht fortsetzen, auch wenn er es gerne noch einmal im Jahr machen wolle und sich dafür auch fit genug fühle. Das Publikum in Köln ist da ganz bei ihm und applaudiert heftig. „Die Öffentlich-Rechtlichen laufen einer Klientel hinterher, die kein Fernsehen mehr schaut“, so der Moderator.

Den Gegenwind versteht Thomas Gottschalk nicht

Er wirkt ein Stück weit verloren, wie ein König ohne Reich. Ihm fehlt offensichtlich die Anerkennung. Es ist in der Tat erstaunlich ehrlich, wenn er sagt, dass ihm „das Feuilleton nie wurscht war“. Als er einmal in Los Angeles eine Oper inszenieren sollte, lehnte er ab aus Angst, in Deutschland verrissen zu werden.

Da ist einer, dessen berufliches Selbstverständnis darauf aufbaute, von (fast) allen gemocht zu werden. Und den Gegenwind, der ihm nun ins Gesicht bläst, kann er nicht verstehen. „Der ‚Spiegel‘ hat sich Mühe gegeben, mich alt aussehen zu lassen“, sagt er über das Interview. „Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst“, hatte er darin gesagt. Das kam bei vielen nicht gut an. Erst vergangene Woche machte sich Carolin Kebekus darüber in ihrer Sendung in einem Lied lustig. Sollten die Komikerin oder ihre Fans da sein, könnten sie sich gerne zeigen, so Gottschalk in Köln: „Bei mir fliegt keiner raus.“

Aber bei der Frage, ob er sich Frauen gegenüber unangemessen verhalten hat, ist er dünnhäutig: „Wenn ich Frauen betatscht habe, war das eine Verlegenheitsgeste und keine Anmachgeste“. Er sei nie flegelhaft gewesen, habe nie eine Frau in der Sendung angebaggert. „Und das ist das, was mich ärgert. Dass 30 Jahren Unterhaltung, die ich gemacht habe, auf diese paar Mal reduziert werden, wo ich Frauen angefasst habe, ohne ihnen wirklich nahekommen zu wollen.“

Ein Gedanke ist es, den er fast wie ein Mantra häufig wiederholt: „Ich komme aus einer anderen Welt.“ Man müsse akzeptieren, dass sich die Zeiten ändern. Aber warum es ihm dann so schwerfällt, einzuräumen, dass Verhalten, dass man früher für angemessen hielt, dennoch problematisch war, erschließt sich nicht.

Beim Gendern geht es nicht um Thomas Gottschalk

„Ich überlege schon, ob das Gendern mir etwas bringt, aber ich glaube nicht, dass ich irgendeiner Frau einen Gefallen tue, wenn ich das Gendersternchen mitspreche, weil sich keines ihrer Probleme sich damit löst“, sagt er irgendwann. Es ist ein interessanter Satz, denn es geht ja gerade nicht um ihn bei diesem Thema.

Mit wirklich kritischen Fragen muss sich Thomas Gottschalk an diesem Abend aber nicht auseinandersetzen. Jörg Thadeusz sieht seine Aufgabe offensichtlich eher darin, ihm eine Bühne zu bauen. Eine Zuschauerin unterbricht die allgemeine Lobhudelei dann allerdings doch. Es habe sie beschäftigt, dass Gottschalk in einer Passage eines früheren Buches beschreibt, wie er seinen Sohn ohrfeigte.

Nun gibt er sich geläutert: „Das tut mir heute noch leid. Ich bin gegen jede Form von Gewalt.“ Nur um nachzuschieben, dass sein Sohn in der Situation allerdings eine Beatles-Platte zerkratzt habe, da verstehe er keinen Spaß. Bei den Stones hätte er anders reagiert. So läuft es an diesem Abend immer. Jedes Mal, wenn er einräumt, einen Fehler gemacht zu haben, relativiert er die Aussage gleich wieder.

Und er bedient ein gefährliches Narrativ. Er könne verstehen, dass Menschen Angst haben, die Demokratie gehe vor die Hunde, „weil die Leute das Gefühl haben, sie können nicht mehr alles, was sie denken, laut aussprechen.“ So gehe es ihm selbst auch. „Früher habe ich erst geredet und dann gedacht, und heute denke ich erst und sage dann nichts mehr.“ Dabei ist die Wahrheit doch eine andere: Sagen kann man immer noch alles, man muss nur damit rechnen, dass jemand widerspricht. Und genau das macht eine Demokratie aus.

Mit solchen Fragen will sich das Publikum in der Flora allerdings nicht befassen. Bei vielen herrscht offensichtlich die Sehnsucht vor, ein diffuses „Früher war alles besser, weil einfacher“-Gefühl auszuleben. Und Gottschalk gibt ihnen genau dieses Gefühl.