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Neues Buch vom Tocotronic-SängerWie Dirk von Lowtzow mit seinem Teddy den Lockdown überstand

Lesezeit 4 Minuten
Der Sänger Dirk von Lowtzow der Band Tocotronic steht bei der Verleihung des Preises für Popkultur im schwarzen Anzug auf der Bühne, nachdem sie den Preis für das Lieblingsalbum gewonnen haben.

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow hat sein zweites Buch veröffenticht

Eigentlich wollte Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow nur das Jahr vor seinem 50. Geburtstag dokumentieren. Stattdessen hat er ein glückliches Pandemie-Tagebuch geschrieben.

Wie so viele Menschen, die sich gegen eine bürgerliche 9-5-Existenz entschieden haben, ist Dirk von Lowtzow fasziniert von Ordnungssystemen.

In seinem ersten Buch „Aus dem Dachsbau“ hatte der Tocotronic-Sänger die Form des Abécédaire gewählt. Also einer Fibel, in der alle Vignetten – egal, wie wunderlich sie im Einzelnen ausfallen mögen – sauber nach den Buchstaben des Alphabets aneinandergereiht werden.

„Aus dem Dachsbau“ war zugleich ein Reisebuch, man folgte dem Autor auf seinen Streifzügen durch unbehauste, abseitige Orte, aber immerhin ging es irgendwie voran. „Ich tauche auf“, sein zweiter, ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienener Nicht-Roman, ist nun ein Dokument des Stillstands geworden.

Diesmal hat von Lowtzow die Ordnungsform des Tagebuchs gewählt. Der Plan, sein 50. Lebensjahr schriftlich festzuhalten, habe schon länger bestanden. Dass sein 49. Geburtstag am 21. März 2020 just mit dem Beginn der ersten Massenquarantäne zusammenfällt, ist purer Zufall. Es sind wirklich 366 Einträge geworden, von Wiegenfest zu Wiegenfest, oder, wie es von Lowtzow in Anspielung auf den alten House-Hit des Kölner Trios Whirlpool Productions nennt: „from Lockdown to Lockdown“.

Im Park versuche ich, entgegenkommenden Spaziergängern weiträumig auszuweichen, und komme mir dabei vor, wie eine Figur in einem Videospiel
Dirk von Lowtzow

Denn zwangsläufig hat sich das Verzeichnis der Tage zum Pandemie-Journal geweitet, beziehungsweise verengt. Je nachdem, ob der Chronist in seiner Berliner Wohnung ausharrt, oder draußen Abstand sucht. „Im Park versuche ich, entgegenkommenden Spaziergängern weiträumig auszuweichen, und komme mir dabei vor, wie eine Figur in einem Videospiel“, schreibt von Lowtzow und der Leser wundert sich, wie unendlich weit entfernt diese Zeit erscheint, in der das Wort „Begegnung“ bereits jener unschönen Doppelbedeutung entgegeneilte, die es dann mit Einführung der Corona-Warn-App erhielt.

Dass die verlorene Zeit nach 2020 derart geschwind auf den sumpfigen Grund der Erinnerung gesunken ist, liegt auch daran, dass man sie möglichst schnell vergessen will. Wenn von Lowtzow sie jetzt wieder detailfreudig heraufbeschwört, ist das eine kleine Herausforderung. „Hoffnung“ etwa, die Single, die Tocotronic im April 2022 veröffentlichten, löst zumindest bei mir im Nachgang eine gewisse Abwehrreaktion aus. So viel getragenen Ernst will man zurzeit doch gar nicht hören.

Dabei, auch das erfährt man hier, ist das Stück vor dem Ausnahmezustand entstanden, als „ein Lied über existenzielle Einsamkeit“, in dem Begriffe wie „Lied, Stück, Lyrics, Music, Klang und Ton mehr und mehr zu einem fugenhaften Generator werden“, „einen Ausweg aus der Verzweiflung“. So hat man das damals selbst wahrgenommen und ebenso gierig an sich gerissen, wie man es heute von sich weist.

Von Lowtzow schickt seinen Stoffbären auf Reisen

Dirk von Lowtzows schmalen Band gewinnt man trotzdem lieb. Binsen wie die, dass wir die Beschädigungen, die diese Zeit bei uns allen hinterlassen hat, noch gar nicht ermessen könnten, bleiben die Ausnahme. Es überwiegt sein spezielles Talent, die Dinge ins leicht Surreale zu kippen, ohne jemals in das schwülstige Geraune zu verfallen, das etwa den Betrachter eines Neo-Rauch-Bildes belästigt.

Verrätselter Überhöhung setzt von Lowtzow die geballte Macht der Niedlichkeit entgegen. Der Plüschtierfanatiker beschreibt die Traumreise seines treuen Bettbegleiters Bärchen, fügt sogar liebevolle Umrisszeichnungen des Bärchens an. Gleichwohl ist diese Fahrt kein kindlicher Spaß, eher eine Wanderung durch eine seltsame Transit-Zone wie in Tarkowskis Film „Stalker“.

Was die Tagebuchform auch mit sich bringt, ist jede Menge Alltag, der die geistigen Fluchten erdet. Der Autor sitzt im ICE, besucht die Freundin am Filmset, hat Rückenweh, diskutiert mit den Bandkollegen im Hansa-Studio, erholt sich, wie einst Bert Brecht, in Buckow in der Märkischen Schweiz, oder frönt in der Berliner Wohnung seinem Putzfimmel.

Was er dann fühlt, kann jeder nachvollziehen: Er kann nicht mehr, er dreht sich im Kreis, er stellt fest, wie schwer es ist, mit steigendem Alter nicht reaktionär zu werden. Aber er geht nicht unter, er taucht auf.

Der Buchtitel ist zugleich der eines wunderschönen Duetts mit der Österreicherin Soap & Skin. „Ich will“, schreibt von Lowtzow an seinem 50. Geburtstag im letzten Eintrag, „von diesem traurigen Jahr erzählen, als wäre es die schönste Zeit meines Lebens gewesen.“

„Ich tauche auf“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, 240 Seiten, 22 Euro. Dirk von Lowtzow liest und singt am 13. April im Kölner Gloria-Theater.