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Interview

Sally Lisa Starken
„Ich habe mir vorgenommen, mit AfD-Wählern auf Augenhöhe zu sprechen“

Lesezeit 7 Minuten
Autorin Sally Lisa Starken

Autorin Sally Lisa Starken

Für ihr neues Buch „Zu Besuch am rechten Rand“ hat Sally Lisa Starken mit AfD-Wählern gesprochen, um deren Motivation zu ergründen.

Frau Starken, AfD-Sympathisanten werden noch immer hauptsächlich in Ostdeutschland vermutet. Sie schreiben aber in Ihrem Buch, ein Großteil der AfD-nahen Bevölkerung wohnt in Westdeutschland. Wo haben Sie Ihre Gesprächspartner getroffen?

Sally Lisa Starken: Ich war nur für das erste Kapitel in Ostdeutschland, meine anderen Gespräche habe ich in Nordrheinwestfalen, Hessen und Niedersachsen geführt – meistens mit Menschen, die ich auf der Straße, bei Kundgebungen oder in Cafés angesprochen habe, aber auch mit Menschen aus meinem persönlichen Umfeld. Wir reden immer über „den Osten“. Mein Buch enthält ein Kapitel darüber, weil ich es wichtig finde, das kritisch zu betrachten, denn ich selbst komme aus Westdeutschland. Als ich für die Recherche in Görlitz war, ist mir bewusst geworden, dass die AfD das Narrativ mithilfe des Spruchs „Wir sind der Osten“ umdreht und die Menschen dazu animiert, stolz auf ihre Herkunft als Ostdeutsche zu sein. Zur Entstehungszeit des Buches haben die drei Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen stattgefunden und in Thüringen hat mit Björn Höcke ein Faschist gewonnen. Ohne einen Aufenthalt in diesen Bundesländern wäre das Buch nicht vollständig gewesen. Aber die Reise dorthin sollte kein Alleinstellungsmerkmal sein.

Nun steht ganz Deutschland kurz vor der Bundestagswahl. Ihr Buch erscheint wenige Tage davor. War das Absicht?

Eigentlich war das Buch für Ende März geplant. Als die Wahl vorgezogen wurde, habe ich beim Verlag nachgefragt, ob wir das Veröffentlichungsdatum vorverlegen können. Ein Datum nach der Wahl wäre zwar auch völlig okay gewesen, aber es ist doch spannender, wenn man sich die Fragen, die das Buch behandelt, noch vor der Wahl stellen kann. Wahrscheinlich werden wenige Menschen vorher alles lesen. Aber ich habe kürzlich ganz viele Ausgaben signiert, die Interessierte an AfD-Wähler verschenken wollen. In eine sollte ich zum Beispiel die Widmung „Vielleicht hilft dir das bei deiner Meinungsfindung“ hineinschreiben. Vielleicht stimmt das Buch Menschen nicht immer um, aber es ist trotzdem wichtig, weil wir uns auch nach der Wahl damit beschäftigen müssen, wie wir mit der AfD umgehen.

Wir reden immer über „den Osten“. Ich finde es wichtig, das kritisch zu betrachten.
Sally Lisa Starken

Was wollten Sie mit Ihrer Recherche bezwecken?

Ich habe mir vorgenommen, mit AfD-Wählern oder -Sympathisanten auf Augenhöhe zu sprechen, ihnen also erstmal vorurteilsfrei zuzuhören – ohne die Intention, sie zu überzeugen. Ich wollte keinen Aktivismus betreiben, sondern einfach wissen, warum sich diese Menschen der AfD zugewandt haben. Ich habe nicht mit denjenigen gesprochen, die öffentlich als Rechtsextremisten auftreten, denn dann hätte ich nur reproduziert, was sie denken und tun. Meine Gesprächspartner fühlen sich der Mitte der Gesellschaft zugehörig, haben aber aus verschiedenen Gründen den Anschluss an demokratische Parteien verloren. Man kann in meinen Augen nicht sagen, dass jeder, der Rechtsextreme wählt, selbst rechtsextrem ist. Es stimmt zwar: AfD-Wähler setzen ihr Kreuz mittlerweile mehr aus Überzeugung, die Protestwähler gibt es nicht mehr so sehr. Und sie tragen ganz klar eine Verantwortung.

… aber?

Aber es ist gibt immer noch einen Unterschied zwischen denjenigen, die mit rechtsextremen Erkennungszeichen auf eine Demo gehen und neonazistische Parolen rufen und denen, die meinen, nicht mehr gesehen zu werden. Sie wählen die AfD für die vermeintlichen Lösungen, die sie verspricht, und nehmen den Rest in Kauf. Ich habe oft eine Verharmlosung der Partei beobachtet. Zum Beispiel habe ich Sätze gehört wie: „Die AfD verändert was – so schlimm, wie alle sagen, ist sie nicht.“ Menschen, die so etwas äußern, haben eine selektive Wahrnehmung. Sie sehen den Rechtsextremismus in der AfD nicht. Ich habe einer meiner Interviewpartnerinnen nach unserem Gespräch auf einer Kundgebung von Alice Weidel nochmal Weidels menschenverachtende Parolen aus meiner Audioaufnahme vorgespielt. Sie hat sie einfach überhört.

Welche Probleme haben diese Wähler, dass sie den Menschenhass der AfD ignorieren?

Das ist unterschiedlich. Am emotionalsten fand ich das Gespräch mit der Frau, von der ich eben gesprochen habe. Sie ist in meinem Alter, das hätte also auch ich sein können. Aber wir beide sind in einem anderen Umfeld aufgewachsen, und sie hat für sich ganz andere Antworten auf ihre Fragen bekommen als ich. Bei ihr hat die Sozialisierung ihrer Eltern in der DDR eine große Rolle gespielt, der Grundsatz, dass man mit Russland keinen Krieg führt, Verlustängste, die Sorge, dass ihre Eltern im Alter finanzielle Probleme bekommen – alles Dinge, die die AfD anspricht. Aber auch Menschen in Westdeutschland haben Angst vor dem sozialen Abstieg und davor, dass die vielen Krisen auf der Welt, zum Beispiel Kriege, sie zu sehr überfordern. Das sind eigentlich Themen, die linke oder progressive Parteien ansprechen sollten, aber die haben ihre Inhalte in den letzten Jahren vielleicht einfach nicht gut genug verkauft. Und so ist das Vertrauen in diese Politik verloren gegangen, weil zu wenig für die Menschen mit solchen Sorgen passiert ist.

Ich habe oft eine Verharmlosung der AfD beobachtet.
Sally Lisa Starken

Laut dem ARD-Deutschlandtrend macht sich die Bevölkerung am meisten Sorgen um die wirtschaftliche Lage und am zweitmeisten um die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die AfD fängt auch diese Ängste auf – und schürt dabei Rassismus. Wieso verfängt der so gut in ihrer Wählerschaft?

Mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durchs Leben zu gehen ist sehr viel einfacher, weil man für seine Probleme einen Sündenbock, eine simple Lösung gefunden hat. Geflüchtete oder Zugewanderte gelten als Kriminelle und als die, die „den Deutschen“ ihre Arbeitsplätze wegnehmen. Aber diese gruppenbasierte Menschenfeindlichkeit funktioniert meistens nur, wenn man die Personen, über die man herzieht, nicht kennt.

Inwiefern?

Als ich zum Beispiel für meine Recherche im thüringischen Nordhausen war, habe ich nach einer Kundgebung von Björn Höcke in einem asiatischen Imbiss gegessen, wo ganz viele Teilnehmer der Kundgebung saßen – wenige Minuten, nachdem Höcke noch von der Bühne geschrien hatte: „Unsere Fachkräfte machen wir selbst!“ Die Menschen denken nach dem Motto: „Der Dönerverkäufer von nebenan und der Nachbar mit türkischen Wurzeln, die sind ja nett, und dass Alice Weidel lesbisch ist – auch okay.“ Aber wenn es sich um größere Gruppen handelt, die diese Menschen repräsentieren, dann beginnt die Hetze.

Haben Sie Angst, Ihr Buch könnte die rassistischen Aussagen von AfD-Anhängern noch weiter in die Öffentlichkeit tragen?

Nein. Ich habe immer noch das starke Gefühl, dass es richtig ist, Menschen zuzuhören. Ich glaube nicht, dass das Buch dazu verleitet, die AfD zu wählen. Sondern eher, dass wir uns dadurch damit beschäftigen, warum es diese Partei gibt. Das kann helfen, die Mechanismen zu verstehen, die gerade passieren, und regt zum Nachdenken an. Ich erlebe öfter, dass Menschen etwas für die Demokratie tun wollen, aber nicht wissen, was. Sie dabei zu unterstützen, das ist mein Anspruch und was ich bewirken will.

Sollten wir nicht auch den Menschen zuhören, die unter Rassismus leiden, sodass ihre Lebensrealität gezeigt und so etwas für die Demokratie getan wird?

Doch, es wäre auf jeden Fall sehr wichtig, diese Geschichten öfter zu hören. Medien müssen viel diverser aufgestellt sein, damit alle Menschen abgebildet werden und rassismuskritischer Journalismus betrieben wird. In meinem Buch gibt es unter anderem ein Kapitel über den Content Creator Tahsim Durgun, der in den sozialen Medien Videos aus seiner Lebenswelt als Deutscher mit türkischen Wurzeln veröffentlicht. Ich glaube, Menschen müssen wieder mehr miteinander in Kontakt kommen. Denn das ist das beste Mittel, um Rassismen und Vorurteile abzubauen.


Sally Lisa Starken ist Politikjournalistin und betreibt den Podcast „Die Informantin“. Für ihr Buch „Zu Besuch am rechten Rand – warum Menschen AfD wählen“ hat sie in verschiedenen Bundesländern recherchiert, darunter in ihrer Heimat NRW. Neben Einordnungen durch Wissenschaftler enthält das Buch ein Kapitel darüber, wie wir wieder ins miteinander ins Gespräch kommen und gegen rechtsextreme Parolen vorgehen können. „Zu Besuch am rechten Rand“ erscheint am 19. Februar und kostet als Taschenbuch 16 Euro.