Neues Deep Purple-AlbumEs ist noch Rauch auf dem Wasser
- Die Geschichte der Rockmusik ist eigentlich abgeschlossen. Niemand erwartet mehr Innovationen von dem Genre.
- Jetzt sind Deep Purple mit ihrem neuen Album „Woosh!" auf Platz Eins der deutschen Albumcharts gelandet.
- Warum ausgerechnet die britischen Rockdinosaurier dem Zeitgeist trotzen können.
Köln – Wann genau ist die Rockmusik eigentlich gestorben? Schon im Februar 1959, kaum, dass sie abgehoben hatte, als sich Buddy Holly – der die Blaupause für alle Bands, die da kommen mochten, geschaffen hatte – an Bord einer Beechcraft Bonanza in den gefrorenen Boden von Iowa bohrte? Oder erst viel später, Mitte der 90er, mit dem Suizid des letzten Rockmessias Kurt Cobain und der Gründung Nickelbacks, der berüchtigt schlechtesten Rockband aller Zeiten?
Letzteres mag zumindest der Zeitpunkt gewesen sein, an dem sich die meisten Rockmusikkritiker von der Rockmusik ab- und der Elektronik und dem Hiphop zuwandten. Selbst, wenn das damals noch eine Minderheitsmeinung war: Unbestreitbar, weil zahlenmäßig belegt, ist, dass in den Zehner Jahren des neuen Jahrtausends Hiphop Rockmusik als das meistgehörte und -konsumierte Genre abgelöst hat. Die wenigen Rockalben, die sich gut verkauften, waren entweder von jungen Poser-Bands, die kein Rockfan alter Schule dem Genre zugeordnet hätte, wie den Twenty One Pilots oder Imagine Dragons, oder es handelte sich um reine Nostalgie-Produkte wie die Soundtracks zu den „Guardians of the Galaxy“-Filmen, die sich ja gerade am immer mitschwingenden Albernheitsfaktor des Authentizitäts-hubernden Genres ergötzten.
Nicht weniger unbestreitbar ist allerdings die Tatsache, dass die deutschen Albumcharts momentan von Deep Purple angeführt werden. Doch, wirklich. Den „Smoke on the Water“-Deep Purple. Alte, weiße Männer, die im 53. Jahr ihrer Karriere und nach etlichen Umbesetzungen mit dem lautmalerisch betitelten „Whoosh!“ doch tatsächlich ein nicht nur anhörbares, sondern, um im Rocksprech zu bleiben, geradezu „amtliches“ Album „abgeliefert“ haben.
Man kann Deep Purple mit einigem Recht als die (britische) Rockband par excellence bezeichnen: Black Sabbath haben den Rock ins Dämonische überführt, Led Zeppelin ins Weltmusikalische (und Gigantomanische), bei Queen kippt er ins Musiktheater, bei Pink Floyd ins Innerweltliche und King Crimson verfeinern ihn zum fehlenden Puzzleteil zwischen Neuer Musik und Avantgarde-Jazz.
Kurz: Was schnell in tausend Subgenres zersplittert, halten Deep Purple bis heute eisern zusammen. Ian Gillans Gesang ist animalisches Shouting am Übergang zur erzählenden Musical-Performance, während sich Gitarrist Ritchie Blackmore und Organist Jon Lord in der Kunst der Fuge üben, allerdings nicht ohne ihre Soli in den eingängigsten Riffs diesseits von Jagger/Richards zu erden. Dass die Band erst 2012 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, ist ein schlechter Witz. Streng genommen sollten sie schlicht die einzige Band sein, die in Clevelands Ruhmeshalle vertreten ist.
Auf der aktuellen Platte übernehmen nun Steve Morse (an der E-Gitarre) und Don Airey (an der Hammond-Orgel) die alte Blackmore-Lord-Dynamik. Vor allem Airey, das neueste, mit 72 Jahren jedoch nicht jüngste Deep-Purple-Mitglied, führt die Band auf „Whoosh!“ zu alten Höhen und auch in ungeahnte Gefilde, in denen George Gershwin und J.S. Bach trunken in einer Kathedrale mit Bierausschank rhapsodieren. Die ersten Stücke auf der von Schlock-Großmeister Bob Ezrin (Lou Reeds „Berlin“, Pink Floyds „The Wall“, Alice Cooper, Kiss) produzierten Platte beschreiben den Status quo: Warum er denn ins Unbekannte aufbrechen solle, wenn er doch alles habe, was er brauche, fragt Gillan als bräsiger Baby Boomer in „Throw My Bones“.
Aber irgendwann macht sich die Band dann doch auf den Weg, beschwört die Macht des Mondes und die kosmischen Freuden der Vergänglichkeit. Die Rockgeschichte ist im Prinzip abgeschlossen. Aber solange Deep Purple noch derart inspiriert zusammenspielen, wollen wir mal nicht kategorisch werden.