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Gedächtnisexperte im InterviewNeurowissenschaftler Boris Konrad: „KI nimmt erst mal niemandem etwas weg“

Lesezeit 7 Minuten
Der promovierte Neurowissenschaftler Boris Konrad glaubt, dass künstliche Intelligenz den Menschen helfen kann, sich weiterzuentwickeln.

Der promovierte Neurowissenschaftler Boris Konrad glaubt, dass künstliche Intelligenz den Menschen helfen kann, sich weiterzuentwickeln.

Der Gedächtnisexperte Boris Konrad erklärt im Interview, wieso Zukunftsängste wegen künstlicher Intelligenz unrealistisch sind.

Herr Konrad, wann haben Sie zuletzt künstliche Intelligenz (KI) genutzt – und wofür?

Heute! Um wissenschaftliche Texte von mir sprachlich zu kontrollieren, denn Niederländisch ist nicht meine Muttersprache. Da ich in den Niederlanden an der Uni bin, gehört das für mich mit dazu. Ich lasse die Rechtschreibung kontrollieren und bessere Formulierungen vorschlagen.

In Ihrer Forschung geht es unter anderem um den Einfluss von Technologie auf das menschliche Gehirn. Wird uns künstliche Intelligenz langfristig dümmer oder schlauer machen?

Darauf gibt es noch keine einfache Antwort. Beides ist denkbar und wird wahrscheinlich auch zutreffen. Einige werden KI dazu nutzen, um selbst schlauer zu werden. Andere werden mit ihr die eigene Denkleistung auslagern. Das wird dann allerdings auch für das eigene Denkniveau nicht so gut sein.

Inwiefern?

Unser Gehirn wird mit der Aktivierung von Verbindungen trainiert und stellt Netzwerke her. Wenn ich mein Gehirn für bestimmte Dinge nicht mehr einsetze, werden diese Verbindungen und Netzwerke schwächer. Dementsprechend auch die Denkleistung in dem Bereich.

Ein klassisches Beispiel ist das Navi. Das gibt es seit vielen Jahren und führte dazu, dass Menschen weniger gut Karten lesen oder selbst navigieren können. Sie folgen nur noch den Anweisungen des Navis, also gehen ihre eigenen Fähigkeiten in dem Bereich zurück.

Können Sie noch weitere Beispiele nennen?

Das lässt sich auch auf das Schreiben von wissenschaftlichen Texten übertragen. Das erfordert eine hohe Denkleistung. Es ist aber nur ein Teil eines Prozesses, an dem noch mehr hängt, wie das Verständnis von Themen. Lässt man eine KI für sich schreiben, wird sich das auch auf diesen Bereich auswirken, die Fähigkeiten gehen zurück.

Sind diese Texte aber nicht mit viel Aufwand und Denkarbeit verbunden, kann die KI die Arbeit übernehmen. Die dadurch gewonnene Zeit kann für relevantere Dinge genutzt werden, wodurch sich dann die Eigenleistung verbessern kann. Es kommt sehr darauf an, wie wir KI einsetzen.

Ist die Gefahr zu verdummen, weil die KI uns so viel abnimmt, nicht zu groß?

Mein Hauptargument dagegen ist die unglaubliche Leistungsfähigkeit des Gehirns. In den Dialogen von Sokrates und Platon ging es schon um eine ähnliche Frage. Damals hatte man die Sorge, dass die Menschen dümmer werden, wenn man ihnen das Schreiben beibringt. Weil sie Informationen und ihre Gedanken nicht mehr im Kopf haben, sondern auf Papier. Heute wissen wir: Das war doch eher eine gute Idee, die das menschliche Denkvermögen vorangebracht hat. Aber es war eben neu. Man wusste noch nicht, was das Schreiben mit den Menschen macht.

Diese Sorgen gibt es noch heute – was macht Technologie mit uns?

Es liegt immer daran, wie wir sie einsetzen. Schreibe ich Dinge auf, kann ich Informationen viel einfacher transportieren. Nutze ich KI dazu, um viel schneller an Inhalte zu kommen und über sie nachzudenken, wird mir das eher guttun. Nutze ich sie, um Zeit zu sparen und stattdessen den Candy-Crush-Rekord zu knacken, dann eher nicht.

KI bietet einerseits viele Möglichkeiten, die andererseits auch vielen Sorgen bereitet. Im vergangenen Jahr streikten etwa die US-Drehbuchautorinnen und -autoren wochenlang. Unter anderem, um Regeln im Umgang mit KI durchzusetzen. Mit den Produktionsfirmen einigten sie sich darauf, KI wie ChatGPT zukünftig nur zu Recherchezwecken einzusetzen. Drehbücher soll mit ihr nicht geschrieben werden. Sie soll zudem nicht mit bereits existierenden Drehbüchern trainiert werden. Wie wichtig sind solche Rahmenbedingungen, gerade in der Kreativbranche?

Sicherlich sollte es Spielregeln geben. Ob das in diesem Fall die richtigen sind, weiß ich nicht. Dass KI nicht mit alten Werken trainiert werden soll, ist für mich der falsche Ansatz. Denn auch ein preisgekrönter, menschlicher Drehbuchautor, hat natürlich von dem gelernt, was andere vor ihm gemacht haben. Er hat Drehbücher gelesen, Filme gesehen und dadurch verinnerlicht, was funktioniert und was nicht.

Dennoch würde niemand diesen preisgekrönten Autor vorwerfen, ein Plagiat kreiert zu haben, obwohl er ganz viel unbewusst und vielleicht bewusst kopiert hat, weil er es woanders schon mal gesehen hat. Wenn jetzt eine KI einen Text schreibt, und vorher tausende Drehbücher gelesen hat, ist das für mich nicht mehr ein Plagiat als das, von dem der preisgekrönte Autor inspiriert worden ist.

Nachvollziehbar ist aber die Kritik an Inhalten, die von KI produziert worden sind, die den Stil eines Autors imitieren sollen. Es ist aber nichts anderes, als wenn ein Mensch beauftragt wird, Harry Potter 8 zu schreiben. Zwar ist das auch eine neue Leistung – aber trotzdem nicht in Ordnung. Es werden genauso Urheberrechte verletzt. Durch den Einsatz von KI ist es nicht automatisch fragwürdiger oder schlimmer.

Lässt sich das mit dem Urheberrecht und der KI überhaupt in irgendeiner Form regulieren?

Da gibt es gerade im bildschaffenden Bereich eine Bewegung: Wenn ich der KI sage „mach ein Bild von Batman“, dann erzeugt es ein neues Bild anhand dessen, was sie gelernt hat. Aber eben mit einer geschützten Figur. Das ist gut so und muss auch so bleiben. Nur weil die KI etwas Neues produziert hat, wird das Copyright nicht ausgehebelt. Deshalb ist es auch richtig, dass jeder Kunstschaffende sagen kann, dass die eigenen Werke nicht zum Trainieren von KI genutzt werden dürfen. Zumindest in dem Rahmen, wie das Copyright noch gilt. Aber man darf sich keine Illusionen machen. Das verhindert nicht, dass KI, wie auch andere Menschen, nicht durch die eigene Kunst inspiriert werden.

Mit KI entwickeln sich die Dinge weiter. Das lässt sich gerade im Filmbereich beobachten, wo bislang noch viel von Menschen gemacht wird. Viele Tätigkeiten wird zukünftig die KI übernehmen. Das ist aus meiner Sicht auch in Ordnung, denn es ist sinnvoll. Die neue Pumuckl-Serie klingt durch KI wie damals. Weil man sie mit der Stimme des nicht mehr lebenden Synchronsprechers trainiert hat. Da muss natürlich die Frage des Rechts an der Stimme geklärt werden, und auch was den Erben zusteht.

Aber an sich funktioniert das Prinzip. Und ich glaube, dass viele Menschen in Zukunft gerne Filme sehen werden, bei denen die US-amerikanischen Filmstars durch KI selbst auf Deutsch zu hören sind, obwohl sie eigentlich nur Englisch können. Darunter wird der Beruf des deutschen Synchronsprechers sicherlich sehr leiden.

Das ist für Sie keine kritische Entwicklung?

Nein, weil auch schon andere Berufe durch technischen Fortschritt verschwunden sind. Etwa der Stummfilmmusiker. Die haben damals mit ihrer Gewerkschaft gegen den Tonfilm gefeuert und sogar das Verbot gefordert. Es wäre nicht sinnvoll, KI zu verbieten, nur um bestimmte Berufe zu beschützen.

Eine Antwort darauf, was dann beispielsweise Synchronsprecher machen, habe ich auch nicht. Sicherlich wird es trotzdem noch Bedarf geben, etwa um KI zu trainieren – aber er wird geringer sein als jetzt. Gleichzeitig wird es durch den technischen Fortschritt auch neue Tätigkeiten geben, an die jetzt noch keiner denkt. Ich mache mir keine Sorgen, dass man die Menschen nicht mehr benötigt. Das ist eher das Gegenteil. Fachkräftemangel haben wir heute schon, KI wird ihn sicherlich nicht zeitnah lösen.

In vielen Bereichen sind wir sogar dankbar, dass Maschinen die Tätigkeiten übernommen haben. Das ist auch nicht passiert, um jemandem aus Unrecht die Arbeit zunehmen, sondern weil sich die Dinge so weiterentwickelt haben.

Dass Maschinen die Menschheit ersetzen, ist ein viel behandeltes Szenario in Science-Fiction-Filmen. Die Angst, durch KI den Arbeitsplatz zu verlieren, muss man dennoch nicht haben?

Diese Szenarien sind zum Glück nicht realistisch. Die Ängste der Menschen aber eigentlich auch. Das bedeutet nicht, dass sie nicht berechtigt sind. Dahinter steckt vor allem die Sorge vor Veränderung. Ich finde es unglaublich schade, dass viele Menschen meinen, dass sie nichts Neues mehr lernen können. Egal, ob sie 50, 40 oder 30 Jahre alt sind, da kann man beliebig weit nach unten gehen. Dabei haben Menschen viel mehr drauf, als sie denken.

Deshalb bin ich auch optimistisch bei dem Thema KI – ohne die Gefahren ignorieren zu wollen. Aber ich sehe da viel mehr Nutzen und Chancen drin. Wir dürfen nur nicht davon ausgehen, dass wir uns nicht weiterentwickeln müssen. Das war noch nie so, und das wird auch nie so sein.

Kommunikation und Motivation spielen dabei eine große Rolle. KI nimmt erst mal niemandem etwas weg. Im Gegenteil: Sie kann helfen, dass wir uns verbessern, neue Dinge lernen. Auch mehr Freude an dem gewinnen, was wir schon machen. Und wer skeptisch ist, der kann beruhigt sein: Denn diese Systeme sind nicht perfekt und machen auch Fehler.

Das Interview führte Robin Albers am 10. Januar 2024.


Boris Konrad ist Neurowissenschaftler, Gedächtnistrainer und Weltmeister

Der promovierte Neurowissenschaftler Boris Konrad (39) arbeitetet am Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour der Radboud Universität in Nijmegen (Niederlande). Seine Forschung behandelt neben dem Einfluss von Technologien wie künstlicher Intelligenz auch Anwendungen von Gedächtnistraining.

Der 39-Jährige ist auch als Gedächtnistrainer aktiv und hält dazu regelmäßig Vorträge. Konrad hält mehrere Guinness-Weltrekorde, zudem gewann er mehrmals Weltmeistertitel im Gedächtnissport, in dem er sich Zahlen, Namen oder Muster in kurzer Zeit merken konnte. Das führte den Autor mehrerer Bücher schon mehrfach in das Fernsehen – unter anderem zu „Wetten, dass“.