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Interview

Nick Hornby in Köln
„Podolski konnte die Vorschusslorbeeren nicht einlösen“

Lesezeit 6 Minuten
Nick Hornby, britischer Schriftsteller und Drehbuchautor, spricht bei der Lit.Cologne.

Nick Hornby, britischer Schriftsteller und Drehbuchautor, spricht bei der lit.Cologne.

Nick Hornby über seine Fußballbesessenheit, den Kult um seinen Roman „Fever Pitch“ und einen besonderen Kölner Spieler. 

Eine Sache möchte Nick Hornby vor seinem Auftritt in der Kölner Flora zunächst dokumentieren. Der englische Autor kramt sein Handy aus der linken Jackettasche und fotografiert die anwesenden Menschen in dem pittoresken Saal. Dann sagt er: „Das ist für einen meiner Söhne. Er glaubt nicht, dass auch nur ein einziger Zuschauer zu einer Veranstaltung von mir kommt.“ Das Publikum, 750 Leute, hat er damit schon mal gewonnen. Das Gespräch mit ihm über seinen 1992 erschienenen Erstling „Fever Pitch“ ist der letzte Programmpunkt der 25. lit.Cologne, der für März angesetzte Termin fiel aus, weil Hornby wegen einer Bronchitis nicht nach Deutschland reisen konnte.

Herr Hornby, „Fever Pitch“ ist der schonungslos ehrliche Bericht eines vom Londoner Fußballklub FC Arsenal Besessenen, das sind in diesem Fall Sie selbst. Wenn Sie aktuell auf den FC Arsenal blicken, muss es Ihnen so richtig gut gehen, oder?

So ist es gerade in der Champions League, ja, da bin ich euphorisch. Das Heimspiel gegen Real Madrid im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League, der 3:0-Triumph von Arsenal, war die wahrscheinlich großartigste Nacht, die das aktuelle Stadion, das Emirates, je erlebt hat.

Haben Sie das für möglich gehalten?

Nehmen wir nur die beiden Freistoß-Tore von Declan Rice zum 1:0 und zum 2:0. Es ist vier Jahre her, dass jemand bei Arsenal ein Freistoß-Tor gelang. Vier Jahre. Und Rice hatte noch nie zuvor ein Freistoßtor erzielt. Ich saß in einer unteren Reihe und konnte genau sehen, wie sich Rice den Ball zurechtlegte. Und dann holt er aus, 58. Minute – und es war wie in einem Traum, die Flugbahn, die Wölbung des Netzes. Zwölf Minuten später gelingt diesem Rice ein noch schönerer Freistoßtreffer. Der Jubel, die Freude, die Spieler direkt vor meinen Augen – unglaublich. Danach noch ein Tor, 3:0. Das Rückspiel gewannen sie mit 2:1. 5:1 insgesamt gegen Real Madrid, das ist eigentlich unmöglich.

Das 3:0 ereignete sich am 8. April. Und Sie freuen sich immer noch …

Und wie…

… was Ihre fanatische Begeisterung für den FC Arsenal, die auf jeder Seite von „Fever Pitch“ zu spüren ist, untermauert. Mit diesem Buch haben Sie sehr viel bei Ihren Lesern ausgelöst und diesem Ballspiel auch die Türen für das Feuilleton geöffnet. Passen diese beiden Pole – Fußball und Kultur – Ihrer Meinung nach zusammen?

Durchaus. Denn ich trenne diese beiden Bereiche nicht. Kultur ist das, was wir tun und schaffen. Und in diesem Sinne ist Fußball Kultur. Ob der Fußball allerdings Kunst ist, kann ich nicht sagen. Für mich aber ist jedes Buch auf seine Weise ein Kunstwerk. Denn der Schreibprozess ist auf jeden Fall Kunst, egal, um welches Thema es sich handelt. Meine Intention mit „Fever Pitch“ war, etwas über den Fußball mitzuteilen, was meiner Meinung nach zuvor noch niemand mitgeteilt hat. Und zwar, dass das Wichtigste an diesem wahnsinnigen Spiel das ist, was es für die Menschen, die es betrachten, bedeutet.

Als ich ein Teenager war, hatten das U-Bahn- und das Stadion-Ticket denselben Preis, ein paar Pence, nicht mal ein Pfund
Nick Hornby

Sie haben damit einem großen Publikum fulminant aus der Seele geschrieben, weltweit.

Als ich „Fever Pitch“ schrieb, war ich mir dessen bewusst, dass ich eine große Anzahl von Menschen repräsentiere. Ich spürte und wusste auch, dass es sehr viele Menschen geben würde, die sich in „Fever Pitch“ wiedererkennen würden.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Statistik des Spiels Arsenal gegen Stoke City vom 14. September 1968 werfen, dem Tag, als alles begann – als Sie als Elfjähriger erstmals in Arsenals damaliges Highbury-Stadion in Nordlondon gingen, sofort infiziert waren und diesem Klub verfielen. Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie diese Namen und Zahlen sehen?

1:0 gewonnen, es traf Terry Neill, ein Abwehrspieler. Wenn ich die Aufstellung sehe – au weia, was für eine schlechte Arsenal-Mannschaft. Die meisten Spieler hasste ich, weil sie nichts hinbekamen. Aber mir springt die Zuschauerzahl sofort ins Auge, 28.225. Diese niedrige Zahl war typisch für die 60er, 70er und 80er Jahre. Platz war für 40.000 Menschen. Heute ist das alles aufgeblasen, Arsenal hat ein neues Stadion, das Emirates, Hightech, Fassungsvermögen: 60.000. Die sind immer da. Das konnte ich mir damals nicht im Traum vorstellen.

Das Gute war: Damals war es nie ein Problem, ein Ticket zu bekommen.

Niemals. Du bekamst immer eins. Bei großen Spielen musstest du eben entsprechend früh da sein. Aber du gingst nie leer aus. Und Geld war auch nicht das Problem. Als ich ein Teenager war, hatten das U-Bahn- und das Stadion-Ticket denselben Preis, ein paar Pence, nicht mal ein Pfund. Heute kostet ein U-Bahn-Ticket vier Pfund und ein Stadion-Ticket 50 Pfund.

Wussten Sie sofort: Das hier, diese Mannschaft, deren Spieler Sie zunächst hassten, das wird Ihr Team sein, für immer?

Das kam völlig plötzlich. Ich betrat dieses Stadion mit meinem Vater und dachte: „Oh mein Gott.“ Highbury war ein wunderschönes Stadion mit Art-Déco-Elementen. Ich war sehr beeindruckt davon, wie ernst alle Menschen um uns herum dieses Spiel nahmen, das war kein Entertainment für sie, das war bitterer Ernst. Der ganze Nachmittag hatte mich komplett beeindruckt. Und ich wollte mehr davon. Immer mehr.

In dieser Zeit begann Ihre Besessenheit.

Ich wurde Teil von einer Art Geheimbund. Damals war Fußball geheimnisvoll, er spielte sich im Verborgenen ab, wenn du nicht ins Stadion gingst. Im Fernsehen war nichts davon zu sehen. Meine Leidenschaft kannten und verstanden nur die Leute, die wie ich ins Stadion gingen. Ich ordnete alles dem FC Arsenal unter. Alles.

Sind Sie heute noch so besessen, wie Sie es damals waren?

Nein. Zum Glück nicht. Ich war mit einem Fluch behaftet, der mich in meiner Jugend heimsuchte. Ich sehe mich in meinen Söhnen wieder, 22 und 21 Jahre alt, Arsenal-Fans. Sie machen dasselbe durch wie ich, als ich in ihrem Alter war. Sie wurden mit diesem Virus infiziert als sie sechs oder sieben Jahre alt waren.

Ich vermisse die Intensität im Stadion, es gab eine Verbindung zwischen den Fans und den Spielern
Nick Hornby

Hatten Ihre Söhne bei diesem Vater überhaupt die Möglichkeit, Fan eines anderen Teams zu werden?

Sie wollten wissen, warum ihr Vater derart besessen von einem Team ist. Sie wollten mit ins Stadion. Und dann passierte es ihnen wie es mir passierte. In der Zwischenzeit aber hat sich der Fußball sehr verändert. Das Arsenal-Team hat sich sogar massiv verändert, dort spielen kaum noch englische Profis. Es ist viel Geld im System, sehr, sehr viel Geld.

Wie bewerten Sie diesen Wandel?

Ich vermisse die Intensität im Stadion, es gab eine Verbindung zwischen den Fans und den Spielern. Die ist verloren gegangen. Aber, und das ist nicht irgendwas: Der Fußball ist besser. Die Stadien sind komfortabler. Und sie sind sicher. Denn die alten Zeiten waren auch beängstigend, es gab den Hooliganismus, das war sehr gefährlich. Was mir aber heute nicht gefällt, ist die Tatsache, dass der Fußball allgegenwärtig ist. Jedes Spiel wird im Fernsehen gezeigt. Sie beginnen auch die Übertragung eines völlig unwichtigen Spiels eine Stunde vorher und sprechen unentwegt über dieses Spiel. Eine Stunde wird Unsinn geredet und etwas unnötig aufgebauscht.

Haben Sie einen Anteil an dieser Entwicklung?

Ich habe „Fever Pitch“ in dem Jahr geschrieben, in dem die englische Meisterschaft in Premier League umbenannt wurde. Gleichzeitig schaltete sich der Medienunternehmer Rupert Murdoch ein und bezahlte Unmengen Geld für die TV-Rechte an dieser Premier League. Dadurch kam das Geld in den Kreislauf und die Entwicklung begann, die wir heute sehen: teure Spieler mit Millionengehältern, Fußball nonstop im Fernsehen. Und Murdoch hat nun mal einen deutlich größeren Einfluss auf den Fußball als „Fever Pitch“.

Für Arsenal spielten auch eine Reihe deutscher Spieler. Unter anderem der ehemalige Kölner Lukas Podolski. Wie haben Sie ihn erlebt?

Mein deutscher Verleger Helge Malchow sagte mir: Podolski kommt zu euch und er wird euch begeistern. Aber Lukas konnte diese Vorschusslorbeeren bei uns nicht einlösen.

Den Fußball als Sujet haben Sie als Autor längst verlassen. Was sind Ihre nächsten Pläne?

Ich schreibe gerade Drehbücher für Filme und Serien. Derzeit arbeite ich an einem Biopic über einen berühmten, noch lebenden Musiker.


Nick Hornby, geboren am 17. April 1957, ist ein englischer Schriftsteller und Drehbuchautor. In seinem Erstling „Fever Pitch“ aus dem Jahr 1992 hat er sein Leben als Fan des FC Arsenal aufgeschrieben, ein Buch, das in unzähligen Auflagen erschien und weltweite Verbreitung erfuhr. Bekannt wurde Hornby auch als Autor von „High Fidelity“ und „About a Boy“. Alle drei Titel wurden verfilmt. (skl)