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Nicky Siano in KölnEr stand am Plattenteller, als Bianca Jagger ins Studio 54 ritt

Lesezeit 6 Minuten
Nicky Siano grüßt in seiner Brooklyner Heimat. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit den Vornamen der New Yorker DJ-Pioniere David Mancuso, Nicky Siano, Larry Levan und Frankie Knuckles.

Nicky Siano tritt am 1. November in Köln auf.

Nicky Siano, erster DJ im New Yorker Studio 54 und einer der Gründerväter der Clubkultur, tritt auf dem Week-End-Festival auf.

Damals, in den 1960er Jahren, erinnert sich Nicky Siano in seiner Wohnung in der Nähe von Coney Island, war New York eine völlig andere Welt: „Ich hatte zwei Brüder, zehn und elf Jahre älter als ich. Sie waren in Woodstock gewesen, sie lebten das Hippie-Leben und brachten mir all die Rock'n'Roll-Alben aus dieser Zeit mit.“ Doch bald fand Siano im West Village Manhattans seine eigene Welt. In der Christopher Street zwischen Hudson River und 6th Avenue, dort wo New Yorks schwule Subkultur blühte, hörte er zum ersten Mal Dance Music. „Das hat mich völlig umgehauen. Ich kam nicht in die Bars hinein, ich war ja erst 13 oder 14, aber ich setzte mich vors Stonewall Inn, lauschte der Musik und fragte die Leute, die herauskamen: Was ist das für eine Platte?“

Auf der Jagd nach dem Hochgefühl der Musik, begann Siano Platten zu sammeln. Als er eine Sitzparty seines Bruders Joe mit einer DJ-Session rettete, beschloss dessen Freundin, den Youngster mit ins Loft zu nehmen, wo David Mancuso jene halbprivaten Partys ausrichtete, die heute als Vorläufer der Clubkultur gelten. „Ich hatte Angst, dass ich abgewiesen würde, ich war ja noch keine 18. Aber Joes Freundin sagte: Mach dir keine Gedanken. David liebt Kinder.“ Mit 16, noch fast ein Kind, übernahm Nicky Siano seinen ersten bezahlten Gig, für 15 Dollar pro Nacht. 20, wenn er den Laden voll bekam. Das Round Table beherbergte eine Drag-Show. Der junge DJ sollte die Einsätze der Performer abpassen, Kopfhörer gab es noch keine. Als er es eines Nachts vermasselte, wurde er prompt gefeuert.

Wie Nicky Siano mit 17 seinen Traumclub eröffnete

Sein älterer Bruder hatte nach einem Unfall 10.000 Dollar Entschädigung erhalten. Zusammen beschlossen sie, ihren eigenen Laden nach dem Vorbild des Lofts aufzumachen, The Gallery auf der 22. Straße. Ein 17-Jähriger und sein Club der Träume. Grace Jones feierte hier ihr Debüt, Larry Levan und Frankie Knuckles ließen sich von Siano zu ihren DJ-Großtaten inspirieren.

Im Loft tanzte man in David Mancusos Wohnung, „man ging ins Badezimmer und dort stand seine Zahnbürste, die Leute klauten immer seinen elektrischen Rasierapparat“. Nicky Siano professionalisierte das Loft-Erlebnis, separierte den Dancefloor vom Rest des Clubs: „Wenn das Licht auf der Tanzfläche ausgeht, soll es ganz schwarz sein, die Leute sollen schreien. Sie sollten von Klang umgeben sein.“

Die Nächte in der Gallery begannen leise und langsam: „Die Ohren der Leute wachen gerade erst auf, ich will sie nicht gleich mit Sound bombardieren. Ich habe mit Liedern angefangen, die nicht zum Tanzen geeignet waren, Shirley Bassey oder Judy Garland oder Laura Nyro. Dann die ersten, langsamen Tanzsongs. Man kann einen funkigen Titel mit 98 Beats pro Minute spielen, etwa ‚Yes We Can Can‘, den ersten Hit der Pointer Sisters. Das vermisse ich heute. DJs spielen nur noch Stücke mit 128 Beats pro Minute. Ich will verschiedene Tempi hören, das Tempo immer mal wieder runterbringen, um es dann wieder zu steigern.“

Eines Nachts zwängte sich Steve Rubell unter Sianos frei hängendes DJ-Pult hindurch, ein Veranstalter, in dessen Club The Enchanted Garden er regelmäßig aufgelegt hatte. Bis ihm die Fahrt nach Long Island zu lang wurde. „Ich sagte ihm, wenn du jemals einen Club in der Stadt eröffnest, ruf mich an.“ Jetzt war es so weit. Das Studio 54 befand sich in Manhattans Midtown und hatte sich einige Tricks von The Gallery abgeschaut. Fehlte nur noch der DJ. Am Wochenende, sagt Siano, war das Studio sofort gut gefüllt, aber an den anderen Abenden war die Tür noch lange nicht so unüberwindlich wie später, als nur die Schönsten, Berühmtesten und Berüchtigtsten Einlass fanden und Tausende abgewiesen wurden. Mindestens ein Verzweifelter erstickte beim Versuch, über den Lüftungsschacht Zugang zum Club zu finden.

Solche Szenen ereigneten sich erst, nachdem Bianca Jagger im Mai 1977 beschlossen hatte, ihren Geburtstag im Discopalast zu feiern. Siano legte an dem Abend auf, als die wunderschöne Frau des Rolling-Stones-Sängers auf einem weißen Pferd über die Tanzfläche ritt. „Das werde ich nie vergessen. Die ‚New York Daily News‘ hatte eine aufklappbare Bildseite in der Mitte, auf der über alles Wichtige berichtet wurde, was letzte Nacht in New York passiert war. An diesem Abend waren die Bee Gees im Madison Square Garden aufgetreten. Aber der Mittelteil war ausschließlich Bianca Jaggers Auftritt gewidmet. Dieser Abend veränderte alles.“

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Bianca Jagger reitet auf einem weißen Pferd, ihrem Geburtstagsgeschenk, ins Studio 54

Ab jetzt stand das Studio 54 für Erfolg und Exzess, für spätrömische Dekadenz mitten im bankrotten New York der späten 70er. „Ich erinnere mich an Liza Minnelli, die mit einem Klavier herausgefahren wurde und zu Steves Geburtstag ‚I Can't Give You Anything But Love‘ sang. Es gab viele solcher magischen Momente im Studio. Das lag auch daran, dass der Club die Infrastruktur hatte, um diese Magie geschehen zu lassen. Mein Beleuchter, der viele Jahre lang mein Geliebter war, koordinierte vier Leute für die Lightshow, drei an den Seilen, einen Mann hinter der Bühne.“

Doch die Musik wurde immer kommerzieller. Siano überließ die Wochenenden Richie Kaczor. „Er war der Erste, der ‚I Will Survive‘ auflegte, die große Studio-54-Hymne. Ich fand den Song gut, aber warum sollte man nachts zu einem ein Lied tanzen, das man tagsüber schon dreimal im Radio gehört hat? Bis ‘75, ‘76 waren es wir DJs, die Songs erst populär machten. Wir diktierten, was im Radio gespielt wurde. Ich war der Erste, der Donna Summers ‚I Feel Love‘ aufgelegt hat.“

Vom Star-DJ zum AIDS-Aktivisten

Sianos musikalischer Purismus vertrug sich nicht mehr mit der immer kommerzielleren Ausrichtung des Clubs. Und sein Drogenkonsum war außer Kontrolle geraten. 1981 beschloss er, das Nachtleben hinter sich zu lassen und nüchtern zu werden. Er arbeitete in einer Drogenbehandlungseinrichtung. Engagierte er sich in der HIV-Beratung, nachdem er miterleben musste, wie sein bester Freund an AIDS starb.

Erst Mitte der 1990er begann er wieder aufzulegen: „Als ich jung war, fragte mich meine Therapeutin, was mich so fasziniert am Clubleben. Ich beschrieb ihr, wie der Raum sich aufheizt, explodiert und plötzlich diese Magie erscheint. Sie fragte mich, was das sei, diese Magie. Heute weiß ich es: Ich mache mich frei für das Gefühl im Raum und lasse es in mich hineinströmen.“


Nicky Siano wird am 1. November im Rahmen des Week-End-Festivals in Köln im Club Jaki auflegen. Das 13. Week-End findet vom 31. Oktober bis zum 2. November im Kölner Stadtgarten statt.