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Nina Hagen zum 70.Die Sturmbraut im schwarzen Spandex-Dress

Lesezeit 5 Minuten
Nina Hagen raucht, den Kölner Dom im Hintergrund, eine Zigarette und zieht dabei die Wangen ein.

Nina Hagen im September 1980 in Köln

Hat sich je ein anderer deutscher Star so viel getraut? Wir gratulieren Nina Hagen zu ihrem 70. Geburtstag am 11. März. 

Dezember 1977, ein Loft irgendwo in Westberlin. Nina Hagen probt mit ihrer neuen Band, drei Musikern des gerade aufgelösten Politrock-Theaters Lokomotive Kreuzberg und dem Jazz-Keyboarder Reinhold Heil. Das Lied erkennt man sofort. Es ist „Der Spinner“ und hört sich schon so an wie später auf Platte. Die Band erledigt ihr Handwerk mit stoischer Präzision. Die Kamera konzentriert sich auf Nina. Die singt nicht nur, sondern raucht dabei gleichzeitig eine Zigarette und isst eine Banane, wozu hat man zwei Hände.

Sie ist 22 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hat sie noch auf der anderen Seite der Mauer gewohnt, eine kaum zu bändigende Naturgewalt im realsozialistischen Spießerstaat. Schauspielerin wie ihre Mutter, Eva-Maria Hagen, darf sie nicht werden. Ihr Ziehvater, Wolf Biermann, gilt als „politisch unzuverlässig“. Nina hängt mit den ersten Ost-Hippies herum, verschreckt die Volkspolizei mit Happenings.

Sie flieht nach Polen, kehrt zurück und wird mit ihrer Vier-Oktaven-Stimme staatlich geprüfte Schlagersängerin. In der DDR ist das ein Ausbildungsberuf. „Als ick so in diese Schule kam, sind die fast in Ohnmacht gefallen“, sagt Nina. Mit der Gruppe Automobil singt sie den Gassenhauer „Du hast den Farbfilm vergessen“, da ist sie erst 19.

Fast 50 Jahre später wird sich Angela Merkel den alten Osthit für den Großen Zapfenstreich wünschen, ihren Abschied vom Kanzleramt. Obwohl sie in einer TV-Talkshow kurz nach der Wende den heiligen Furor der Hagen zu spüren bekommen hatte. „Meine liebe Mutter“ hatte die kehlig krakeelende Sängerin die damalige Frauenministerin tituliert, „ich schreie Sie so lange an, wie ich will.“ Es ist ihr formsprengendster Fernsehauftritt, seit sie 1979 im österreichischen Fernsehen die Freuden weiblicher Selbstbefriedigung angedeutet hatte.

Die BRD findet Nina Hagen nicht weniger beengend als die DDR

Zurück in den Herbst 1976. Wolf Biermann wird nach einem Konzert in der ausverkauften Kölner Sporthalle ausgebürgert. Nina folgt ihm einen Monat später. Doch die BRD ist nicht weniger beengend als der Osten: „Ich bin weg“, kritzelt Nina auf einen Zettel, nachdem sie im Westen angekommen war: „Wo is'n das donnernde Leben?“

Das findet sie in London. Hier sind die jungen Menschen genauso ausgeflippt und angekotzt wie sie. Sie lernt Ari Up kennen, von der Punkband The Slits. Ari ist erst 15 Jahre alt und die Tochter des Münchner Schlagerstars Frank Forster. Udo Jürgens ist ihr Patenonkel, Johnny Rotten von den Sex Pistols ihr Stiefvater. Nina Hagen schreibt ein Lied für Ari: „Auf'm Bahnhof Zoo im Damenklo ist es geschehen. Es war so schön. Dein Straps zerriss, ich hob ihn auf. Ich küsste dich, du küsstest mich. Wir küssten uns.“

Nina Hagen ist ein verrücktes Huhn, mit schwarzem Edding geschminkt

Wieder in Berlin lernt sie die Jungs von der Lokomotive Kreuzberg kennen. „Da tauchte sie plötzlich auf, mit einer Bananenschale an ihrem Hut“, wundert sich deren Bassist Manne Praeker. „So ein verrücktes Huhn, hat sich immer nur mit einem schwarzen Edding geschminkt.“

Die Lokomotive hat einen neuen Triebwagen und Praeker eine neue Freundin. Die Nina Hagen Band spielt in den Hansa Studios, direkt an der Mauer, ihr Debüt ein. Nina jodelt, würgt, übt Koloraturen, zischelt, schreit: „Ich bin nicht deine Fickmaschine, spritz, spritz, das is'n Witz.“ Singt von Abtreibung („Ich wollt's nicht haben, musste gar nicht erst nach fragen“) und Fernsehsucht, von anderen Sexualitäten und ungebremster Lust.

In London ist Punk längst Geschichte und ihre Band changiert irgendwo zwischen Glam- und Prog-Rock. Aber Nina selbst weht als feministische Sturmbraut im schwarzen Spandex-Dress durchs verschreckte Deutschland. Laut, skandalös, virtuos und unbeschreiblich weiblich. Zu unberechenbar für ihre Band, das zweite Album spielt man getrennt ein. Starallüren, stöhnen die Jungs.

Nina flüchtet nach Amsterdam, nach Los Angeles, nach New York. Nimmt Drogen, sieht bunte Ufos am Strand von Malibu, bekommt eine Tochter, die sie beinahe „Ufa“ getauft hätte, bevor sie sich für „Cosma Shiva“ entscheidet. „Cosma! Shiva! Galaxina!“, flötet sie 1982 beschwörend auf ihrem ersten Soloalbum „Nunsexmonkrock“. Die Platte ist das reine Chaos. Auf dem Cover posiert sie mit ihrer Tochter als Mutter Maria. Die Studiomusiker können kaum mit dem Stimmengewirr mithalten, das die verrückte Deutsche da entfacht: polyphoner Punk.

„Nunsexmonkrock“ ist ein chaotisches Album, aber Nina Hagens bestes

Trotzdem ist es ihr bis heute bestes Album, zusammen mit dem im Jahr darauf erschienenen „Angstlos“. Eine 180-Grad-Wende: Tanzbar, urban, kommerziell, von Disco-Gott Giorgio Moroder produziert. Die Rap-Funk-Single „Was es ist“ lässt sie sich von den noch völlig unbekannten Red Hot Chili Peppers schreiben, ein Jahr bevor die ihr erstes eigenes Album veröffentlichen.

Mitte der 80er Jahre kehrt Nina Hagen nach Deutschland zurück und irrlichtert seitdem als volatile Eso-Tante durch die hiesige Medienlandschaft, zuletzt ist sie gar noch bibeltreu geworden. Ihre Irritationen fallen kaum noch ins Gewicht, sie wird typbesetzt, man weiß bereits, was man bekommt.

Das ist schade, weil es nicht ihrer Lebensleistung entspricht, weil es den ungeheuren Befreiungsschlag abfedert, den sie einst der deutschen Musikszene verpasst hatte. Wer traut sich heute bloß, was sich die wilde Nina einst getraut hatte?

Am Dienstag feiert Nina Hagen ihren 70. Geburtstag dort, wo sie hingehört, im Studio, an einem neuen Album arbeitend. Wir wünschen ihr eine Zigarette und eine Banane und göttliche Inspiration in Großhandelsmengen.