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Nina Kunzendorf im Interview„Mir fehlen relevante Geschichten im deutschen Fernsehen“

Lesezeit 7 Minuten
Nina Kunzendorf Ende 2022 bei der Aufzeichnung der WDR-Talkshow Kölner Treff

Die Schauspielerin Nina Kunzendorf

Die Schauspielerin spricht auf der Lit.Cologne zusammen mit Rufus Beck und Bärbel Schäfer über das Eltern-Werden und Eltern-Sein. Außerdem engagiert sie sich für weniger klischeehafte Rollen im Fernsehen.

Frau Kunzendorf, hat es Ihre politische Haltung verändert, Mutter zu werden?

Verändert vielleicht nicht, aber sicher geschärft oder dringlicher gemacht. Meine Tochter ist 15, mein Sohn 17. Natürlich ist es eine andere Sache, ob man sein eigenes Leben als endlich denkt, oder ob man weiß: Man setzt Kinder in die Welt, die unter Umständen wieder eigene Kinder in die Welt setzen. Dadurch verlagert man sich und sein Denken mehr in die Zukunft. Plötzlich ist es dann nicht mehr abstrakt oder theoretisch, für eine kommende Generation etwas zu verändern oder zu bewahren, sondern sehr konkret und persönlich.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern viel über Politik?

In der letzten Zeit waren wir geballt mit so vielen Themen konfrontiert, die uns auf eine Weise existenziell bedrohen, wie ich das vorher nicht erlebt habe: Corona, der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise. Da habe ich den Eindruck, dass meine Kinder im Moment eher eine Schonzeit brauchen. Trotzdem läuft das Radio von morgens bis abends, ich lese Zeitung, wir reden über vieles - aber ich merke, dass es ein bisschen zu viel war und ich versuche, sie nicht richtig doll damit zu bombardieren.

Ganz sicher habe ich die Dimension, wie sehr ein Kind ein Leben verändert, unterschätzt
Nina Kunzendorf

Wie wichtig ist Ihnen Privatsphäre?

Vielleicht habe ich mich da in den letzten paar Jahren so ein bisschen geöffnet, aber ich habe eigentlich schon die ganzen ersten Jahre versucht, meine Kinder da rauszuhalten. Ich habe aber kein Problem damit, grundsätzlich oder allgemein über Muttersein und Kinder zu sprechen. Auch darüber, dass nun wirklich nicht alles sonnig und easy ist. Ich war nie so eine missionierende Mutter. Also eine, die überall rumrennt und sagt, ein Leben ohne Kinder ist nicht wertvoll und sonst fehlt etwas - überhaupt nicht!

Hatten sie Illusionen über das Kinderkriegen, bevor sie selbst Mutter wurden?

Ganz sicher habe ich die Dimension, wie sehr ein Kind ein Leben verändert, unterschätzt. Ich dachte: Es geht halt alles irgendwie so ähnlich weiter - nur eben mit einem Kind dabei. Aber dass das so krass alles auf den Kopf stellt – darauf war ich nicht vorbereitet.

Nina Kunzendorf sieht ihren Hauptberuf darin, Mutter zu sein

Liegt das auch daran, dass öffentlich zu wenig über die Schattenseiten des Mutterseins gesprochen wird?

Als mein Sohn auf die Welt gekommen ist, hatte ich zum Beispiel das Gefühl, ich begegne eigentlich nur strahlenden Müttern, die so aussehen, als hätten sie gerade eine Ayurveda-Kur hinter sich. Alle anderen Babys haben nach zwei Tagen durchgeschlafen und sich durch den Tag gelächelt. Und ich dachte: Wie kann das denn sein? Ich habe das Gefühl, ich bin ein Wrack, ich bin nur müde, ich sehe aus wie ein Zombie und habe ein Monster im Kinderwagen liegen. Ich habe aber das Gefühl, dass sich das verändert. Also dass inzwischen zum Beispiel mehr darüber gesprochen wird, dass ein Körper nach einer Schwangerschaft und Entbindung nicht mehr so ist, wie er vorher war. Dass es neben dem unfassbaren Glück auch Momente gibt, in denen man denkt: Ich will mein altes Leben zurück! Auch über Wechseljahre wird viel entspannter und selbstverständlicher gesprochen. Es kommt schon viel mehr in die private und öffentliche Debatte und das finde ich gut so.

Sie haben schon öfter betont, dass Sie in Ihren Job als Mutter mehr Zeit investieren als in den als Schauspielerin.

Ich drehe halt regelmäßig Filme, aber das ist nicht vergleichbar mit der Zeit, in der ich nicht als Schauspielerin arbeite. Seit einer ganzen Weile bin ich alleinerziehende Mutter, sprich: Ich schmeiß einfach den Laden. Und das ist tatsächlich mein Hauptberuf.

Wird Familienarbeit heute gesellschaftlich mehr wertgeschätzt?

Ich weiß es nicht – es wird zwar mehr darüber gesprochen. Aber da ist noch unfassbar viel Luft nach oben. Also alleine, wenn ich mir diese zwei Jahre Corona angucke. Da sind so viele wieder in die traditionellen Rollenverteilungen gefallen, weil viel häufiger die Frau Homeoffice gemacht hat – und nebenbei noch alles andere gewuppt hat und das ist sauanstrengend. Meine Kinder sind schon größer, aber trotzdem habe ich in der Corona-Zeit streckenweise gedacht: Ich verkaufe die. Ich stelle die einfach auf die Straße. Oder ich springe selbst aus dem Fenster (lacht). Und ich musste noch nicht mal Homeoffice machen und war super privilegiert, weil ich eine Wohnung habe, in der man sich aus dem Weg gehen kann, weil ich finanziell über die Runden gekommen bin, weil meine Kinder beide Computer hatten, mit denen sie Unterricht machen konnten.

Familienarbeit wertzuschätzen - da ist noch unfassbar viel Luft nach oben
Nina Kunzendorf

Welche Bedeutung hat Ihre Arbeit für Ihre Kinder? Schauen die noch Fernsehen?

Nein, meine Kinder gucken kein deutsches Fernsehen - höchstens alle Schaltjahre mal. Und die sind auch im Zusammenhang mit mir und meinem Beruf ziemlich entspannt, was auch damit zusammenhängt, dass ich sie möglichst ferngehalten habe von sehr vielem. Eine Zeit lang waren sie zu klein, um sich die Filme anzugucken, die ich gedreht habe. Jetzt sind sie alt genug, aber das ist ihnen eigentlich eher - naja, peinlich nicht unbedingt... Aber ich habe keine Kinder die sagen: „Mama, wann kommst du im Fernsehen? Wir wollen dich unbedingt sehen!“ Was ich gesund und völlig in Ordnung finde.

Die Schauspielerin sieht selbst nur wenig deutsches Fernsehen

Glauben Sie, dass die Generation Ihrer Kinder für das Fernsehen verloren ist?

Ja, ich glaube, dass da der Zug abgefahren ist. Wobei ich gestehen muss, dass ich auch sehr wenig deutsches Fernsehen schaue – und ich bin 51. Das hat auch mit der verführenden Vielfalt von Streamingdiensten zu tun und der Qualität vieler Produktionen dort, aber vor allem mit fehlenden Inhalten bei uns. Ich finde mich selten wieder. Mir fehlen relevante Geschichten. Mich erstaunt zum Beispiel die fehlende oder fantasielose Präsenz von Geschichten über und für Menschen Ü40. Warum aus dem reichhaltigen Fundus nicht mehr geschöpft wird, ist mir wirklich ein Rätsel.

Und die Sozialen Medien? Ein Streitthema zu Hause?

Klar. Ich empfinde das wirklich als Fluch und kämpfe dagegen an, wie wahrscheinlich jede andere Mutter. Dieser ganze TikTok- und Instagram-Blödsinn. Ich habe versucht, das möglichst lange herauszuzögern, was wahrscheinlich auch deswegen ganz gut ging, weil beide auf eine Waldorfschule gehen. Aber bei einem 17- und einer 15-Jährigen ist das oft ein Kampf gegen Windmühlen. Ich schaue eigentlich hauptsächlich, dass die Balance stimmt: dass sie Sport machen, sich mit Freunden treffen, Bücher lesen – was beide zum Glück tun.

Sie hatten ja auch eine professionelle Vorleserin zu Hause.

Ja, ich habe vorgelesen was das Zeug hält – bis ich mit blutiger Lippe auf dem Bett eingeschlafen bin.

Und Sie selbst – kommen Sie als Alleinerziehende und mit stressigem Beruf überhaupt zum Lesen?

Nicht so viel, wie ich eigentlich gerne würde. Aber in den Sommerferien lese ich viel, wenn ich wirklich mal am Stück Zeit habe und nicht noch mit tausend anderen Sachen beschäftigt bin. „Hast Du uns endlich gefunden“ war eines meiner Sommerbücher. Von meinem sehr geschätzten Kollegen Edgar Selge, das fand ich ganz toll. Und jetzt gerade auf meinem Nachttisch liegt „Trottel“ von Jan Faktor, da bin ich erst am Anfang, aber ich glaube, dass mich das sehr begeistern wird.


Nina Kunzendorf studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg, spielte unter anderem am Hamburger Schauspielhaus und gehörte zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Sie war und ist in vielen Fernsehproduktionen zu sehen, zuletzt in der Fernsehserie „Das Haus der Träume“ (RTL). Für fünf Folgen war sie ab 2011 mit Joachim Król als Frankfurter Tatort-Kommissarin zu sehen.

Ist bestimmt nur eine Phase! Ein Abend übers Kinderkriegen - über das Eltern-Werden und -Sein spricht Nina Kunzendorf zusammen mit Rufus Beck und Bärbel Schäfer auf der Lit.Cologne am Sonntag, 5. März. Am Samstag, 4. März, liest Nina Kunzendorf den deutschen Text von Lauren Groffs historischem Roman „Matrix“ bei der lit.Cologne-Veranstaltung „Sie dachten, Sie kennen Nonnen?“.