NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen spricht über die Hilfe für die Kultur in der Coronakrise.
Sie sieht eine erste Entspannung etwa bei den Museen, aber auch weiterhin große Probleme bei Musik oder den Theatern.
Eines hat sie wahnsinnig geärgert: Dass sich die Länder bei den Hilfen für selbstständige Künstler nicht gegen den Bund durchsetzen konnten. Dafür stellt sie nun weitere Hilfen in Aussicht.
Frau Pfeiffer-Poensgen, hätten Sie, gerade auch als Chefin eines Kulturministeriums, jemals mit einer solchen Situation gerechnet?
Das kann ich deutlich verneinen, ich glaube, niemand hat mit einer solchen Situation gerechnet. Was ich mir vorstellen konnte, waren wirtschaftliche Einbrüche, die sich auf alle öffentlichen Haushalte und damit auch auf den der Kultur auswirken würden. So etwas habe ich in meinem Berufsleben schon öfter erlebt. Dass das gesamte Leben stillsteht – das habe ich mir nicht vorstellen können.
Davon ist die Kultur in besonderem Maße getroffen. Was war Ihre erste Reaktion, um die Schäden abzumildern?
Mir war sofort klar, dass diejenigen, die es am stärksten trifft, die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler sind. Für die Festangestellten in Orchestern oder am Theater war zumindest die materielle Existenzgrundlage nicht so gefährdet wie für die, die als freie Künstler von Honoraren leben, die ja von einem Moment zum nächsten weggefallen sind. In diesem Bewusstsein haben wir uns als erstes um diese Gruppe gekümmert.
Der Topf war allerdings sehr schnell leer …
Es ging erst einmal darum, sehr schnell zu reagieren, weil es für viele Betroffene sehr rasch brenzlig wurde. Wir sind ja davon ausgegangen – wie viele andere auch –, dass diese Hilfe für freischaffende Künstlerinnen und Künstler übergehen würde in eines der großen Bundes- bzw. Landesprogramme. Ich habe immer gesagt, dass unser Soforthilfeprogramm nur eine Brücke ist, bis der große Rettungsschirm kommt. Dann hat es ein paar Tage gedauert, bis klar wurde, dass das Geld in der Soforthilfe für Solo-Selbstständige des Bundes nicht für den Lebensunterhalt, sondern ausschließlich für die Betriebskosten gedacht ist.
Zur Person
Isabel Pfeiffer-Poensgen wurde am 25. April 1954 in Aachen geboren. Seit 30. Juni 2017 ist sie Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. 1989 übernahm Pfeiffer-Poensgen das Amt der Kanzlerin der Hochschule für Musik und Tanz Köln, seit 1999 war sie Beigeordnete für Kultur und Soziales der Stadt Aachen. (ksta)
Da ging einiges durcheinander?
Wir haben dann vier Wochen mit dem Bund verhandelt, in einem zwar erfreulichen, aber letztlich erfolglosen Schulterschluss mit den Wirtschaftsministern, die unisono mit den Kulturministern gefordert haben, dass es auch um eine Anerkennung der Lebenshaltungskosten gehen muss. Aber der Bund hat sich nach vielen Debatten, Verhandlungen, Briefen und Mails schließlich dazu entschieden, dies abzulehnen. Mit der Begründung, dass es für den Lebensunterhalt die Grundsicherung gibt und in der Soforthilfe für Solo-Selbstständige nur Betriebskosten geltend gemacht werden können.
Die Kulturszene stellt sich vielfältig dar – es gibt wirkliche Profis, die von ihrer Arbeit leben, es gibt aber auch zahlreiche Künstler/innen, die sich in anderen, zum Teil ebenfalls prekären Arbeitsverhältnissen befinden und mit künstlerischer Tätigkeit nur einen Bruchteil verdienen. Wie reagieren Sie auf diese Fragmentierung der Szene?
Uns ging es darum, die professionellen Künstler zu fördern, denn das ist der Bereich, für den wir verantwortlich sind. Als Nachweis haben wir die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse herangezogen. Wir haben jedoch sehr schnell registrieren müssen, dass viele professionelle Künstler gar nicht in der Künstlersozialkasse sind, also haben wir uns zusätzlich an den Künstlerverbänden orientiert.
Nun sind von Ihrer Seite noch einmal 27 Millionen Euro hinzugekommen.
Nachdem wir die Absage seitens des Bundes hinnehmen mussten, wollten wir zumindest denjenigen, die im März und April einen Antrag auf unser Soforthilfeprogramm für freischaffende Künstlerinnen und Künstler gestellt haben, aber leer ausgegangen sind, die 2000 Euro für Einnahmeausfälle ermöglichen. Parallel dazu haben wir über eine Vertrauensschutzregelung auch für die NRW-Soforthilfe des Wirtschaftsministeriums diese 2000 Euro zugebilligt. Das ist eine faire Lösung, durch die auch denen kein Nachteil entsteht, die einen Antrag gestellt haben im Glauben, es gehe um Lebenshaltungskosten.
Warten auf den Bund
Wird denn nun wirklich wieder Normalität einkehren?
Ich will mir nicht anmaßen, Prognosen anzustellen, das wissen ja sogar die Experten selbst nicht so genau. Aber wenn man wie ich viele Gespräche mit unterschiedlichen Sparten führt, dann erkennt man, wie unterschiedlich die Bedingungen sind. Auch wenn es für sie ein aufwendiger Prozess ist, so können die Museen nun öffnen, nicht zuletzt, weil sie gewöhnt sind, Besucherströme zu lenken. Die großen Probleme stellen sich bei der Darstellenden Kunst und der Musik. Was mich aber begeistert, sind die Kreativität und der Wille, Lösungen für ein Angebot in der neuen Spielzeit zu finden, das sich sicher noch unterscheiden wird von dem, was wir gewohnt sind. Zum Beispiel werden weniger Menschen eine einzelne Aufführung besuchen, was vielleicht bedeutet, dass man ein Orchesterprogramm verkürzt, dafür aber mehrfach am Tag spielt. Klar ist, dass es im September keine normale Spielzeit geben wird.
Klar ist doch auch, dass sich für ein Haus mit, sagen wir, 300 Plätzen eine Auslastung mit 60 Plätzen nicht lohnt.
Da kommt es auf den Veranstalter an. Hier sind die privaten Theater besonders betroffen – da versuchen wir, ein Unterstützungsprogramm aufzulegen. Aber auch bei den großen Häusern müssen wir schauen, wie wir das Problem in den Griff bekommen. Im Moment warten wir auf ein Strukturprogramm des Bundes, das durch die Kanzlerin, Olaf Scholz und Monika Grütters angekündigt wurde.
Föderalismus hat sich bewährt
Hat sich der Föderalismus in der Kultur bewährt?
Auf jeden Fall, alle Kulturminister befinden sich in einem sehr engen und intensiven Austausch, aber dass wir uns in dem oben beschriebenen Punkt in der Zusammenarbeit mit dem Bund nicht durchsetzen konnten, hat uns alle wahnsinnig geärgert. Aber der Föderalismus hat sich schon allein im Hinblick darauf bewährt, dass die Situation in den einzelnen Bundesländern sehr verschieden ist und deswegen auch unterschiedliche reagiert werden muss.
Was lernen wir aus der Krise? Was zum Beispiel die Digitalisierung der Museen betrifft?
Da machen wir gerade sicherlich interessante Erfahrungen, das hat der sowieso geplanten weiteren Digitalisierung sicher einen Schub gegeben. Trotzdem hoffe ich – und ich bin mir sicher, dass es auch eintrifft –, dass viele Menschen weiterhin das Live-Erlebnis suchen werden. Das ist etwas anderes als ein digitales Angebot, das wir mit den vielen witzigen und kreativen Möglichkeiten eher als etwas ganz Eigenständiges begreifen sollten. Und ich finde, wenn wir etwas lernen, dann doch auch dies: Wie flexibel und schnell unsere Kultureinrichtungen auf eine Situation wie diese reagieren.