NS-RaubkunstNeues Buch zum Kölner Wallraf-Richartz-Museum wird zum Ärgernis
- Der Autor Rainer Pabst hat ein lehrreiches Buch zur Sammlung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums verfasst.
- Sein Kapitel über den jüdischen Sammler Jakob Goldschmidt grenzt jedoch an einen Skandal.
Köln – Im Herbst des Jahres 1937 kam dem Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums heikle Post ins Haus. Im Namen Hermann Görings, damals preußischer Ministerpräsident, bat der SS-Mann Erich Gritzbach darum, das Museum möge Göring ein Jungfrauenbildnis des italienischen Renaissancemalers Benozzo Gozzoli verkaufen; der Ministerpräsident gedenke, es gegen ein im Ausland angebotenes altdeutsches Meisterwerk einzutauschen. In Köln begannen daraufhin die diplomatischen Drähte zu glühen. Einerseits wollte man es sich mit einem der mächtigsten Männer im NS-Staat nicht verscherzen, aber den eigenen Besitz auch nicht unter Wert verschleudern.
Über stille Kanäle hatte Wallraf-Direktor Otto Helmut Förster erfahren, dass Göring das Gozzoli-Bild gegen eine beim Schweizer Kunsthändler Theodor Fischer angebotene Cranach-Madonna einlösen wollte – letztere war nach Försters Auffassung allerdings nicht mal die Hälfte der italienischen Muttergottes wert. Also verfielen Förster und der Kölner Oberbürgermeister Karl Georg Schmidt auf eine List: Sie kauften die Cranach-Madonna aus städtischen Mitteln und machten diese Göring zur Taufe seiner Tochter Edda zum Geschenk.
Ein Taufgeschenk an Göring wurde für Köln zum Verlustgeschäft
Allerdings hatten die schlauen (oder auch nur willfährigen) Kölner die Rechnung ohne die deutschen Finanzbehörden gemacht. Da der Kaufpreis in einer fremden Währung anfiel, musste die Devisenausfuhr genehmigt werden – was trotz mehrfacher Nachfrage nicht geschah. Schließlich reiste Fischer persönlich nach Köln, um auf die Begleichung der offenen Rechnung zu pochen, und erwirkte nach einigem Hin und Her doch noch einen Tauschhandel. Als Gegenleistung für die Cranach-Madonna nahm Fischer ein Gemälde Vincent van Goghs, das Porträt „Armand Roulin“, in Zahlung, um es wenig später mit sattem Gewinn weiterzuverkaufen. Heute gehört es zu den Glanzstücken des Boijmans van Beuningen Museums in Rotterdam.
So wurde das Taufgeschenk an eine NS-Größe doch noch zum Verlustgeschäft für die Stadt Köln. Allerdings war die Geschichte damit keinesfalls zu Ende. Nach 1945 klagte die Stadt erfolglos gegen Fischer wegen arglistiger Täuschung und strengte die Rückgabe der „erpressten“ Cranach-Madonna an. Die Gerichtsverfahren um das Gemälde, an dem außer Edda Göring auch der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland Besitzansprüche geltend machten, dauerten beinahe 20 Jahre und endeten vor dem Kölner Oberlandesgericht. Im Januar 1968 entschied dieses, das Taufgeschenk habe gegen das Gebot sparsamer Haushaltsführung verstoßen, erfülle den Tatbestand der Verschwendung öffentlicher Gelder und sei daher sittenwidrig gewesen.
Mit dieser Geschichte beginnt Rainer Pabst sein Buch über „Biografien von Kunstwerken aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln“. Es heißt „Wie die Bilder ins Museum kamen“, ist soeben im renommierten Deutschen Kunstverlag erschienen und erzählt an sechs klug ausgewählten Beispielen, durch welche Hände einzelne Gemälde gingen, bevor sie Teil der berühmten Wallraf-Bestände wurden. Pabst geht ausführlich auf legendäre Sammler wie Everhard Jabach ein, er schildert, wie der Museumsdirektor Alfred Hagelstange für Vincent van Gogh kämpfte, und erzählt, warum die Stadt Köln das späte Selbstbildnis Rembrandts zunächst nicht einmal geschenkt haben wollte. Es ist ein lehrreiches Buch, das die Bedeutung der Provenienzforschung erhellt – aber auch eines, das einen so gravierenden Makel trägt, dass es nicht widerspruchslos hingenommen werden kann.
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Dieser Makel liegt im Kapitel über Gustave Courbets „Dame auf der Terrasse“, einem Gemälde aus dem ehemaligen Besitz des deutschen Bankiers Jakob Goldschmidt (1882-1955). Goldschmidt hatte in der Weimarer Republik eine steile Karriere gemacht und leitete mit der Danat-Bank das damals zweitgrößte deutsche Finanzhaus. 1931 löste der Zusammenbruch der Danat-Bank die Deutsche Bankenkrise aus, war jedoch, anders als bis heute gelegentlich kolportiert, nicht deren Ursache; als Hauptgründe der Bankenkrise gelten der massive Kapitalabfluss nach 1929 sowie die stagnierende deutsche Wirtschaft.
Goldschmidt, der durch leichtfertig vergebene Kredite eine Mitschuld am Konkurs trug, haftete mit seinem persönlichen Vermögen und übereignete 1931 seine Danat-Aktien sowie seine Kunstsammlung der Dresdner Bank als Sicherheiten, nachdem die deutsche Regierung die Fusion beider Banken verfügt hatte. Trotz seiner unrühmlichen Rolle im Konkurs verfügte Goldschmidt weiterhin über beste Kontakte in die deutsche Wirtschaft und bemühte sich, eine neue Existenz aufzubauen. Auch sein Gläubiger, die Dresdner Bank, sah in diesen Kontakten ein enormes Kapital, das allerdings durch die „Machtergreifung“ der Nazis rapide an Wert verlor. In NS-Organen war Goldschmidt, der jüdische Bankier, als Hauptschuldiger und Nutznießer der Bankenkrise diffamiert worden, weshalb er 1933 in die Schweiz emigrierte und 1934 in die USA. Von dort aus verhandelte er unter sich stetig verschlechternden Bedingungen über die Begleichung seiner Schulden und die Auslösung seiner Sicherheiten. Schließlich wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, wodurch sein Besitz nach damaligem NS-Recht an den Staat fiel. 1941 ließ dieser Goldschmidts Gemäldesammlung versteigern – fünf Werke sicherte sich das Wallraf-Richartz-Museum.
Nach Kriegsende stritt Goldschmidt (und dann seine Erben) in zahlreichen Gerichtsverfahren erfolgreich um die Rückgabe seiner Sammlungsstücke. Auch die Stadt Köln wurde von ihm auf Restitution verklagt – im Dezember 1957 einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Vier Werke erhielten Goldschmidts Erben, der Courbet blieb als „Schenkung“ in Köln. Dieses Arrangement war nicht unumstritten, und noch 1978 nannte der Jurist Norman Schmidt die Restitution eine „bewusste Irreführung“. Goldschmidt habe verschleiert, dass ihm die Kunstwerke seit 1931 nicht mehr gehörten und sich diese „arglistig“ erschlichen.
Es versteht sich beinahe von selbst, dass man dies auch ganz anders beurteilen kann. So argumentiert Sabine Rudolph, die juristische Vertreterin der Goldschmidt-Erben, Goldschmidt habe ein „Anwartschaftsrecht“ auf die bei der Dresdner Bank hinterlegten Sicherheiten besessen, welches ihm „verfolgungsbedingt entzogen“ wurde. Aus dem juristischen Deutsch übersetzt lautet das Argument: Zwar besaß Goldschmidt seine Kunstwerke nicht mehr. Aber er besaß weiterhin das Recht, diese zurückzuerhalten, indem er seine Schulden begleicht. Dieses Rechts wurde er beraubt, weil es ihm durch die erzwungene Emigration kaum noch möglich war, wieder zu Geld zu kommen. Bestätigt wurde diese Auffassung zuletzt 2017 durch das Verwaltungsgericht Berlin. Rudolph führt zudem an, dass sich Goldschmidts Schulden bei der Dresdner Bank in ein Guthaben verwandelt hätten, wären seine Danat-Anteile zum zugesagten 105-prozentigen Kurswert in die Bankenfusion eingegangen.
Hat Rainer Pabst diese Argumente übersehen oder unterschlagen?
Selbstredend muss man diese durch zahlreiche Gerichtsurteile bekräftigte Rechtsauffassung nicht teilen; der Fall, sagt auch Rudolph, ist juristisch komplex. Aber würde nicht die Redlichkeit gebieten, die Argumente der Goldschmidt-Erben in einer Nacherzählung des Restitutionsfalls wenigstens zu erwähnen? Stattdessen macht sich Pabst die einseitige Darstellung Norman Schmidts weitgehend zu Eigen bis hin zu der Behauptung, die zugunsten Goldschmidts ausgefallenen Urteile ließen sich mit Leichtgläubigkeit oder dem schlechten Gewissen der Richterschaft erklären. So bleibt der Leser mit der Frage zurück, ob Pabst die Argumente der „Gegenseite“ übersehen oder unterschlagen hat.
In jedem Fall hat Pabst seinem ansonsten verdienstvollen Buch mit dem Courbet-Kapitel keinen Gefallen getan. Dabei gibt es auch in seiner Darstellung genug Anhaltspunkte für das vergiftete gesellschaftliche Klima, in dem Goldschmidt um seine Kunstsammlung kämpfte – angefangen beim „arisierten“ Berliner Auktionshaus Lange, Schauplatz der für Köln so einträglichen Versteigerung, bis hin zur Expertise, die Leopold Reidemeister, Generaldirektor der Kölner Museen, laut Pabst im Jahr 1957 beim mittlerweile wieder einschlägig bekannten Hildebrand Gurlitt einholte. Am Ende hinterlässt „Wie die Bilder ins Museum kamen“ einen mindestens schalen Nachgeschmack. Es ist ein Buch über Provenienzgeschichte, in dem das einzige der NS-Raubkunst gewidmete Kapitel von einem betrügerischen Juden erzählt.