„Resist!“ in KölnDas Rautenstrauch-Joest-Museum erzählt die Kolonialgeschichte neu
Köln – Als der letzte Inkakönig Atahualpa von der Ankunft der Spanier in seinem Reich erfuhr, unterschätzte er die Gefahr, die von Francisco Pizarros kleiner Streitmacht ausging, und wandte sich wieder dem blutigen Thronfolgekrieg mit seinem Halbbruder Huáscar zu. Im November 1532 kam es dann zu jener „Schlacht“ von Cajamarca, die eigentlich ein Gemetzel und der Anfang vom Ende des Inkareichs war. Pizarro nahm Atahualpa gefangen, ließ ihn nach einem Scheinprozess hinrichten und begründete so die Jahrhunderte währende Kolonialherrschaft der spanischen Krone in Peru.
Eines der ersten Objekte der Ausstellung „Resist!“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum erzählt den Tod Atahualpas in allen grausamen Einzelheiten nach. Man sieht die Toten fallen und den König seinen Kopf verlieren – aus seinem Hals lodern Blutfontänen, als wären es die Flammen eines Lagerfeuers. Allerdings illustriert das bunte Kriegstableau nicht nur eine folgenreiche Niederlage – es enthält auch ein Signal des Widerstands: In der Lesart der besiegten Inkavölker symbolisiert die Fontäne die Wiederkehr des Lebens, den Glauben, dass aus dem Tod etwas Neues entsteht.
Umgekehrte Perspektive
Es mag etwas seltsam anmuten, die jahrhundertelange Geschichte von Ausbeutung, Versklavung und Massenmord durch europäische Eroberer wie jetzt in Köln als „Kunst des Widerstands“ erzählen zu wollen. Aber im Grunde muss man dafür lediglich die Perspektive umkehren und die Geschichte der Kolonialzeit von ihrem Ende her betrachten. Aus diesem Blickwinkel erscheint sie als Folge letztlich erfolgreicher Widerstandsbewegungen, denn schließlich entließ keine europäische Macht ihre Kolonien freiwillig in die Unabhängigkeit. Und selbstredend ergibt es Sinn, dass die Kölner Kuratoren diese Widerstandsgeschichte bis in die Gegenwart fortführen: In den vielfältigen Formen des alltäglichen Rassismus ist das Erbe des Kolonialismus’ weiterhin präsent.
Geplant wurde die große Sonderausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums bereits vor der „Black Lives Matter“-Bewegung und vor der aktuellen Diskussion um geraubte Benin-Bronzen in deutschen ethnologischen Museen. Aber selbstredend hat beides die Schau beeinflusst. Weil ein Künstler wie Mohammed Laouli lieber ein anderes, aktuelleres Werk zeigen wollte, auf dem er versucht, ein von Aktivisten mit Farbe beschmiertes Denkmal geweißter „Farbiger“ zu säubern.
Oder einfach weil die Debatten noch einmal den Blick für das Kölner Projekt geschärft haben. „Resist!“ ist der Versuch, den Schmerz über erlittenes und zugefügtes Unrecht, aber auch den Stolz auf die „Kunst des Widerstands“ zu artikulieren – ohne dabei die widersprüchliche Sonderrolle des Museums als Ort der Aufklärung und Schauplatz des Verbrechens zu ignorieren.
Das Rautenstrauch-Joest-Museum und deren Direktorin Nanette Snoep machen dabei sehr vieles richtig. Sie haben sechs Gastkuratorinnen freie Hand gelassen, um Themenräume etwa zum Genozid an den Herero, zur Verfolgung von Roma und Sinti im NS-Staat oder zu rassistischen Erfahrungen im heutigen Köln aus Sicht der Betroffenen zu gestalten; sie erklären anhand ausgesuchter Stücke der eigenen Sammlung, wie sich der Widerstand etwa durch geheime Zeichen auf Schmuck und Skulpturen seine Wege bahnte; und sie führen mithilfe zeitgenössischer Künstler vor, wie die Wiederentdeckung verschütteter Widerstandsgeschichten gelingen kann.
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Einfache Lösungen, auch das zeigt die Ausstellung, gibt es dabei nicht. Wenn etwa der junge senegalesische Fotograf Omar Victor Diop in die Kleider afrikanischer Vordenker des Antikolonialismus schlüpft, geht es ihm gerade auch darum, dass diese Intellektuellen für seine Alterskohorte eher keine gängigen Vorbilder sind.
Die enge Verflechtung des europäischen Kolonialismus mit den ethnologischen Museen hat das Rautenstrauch-Joest-Museum am eigenen Beispiel schon mehrmals thematisiert. In „Resist!“ setzt es diese Tradition fort, indem Gastkuratorin Peju Layiwola die Kölner Benin-Bronzen in Gänze ans Licht der Ausstellung bringt. Immerhin 96 Objekte des britischen Raubguts besitzt das Kölner Haus, mehr als jedes andere deutsche Museum, so Snoep – weil zu der Zeit, da die Bronzen auf den Markt kamen, das Geld für derlei Anschaffungen gerade reichlich vorhanden war.
Symbolische Reinigung
Lediglich drei Bronzen wechselten aus der Dauerpräsentation in die Ausstellung, die anderen liegen nun so vor uns, wie sie im Depot verwahrt werden. An die Wände sind die Bestandsbücher tapeziert und damit öffentlich gemacht, ganz wie es von den Museen seit langem gefordert wird.
Eigentlich sollte „Resist!“ eine Ausstellung mit Gesprächsrunden, Workshops und vielen Begegnungen sein, doch diese aktive Ansprache und Einbindung des Publikums verhindern die Corona-Beschränkungen derzeit noch. Aber auch als gewöhnliche Museumsschau lässt einen „Resist!“ nicht los, so klug und anregend sind die Fragmente aus 500 Jahren Kolonialgeschichte inszeniert. An ihrem Ende passiert man eine Schleuse, in der eine Videoinstallation von Ayrson Heràclito läuft. Man steht im Dunkeln und sieht mehreren Männern dabei zu, wie sie versuchen, die Gefängnisse der Sklavenhalter von den bösen Geistern der kolonialen Vergangenheit zu reinigen. Aber so einfach abwaschen (oder ignorieren) lassen sich deren Verbrechen nun einmal nicht.
„Resist! – Die Kunst des Widerstands“, Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstr. 29-33, Köln, Di.- So., 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, bis 5. September. Der Besuch ist nur nach Anmeldung und mit negativem Coronatest möglich.