Köln – Es war im Dezember 2019 als Mnyyaka Suburu Mboro die Schädel und Gebeine im Anatomischen Institut der Universität Köln sah. Mboro, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins Berlin Kolonial, war zu Gast auf einer Tagung in Köln und von Mitgliedern des Kölner Vereins Decolonize Cologne zum Rundgang an die Uni eigeladen worden. Obwohl Mboro solche Exponate, die in der Kolonialzeit nach Deutschland gekommen waren, bereits zahlreiche Male gesehen hatte, reagierte er entsetzt.
„Es ist schockierend, dass Überreste von Menschen in Vitrinen ausgestellt werden“, erinnert sich der 69-Jährige nun im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „So geht man nicht mit Toten um.“
Der Aktivist Mboro, der 1978 mit einem Studienstipendium aus Tansania nach Deutschland kam, sucht seit Jahren nach den Gebeinen von Menschen, die deutsche Kolonialherren im Rahmen von Expeditionen nach Deutschland brachten. Insbesondere interessiert ihn der Verbleib des Kopfes des Fürsten Mangi Meli, der von den Deutschen in der Nähe des Kilimandscharo im Jahr 1900 hingerichtet wurde. Der Kopf soll anschließend nach Deutschland gebracht worden sein, wohin ist unklar. Von der Uni Köln fordert Mboro nun, die Angehörigen der menschlichen Überreste ausfindig zu machen und die Gebeine ihnen zu übergeben.
Der Rundgang ins Anatomische Institut hat auch Decolonize Cologne motiviert, sich mit den Gebeinen in der Universität näher zu beschäftigen. Auf einen Brief Anfang 2020 gab es offenbar keine Antwort der Universität. Verschiedene Vereine und Initiativen, darunter Decolonize Cologne und Campus Grün, fordern nun in einem weiteren offenen Brief an die Hochschule, Mboros Forderung umzusetzen. „Die Würde eben dieser Menschen, deren Gebeine gegen ihren Willen verschleppt und ausgestellt wurden, wird somit auch nach ihrem Tod Tag für Tag verletzt“, heißt es in dem Brief.
Merle Bode von Decolonize Cologne verlangt, dass die Hochschule aufarbeitet, wann und unter welchen Umständen die Knochen nach Köln gekommen sind. Zudem soll die Mensa an der Robert-Koch-Straße ebenso sie wie die Hörsäle, die nach den Wissenschaftlern Erich Gutenberg, Alfred Müller-Armack und Nobelpreisträger Kurt Alder benannt wurden, einen neuen Namen erhalten. Gutenberg und Müller-Armack waren Mitglieder der NSDAP, Alder der SA. Weiter soll bei den Rektorenporträts im Alten Senatssaal kenntlich gemacht werden, ob und wie die Hochschulleiter mit dem NS-Regime verstrickt waren.
Tatsächlich war auch unter den Kölner Wissenschaftlern die Begeisterung für die Kolonien groß, nachdem ab 1884 das Deutsche Reich Gebiete unter anderem in West-, Südwest- und Ostafrika besetzt hatte. Köln gilt neben Berlin und Hamburg als einer der Hochburgen der Kolonialbewegung. 1888 wurde hier eine Unterabteilung der Deutschen Kolonial-Gesellschaft gegründet. Seit 1905 gab es ein Kolonial-Wirtschaftliches Komitee, in dem namhafte Familien vertreten waren. „Die Wissenschaft hat das koloniale Projekt vorangetrieben“, sagt Marianne Bechhaus-Gerst, Professorin für Afrikanistik an der Uni Köln und Vorsitzende des Vereins KopfWelten/Köln-Postkolonial.
So stellte sich die 1901 gegründete Handelshochschule, die Vorgängerhochschule der Universität, in den Dienst des Kolonialismus. Von Anfang an standen koloniale Themen auf den Lehrplänen. Zudem arbeitete die Handelshochschule in der Südstadt mit dem benachbarten Rautenstrauch-Joest-Museum zusammen, wo die Sammlungen von Wilhelm Joest gezeigt wurden, die er auf Reisen unter anderem in Afrika erworben und oft geraubt hatte.
Rektor Christian Eckert, der sich 1908 persönlich an einer Ostafrika-Expedition beteiligt hatte, machte aus seinen Vorurteilen gegen über schwarzen Menschen keinen Hehl: „Die Zukunft wird dann lehren, inwieweit der oft zitierte Satz Geltung behält, dass Afrika mit den Köpfen der weißen Rasse, aber mit den Armen der Eingeborenen entwickelt werden solle“, zitiert ihn Anne-Kathrin Horstmann in ihrem Aufsatz „Wissenschaftlicher Kolonialismus zwischen Theorie und Praxis: Die Ostafrika-Expedition der Kölner Handelshochschule 1908“.
Die Teilnehmer der Expedition machten aber wissenschaftliche Karrieren an der 1919 neu gegründeten Universität: Eckert wurde 1919 Rektor der Universität, Franz Thorbecke, Leiter des Geografischen Instituts der Universität. Von einer weiteren Expedition (1907) wurden Schädel und Gebeine mitgebracht, die später ins Anatomische Institut in Heidelberg gelangten und von den Nationalsozialisten genutzt wurden, um rassistische Forschung zu betreiben. Anhand der Gebeine sollte die Überlegenheit der Europäer bewiesen werden. „Man rechtfertigte den Raub der Gebeine mit wissenschaftlichem Interesse“, sagt auch Afrikanistin Bechhaus-Gerst.
Robert Koch gilt als besonders umstrittene Figur. Dem Entdecker der Tuberkulose wird vorgeworfen, dass er während einer Expedition in Britisch-Ostafrika 1906 Menschenversuche unternommen hat. Gegen ihren Willen ließ er Menschen das Gift Mittel Atoxyl spritzen. Die aggressive Chemotherapie ließ viele der inhaftierten Patienten erblinden, jeder zehnte starb daran, heißt es auf der Seite des Robert-Koch-Instituts. Zudem habe Koch „ganze Dörfer umsiedeln, das Vieh vertreiben, Landstriche entvölkern und Wälder abholzen lassen –alles für die Hygiene. Sogar die Einrichtung von Concentration Camps, wie sie die Engländer nennen, fordert er, um dort die Kranken von den Gesunden trennen zu können“, schreiben die Autoren des offenen Briefs.
Selbst nach dem Verlust der Kolonien 1919, gab es im Rahmen einer revisionistischen Bewegung zahlreiche Anhänger, die die Rückgabe der Kolonien forderten. Darunter befand sich auch Kölns damaliger Oberbürgermeister Konrad Adenauer, einerseits Gründer der Universität 1919, anderseits von 1931 bis 1933 auch geschäftsführender Vizepräsident der Deutschen Kolonial-Gesellschaft. Eingeladen wurden im Jahr 1920 auch Paul von Lettow-Vorbeck, früherer Kommandeur der deutschen Truppen in Ostafrika, der in zwei Büchern die Rückgabe der Kolonien forderte. Zudem habe es an der Uni auch eine Zentralstelle für Kolonialfragen gegeben, in der Wissen gesammelt, aber auch Propaganda zugunsten der Kolonien betrieben wurde, erläutert Bechhaus-Gerst.
Uni will Gebeine zurückgeben
In einer Antwort auf den offenen Brief betonte die Hochschule, zu Alder, Müller-Armack und Gutenberg sowie zu den Rektoren würden derzeit Recherchen durchgeführt. „Bei Vorliegen eindeutiger Befunde und Empfehlungen wird die Universitätsleitung entsprechende Umbenennungen oder Streichungen von Benennungen vornehmen.“ Zudem sei beabsichtigt, „einen Gedenkort für die vom Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der Universität zu schaffen“. Auch zu den ausgestellten Gebeinen im Anatomischen Institut werde geforscht. „Auch an der Anatomie sind wir dran“, sagt der Sprecher der Universität, Patrick Honecker. Die Hochschule sei bestrebt, die Gebeine zurückzugeben. Durch die Corona-Pandemie hätten sich aber alle Recherchen verzögert. Das Kölner Studierendenwerk, das für die Mensa an der Robert-Koch-Straße zuständig ist, will das Thema in der kommenden Verwaltungsratssitzung am 15. April erörtern, so Geschäftsführer Jörg Schmitz.
Campus Grün und Decolonize Cologne begrüßen die Recherchen der Hochschule, halten die Untersuchungen zum Anatomischen Institut aber für „vage“. Zudem solle die Universität für einen Übergangszeitraum, bis die Hörsäle umbenannt werden, mit Infotafeln oder Aushängen auf die umstrittenen Personen aufmerksam machen. Aktivist Mboro fordert, dass bundesweit Straßen, die an die Kolonialherrschaft erinnern, umbenannt werden, geraubte Kulturgüter zurückgebracht werden und sich die Bundesregierung bei den Nachfahren entschuldigt.