Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Studie zur JugendkriminalitätImmer mehr Mädchen neigen zu Gewalt

Lesezeit 4 Minuten
Gewalt auf dem Schulhof ( gestelltes Bild): Auch Mädchen sind immer häufiger in die Auseinandersetzungen verwickelt.

Gewalt auf dem Schulhof (gestelltes Bild): Auch Mädchen sind immer häufiger in die Auseinandersetzungen verwickelt.

Die Kriminalität von Kindern und Jugendlichen ist in NRW stark angestiegen. Was steckt dahinter? Forscher der Universität Köln haben nun mögliche Ursachen identifiziert. Und sehen einen starken Anstieg bei gewalttätigen Mädchen.

Schülerinnen und Schüler weisen heute eine geringere Selbstkontrolle auf als noch vor zehn Jahren. Auch die moralische Ablehnung von Regelverstößen ist im gleichen Zeitraum zurückgegangen. Weitere Untersuchungen würden nahe legen, „dass diese Veränderungen für den Anstieg der Gewaltdelinquenz, insbesondere bei Mädchen, verantwortlich sind“, sagte Professor Clemens Kroneberg am Donnerstag im Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags.

Der Leiter des Instituts für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität Köln präsentierte seinen Zwischenbericht zu einer Kriminalitäts-Dunkelfeldstudie, mit der die Landesregierung ihn beauftragt hatte. Wissenschaftler befragten 3700 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 7. und 9. in Gelsenkirchen, Herten und Marl, um sie dann mit identischen Erhebungen aus den Jahren 2013 und 2015 zu vergleichen.

Jeder fünfte Tatverdächtige in NRW war 2023 unter 21 Jahren

Den Grund für die Analyse lieferte das besorgniserregende Lagebild Jugendkriminalität, das der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) Anfang dieses Jahres für 2023 veröffentlichte. Jeder fünfte der gut 503.000 Tatverdächtigen an Rhein und Ruhr war unter 21 Jahren alt. Die Quote strafunmündiger, krimineller Kinder kletterte um mehr als sieben Prozent auf 22.469.

Alles zum Thema Universität zu Köln

„Das ist nicht nur ein Problem der Jugend, sondern ein Weckruf an uns alle“, sagte Reul nach dem ersten Schreck: „Ganz offensichtlich läuft da etwas schief in der Gesellschaft.“ Neben dem „Hellfeld“, den in der Kriminalstatistik festgestellten ansteigenden Straftaten, beauftragte der Landtag daraufhin noch die Dunkelfeld-Studie, um „Erkenntnisse zu den Gründen und Ursachen für den Anstieg der aktuellen Fallzahlen von Kinder- und Jugendkriminalität zu erarbeiten“.

Weniger Zeit wird im Freundeskreis verbracht

Ein deutlich höherer Anteil der Jugendlichen in NRW gibt demnach heutzutage an, in den letzten zwölf Monaten ein oder mehrere Eigentums- oder Gewaltdelikte begangen zu haben. Die Häufigkeit von Eigentumsdelikten stieg im 7. Schuljahr um 22 Prozent, die von Gewaltdelikten um 30 Prozent. „Auch in der 9. Jahrgangsstufe beobachten wir einen deutlichen Anstieg der Gewaltprävalenz von 17,2 auf 21,4 Prozent – also um knapp ein Viertel“, berichtete Kroneberg: „Besonders angestiegen ist die Gewaltbereitschaft von Mädchen.“ Vor allem in 9. Schuljahr gebe es vermehrt auch Mehrfachtäterinnen.

In ihrer Untersuchung interessierten sich die Forscher zudem für die soziale und psychologische Situation der Befragten. Demnach geben heute weniger Jugendliche an, mehrmals in der Woche Zeit mit ihren Freundinnen und Freunden außerhalb der Schule zu verbringen, als vor zehn Jahren. Dies gelte „sowohl für eher private Kontexte (bei jemandem zu Hause) als auch für eher öffentliche, unstrukturierte Kontexte (z.B. auf Spielplätzen oder in Einkaufszentren)“, heißt es im Zwischenbericht.

Fast ein Drittel der Jugendlichen hat Zukunftsangst

Etwa 30 Prozent der Befragten hatten leichte oder erhebliche Zukunftssorgen. An der Schule herrsche ein Klima des Respekts, sagten vor zehn Jahren etwa 45 Prozent der Teilnehmer. „Heute aber nur noch 22 Prozent - ein deutlicher Rückgang, der mich überrascht hat“, so Kroneberg.

Die Wissenschaftler fragten die Jugendlichen auch nach vermehrter Niedergeschlagenheit und Angst. „Da gibt es hohe Werte in beiden Schuljahren, die Werte bei Mädchen liegen bei 40 Prozent und darüber hinaus“, betonte der Studienleiter. Inwieweit die ermittelten Daten etwas mit der steigenden Gewaltbereitschaft zu tun haben, müsse jedoch „noch sorgsam analysiert und hinterfragt werden“.

Durchschnittlich 64 Stunden pro Woche im Internet

Teil der weiteren Überlegungen, die der Landesregierung letztlich auch einige Handlungsempfehlungen geben soll, ist die Kriminalität gegen Kinder und Jugendliche im Internet. Laut der Digitalstudie 2023 verbringen sie wöchentlich durchschnittlich etwa 64 Stunden online. Und eine Umfrage der Landesanstalt für Medien aus dem Jahr 2024 zeigt, dass etwa 25 Prozent der Befragten mit „Cybergrooming“ in Kontakt gekommen sind.

Trotz dieser alarmierend hohen Zahl werden solche Vorfälle jedoch nur selten den Strafverfolgungsbehörden gemeldet. Laut der Umfrage haben lediglich fünf Prozent der betroffenen Kinder ein als unangemessen empfundenes Verhalten bei der Polizei angezeigt. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der digitalen Hasskriminalität: Die „Hate Speech Forsa-Studie 2023“ belegt, dass junge Menschen im Untersuchungszeitraum 2019 bis 2023 solche Handlungen fast gar nicht mehr bei der Polizei angezeigt haben.

SPD-Fraktion fordert ein „Online-Kommissariat“ für Kinder und Jugendliche

Die SPD-Fraktion im Landtag fordert deshalb von der Landesregierung, bei der nordrhein-westfälischen Polizei ein „Online-Kommissariat“ einzurichten, das speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist. Damit solle „eine niedrigschwellige Möglichkeit“ geschaffen werden, „Straftaten im digitalen Raum anzuzeigen“.