Martin Andree spricht von einem „digitalen Feudalismus“ und fordert, digitale Monopole konsequent aufzubrechen.
Politische Bildung und TiktokKölner Medienexperte: „Wir tanzen nach den Algorithmen von Big Tech“

Martin Andree ist Professor für Digitale Medien an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln.
Copyright: Dirk Borm
Die guten Wahlergebnisse von Linken und AfD bei der Bundestagswahl haben offenbar auch viel mit ihrer jeweiligen Präsenz auf Tiktok zu tun. Sind die Parteien der demokratischen Mitte auf den Sozialen Medien ins Hintertreffen geraten und sollten sie nachziehen?
Martin Andree: Deswegen rennen Politiker in Coachings und lassen sich quasi zu Influencern umschulen. Das wird dann noch von neuen digitalaffinen „Social Media Experten“ begleitet, die quasi benoten: Wer macht das denn am coolsten auf Tiktok? Das zeigt schon unsere totale Abhängigkeit. Das Kernproblem ist nur: Die Gestaltung dieser digitalen Medienlandschaft liegt gar nicht mehr in unserer Hand. Hier herrscht Big Tech. Und genau das ist die Crux, wenn die Politik nicht versteht, dass die Medien eben die Grundlage unserer politischen Öffentlichkeit liefern. Sie hat dieses Feld kampflos Big Tech überlassen.
Haben seriöse Medien und Parteien der Mitte überhaupt eine Chance, da mitzuhalten, wenn ihre Inhalte eben nicht polarisierend sind und extrem nach links oder rechts tendieren?
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Nein – deswegen leiden „etablierte Medien“ und „etablierte Parteien“ gleichermaßen. Unter dem Primat der Plattformen werden wir quasi alle gezwungen, das Polarisierungsrennen mitzumachen. Vor dem Hintergrund finde ich auch die Trollisierungs-Tendenzen interessant, die wir bei Merz und der CDU in den letzten Monaten beobachten konnten.
Es heißt, die klassischen Medien erreichten die Jugend von heute nicht mehr. Könnten sie es über Tiktok schaffen? Sollten sie?
Die Zwangsjacke der digitalen Besatzung gilt für die klassischen Medien genauso wie für alle. Die Mechanik des digitalen Feudalismus ist hier besonders brutal. Weil in der digitalen Sphäre die Plattformen herrschen, haben die Redaktionen keine andere Wahl, als ihre Inhalte hier in irgendeiner Form rauszustellen. Damit entwerten sie zwangsläufig ihre eigenen Angebote und beschleunigen die eigene Erosion. Und parallel trocknet Big Tech die Redaktionen noch weiter aus, indem sie einfach die Outlinks herunterregelt – also die „Links nach draußen“, durch die Nutzer ja auf die redaktionellen Originalinhalte zugreifen könnten. Tiktok hat gar keine Outlinks mehr. Der ganze Traffic bleibt also bei Tiktok. Die Redaktionen arbeiten dann gratis für Tiktok.
Für wie sinnvoll halten Sie Tiktok-Auftritte von Stadtverwaltungen?
Unter den Bedingungen der digitalen Besatzung ist das sicherlich richtig. Dass wir die digitale Besatzung abschütteln müssen, ist auch klar. Aber da sehe ich weniger die Stadtverwaltung im Lead.
Was verstehen Sie unter „digitaler Besatzung“?
Die Vielzahl der Angebote im Netz ist eine irreführende Illusion – denn unsere Messungen haben gezeigt: Fast die ganze Nutzung im Netz findet auf den monopolitischen Plattformen statt, die das Netz quasi „ausgetrocknet“ haben. Das Internet ist eine Besatzungszone von Big Tech geworden. Und in dieser unfreien Welt tanzen wir jetzt alle nach den Algorithmen von Big Tech.
Was müsste Ihrer Ansicht nach passieren?
Die digitalen Monopole müssten konsequent aufgebrochen werden – durch offene Standards, die Öffnung der Plattformen für Drittanbieter müssten redaktionelle Medien eine ernsthafte Chance erhalten, auch unter digitalen Bedingungen zu überleben. Und wir sollten das Straftatenprivileg abschaffen. Bis heute dürfen Plattformen nämlich mit strafbaren Inhalten Geld verdienen – also etwa Verleumdungen, rassistischen Diskriminierungen, Aufforderungen zu Straftaten, Holocaustleugnung. Wer mit Inhalten Geld verdient, muss für diese Inhalte auch die Verantwortung übernehmen.
Der Jugendforscher Simon Schnetzer sagte zuletzt im „Handelsblatt“, wir hätten die Kontrolle über politische Bildung an Social Media abgegeben und er habe Angst um unsere Demokratie. Sehen Sie das auch so?
Ich würde es noch stärker formulieren. Wer die Medienstrukturen kontrolliert, der kontrolliert auch die Denkstrukturen. Big Tech legt jetzt diese Medienstrukturen fest. Die helfen erst einmal den Populisten durch Polarisierung. Zusätzlich sind die Big-Tech-Unternehmen jetzt auch ganz offen in eine Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung und europäischen Populisten eingetreten – mit einer antidemokratischen Agenda und extrem viel Geld und Macht, diese umzusetzen. Man müsste sehr naiv sein, um nicht zu verstehen, was sich da zusammenbraut.