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E-Sport in KölnWas Oma und Opa sich bei den zockenden Enkeln abschauen können

Lesezeit 6 Minuten
Eine junge Frau nimmt an einem E-Sport-Turnier teil.

Eine junge Frau nimmt an einem E-Sport-Turnier teil.

Gaming ist längst nicht mehr das Reich Pizza verschlingender Nerds, sondern ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig. Und Köln ist mittendrin.

Wenn der Elfjährige, er nennt sich selbst mit einem breiten Grinsen im Gesicht „Jugendsprachler“, mal erzählen soll, was so los war in seinem derzeitigen Lieblings-Computerspiel Brawl Stars, sagt er Sätze wie diesen: „Random ist da dieser Edgar aus dem Busch gespawnt.“

Bitte was?

Nun ist Geduld gefragt, bei ihm genauso wie bei seinen nicht in Gaming-Welten sozialisierten Eltern. Irgendwann verstehen wir so viel: Edgar ist ein so genannter Brawler, eine Spielfigur in diesem bei jüngeren Kindern überaus beliebten „Multiplayer-Online-Battle-Arena-Spiel“, das auf Smartphones und Tablets und damit überall und zu jeder Zeit gespielt werden kann. Sieht man eine Gruppe Kids auf dem Schulweg an der Straßenbahn über ihre Handys gebeugt herumstehen, spielen sie garantiert Brawl Stars. Und wenn dieser Edgar „random aus dem Busch spawnt“, dann bedeutet das, er taucht plötzlich auf.

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Ewige Diskussionen zwischen Jung und Alt zum Thema Gaming

Genauso wie dieses Unverständnis zwischen Jung und Alt. Diese ewigen Diskussionen um Suchtgefahr, soziale Isolation, Bewegungs- und Frischluftmangel. Auch die sind „random gespawnt“, als der Nachwuchs dem Kita-Alter entwachsen war. Die einen wollen die anderen schützen und die anderen wollen nicht geschützt werden vor etwas, das ihren Alltag, ihr Aufwachsen bestimmt.

Es sind ja auch bei weitem nicht nur die Kids, die zocken. Das Durchschnittsalter von Gamerinnen und Gamern sei in Deutschland erstmals auf über 38 Jahre gestiegen, teilte im vergangenen Sommer „game“ mit, der Verband der deutschen Games-Branche.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war neulich zusammen mit dem Kölner OB-Kandidaten der SPD, Torsten Burmester, und der Bundes-SPD-Chefin Saskia Esken zu Besuch bei der „esports player foundation“ in Köln. Sie sind nicht gespawnt, sondern von langer Hand geplant angerückt. Vor der Tür hielt eine Polizeistreife Wache.

Der Grund ihres Besuchs? Oberflächlich betrachtet: Wahlkampf. Genauer bedacht aber wohl: die Zukunft.

Gaming ist längst nicht mehr das Reich Pizza verschlingender Nerds. Das ist ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig, eine Branche mit Zukunft, ein vielversprechender Innovationstreiber. Gamer können heutzutage nicht nur steinreich werden, sondern sich auch zum Nobelpreisträger entwickeln. Und Computerspiele sind nicht nur Zeitvertreib für die Jugend, sondern verringern aktuellen Studien zufolge bei älteren Menschen das Risiko auf eine Demenz.

Köln ist ein Zentrum der Computerspiele-Branche

Bei alledem ist Köln mittendrin. „Es gibt aktuell zwei relevante Standorte in Deutschland“, sagt Jörg Adami, der Chef der Spieler-Stiftung, die junge E-Sport-Talente fördert: „Das sind Köln und NRW sowie Berlin.“ Mit den Computerspiele-Entwicklern EA Sports in Köln und Ubisoft in Düsseldorf haben zwei der international ganz großen Unternehmen einen Sitz im Rheinland. Außerdem gebe es in der Medienstadt Köln sehr viele „Indis“, betont Adami, independent, also unabhängige, kleine Studios: „Das ist wichtig, denn aus so einem kleinen Unternehmen kann mit einem Hit ganz schnell ein großes werden.“

Köln hat mit der Gamescom jährlich die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele und Unterhaltungselektronik zu Gast, in diesem Jahr vom 20. bis 24. August. Mit dem IEM Cologne gastiert eines der prestigeträchtigsten E-Sport-Turniere regelmäßig in der dann zumeist ausverkauften Lanxess Arena, vom 1. bis 3. August ist es wieder soweit. Und in Köln hat der Elektronikhändler Saturn das Zocken im Kaufhaus am Hansaring mit dem „Xperion“ auf ein neues Level gehoben. Eine zweite Version des 2020 eingerichteten Gaming-Erlebniszentrums gibt es inzwischen in Berlin am Alexanderplatz.

Der Kölner Ralf Reichert gilt als „Urvater des E-Sports“

Eine der größten E-Sport-Erfolgsgeschichten hat Ralf Reichert in Köln geschrieben. Die „Zeit“ bezeichnete ihn im vergangenen Jahr als „E-Sport-Urvater“. Der 50-Jährige war zusammen mit seinen Brüdern selbst begeisterter Gamer, bevor er im Jahr 2000 die Turtle Entertainment GmbH gründete und begann, E-Sport-Turniere zu veranstalten. Die Folgefirma ESL entwickelte sich mit der Spielebranche insgesamt zu einem internationalen Top-Unternehmen und wurde vor drei Jahren für eine Milliarde Dollar nach Saudi Arabien verkauft.

Reichert hat auch Jörg Adami beim Aufbau der „esports player foundation“ in Köln unterstützt. Die Idee der Stiftung: Talente auf dem Weg in die Weltspitze des E-Sports zu Vorbildern formen. Die jungen Spielerinnen und Spieler bekommen ein hochkarätiges Training – nicht nur in ihren Computerspielen, sondern auch in Sachen körperlicher Fitness, Psychologie, Schule, Außendarstellung. „E-Sport-Veranstaltungen werden immer Größer und die Reichweiten der Spielerinnen und Spieler explodieren“, sagt Adami. Über die Stars der Szene werde ein Millionenpublikum erreicht: „Wenn man seine Kinder ernst nimmt, darf man das nicht wegignorieren.“

Lauterbach über den E-Sport: „Da steckt viel Zukunft drin“

Bei seinem Besuch der Stiftung hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einer jungen E-Sportlerin über die Schulter geschaut. Er war sichtlich ahnungslos, aber auch beeindruckt. Und er sagte über die Branche: „Da steckt viel Zukunft drin.“ Ein gewichtiger Beweis dafür ist für ihn Demis Hassabis, der 2024 den Nobelpreis in Chemie zugesprochen bekam. Bevor er sich als KI-Forscher und Neurowissenschaftler einen Namen machte, war der Brite Computerspiele-Entwickler.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (links) und weitere SPD-Politiker schauen in Köln der E-Sportlerin Sahrii über die Schulter.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (links) und weitere SPD-Politiker schauen in Köln der E-Sportlerin Sahrii über die Schulter.

Wer will seinen Kindern bei diesen Aussichten noch das Zocken verbieten? Bei aller Begeisterung für die Branche weist Lauterbach allerdings auch darauf hin: „Zu viel Gaming, zu viel Beschäftigung mit dem Netz, das schadet Kindern, weil dann zum Teil Bewegungsarmut und Isolation folgen.“

Auch Adami propagiert kein hemmungsloses Zocken, sondern zeitlich begrenztes, konzentriertes Training. E-Sport und Gaming gehörten längst zur Alltagskultur der Jugend, sagt er, mit Verboten dagegen anzukämpfen, sei keine Lösung. „Die Kinder wollen gut sein, das ist wichtig für sie. Also raten wir ihnen: wenn du spielst, konzentrier dich, schlafe, wenn es dunkel ist, ernähre dich gut und halte dich körperlich fit“. Der Einstieg der Kleinsten läuft zumeist über das Spiel „Brawl Stars“. Bei internationalen E-Sport-Turnieren stehen vor allem „League of Legends“, „Counterstrike“, „Dota“ und „Valorant“ im Mittelpunkt.

Wichtig beim E-Sport ist: Im Wettkampf spielen Menschen gegen Menschen und der Erfolg beruht wie beim Schachspiel auf Können. Zufall oder Glück spielen keine Rolle. Andere Computerspiele, etwa das überaus beliebte Konstruktions-Spiel „Minecraft“, sind nicht Teil der E-Sport-Welt, sondern fallen unter die Bezeichnung „Gaming“. Die vor allem in Deutschland beliebte Fifa-Computerspielreihe spiele international kaum eine Rolle, sagt Adami.

Lauterbach betonte in Köln: „In der Schule ist Gaming ein Tabuthema. Aber jeder macht es, es wird nur nicht darüber gesprochen. Ich sehe es als wichtige Aufgabe der Bildungspolitik, die Vorzüge zu nutzen, ohne die Gefahren zu vernachlässigen.“ Außerdem wies der Gesundheitsminister darauf hin, dass neuesten Studien zufolge „E-Sport und Gaming bei älteren Menschen tatsächlich auch vor kognitivem Verfall und Demenz schützen können“. Demnach förderten Computerspiele die Verknüpfungen von Nervenzellen. Es kann sich für Großeltern also durchaus lohnen, sich von den Enkeln mal mit in die bunte E-Sport-Welt nehmen zu lassen.