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Nur eine NRW-Stadt hat mehrMinisterium veröffentlicht Zahlen zu jugendlichen Intensivtätern in Köln

Lesezeit 4 Minuten
Ein 14-jähriger Jugendlicher packt einen Jungen am Hals und drückt ihn in eine Ecke.

Ein 14-jähriger Jugendlicher packt einen Jungen am Hals und drückt ihn in eine Ecke.

Das Präventionsprogramm „Kurve kriegen“ vermindert die Wiederholungsrate bei knapp 40 Prozent der Teilnehmer.

Die Geschichte von Sammy C. (Name geändert) beginnt mit einem abgetretenen Außenspiegel, da ist Sammy acht Jahre alt. Sie endet mit Brandstiftungen und einem Einbruch. Sieben Jahre nach seiner ersten Straftat von letztlich 86 bekannten Straftaten landete der 15 Jahre alte Sammy aus Köln schließlich erstmals im Gefängnis. Ein Richter verhängte eineinhalb Jahre Haft, ein ungewöhnlich hartes Urteil für einen Jugendlichen. „Aber er hat alle Behörden an ihre Grenzen gebracht“, schilderte ein Ermittler der Polizei.

Der Fall ist zwar schon einige Jahre her, aber noch vielen damals Beteiligten gut in Erinnerung – auch, weil die Polizei zu einem Pressetermin Sammys ausgedrucktes Strafregister mitgebracht hatte. Ein Beamter rollte das meterlange Papier im Treppenhaus aus. In einem gewöhnlichen Büro wäre dafür kein Platz gewesen.

495 Intensivtäter in NRW

Der Fall Sammy war womöglich ein besonders krasser und seltener Fall, aber bei weitem nicht der einzige in Köln. Mit 40 registrierten jugendlichen Intensivtätern liegt die Millionenstadt landesweit an zweiter Stelle, wie einem Papier des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zu entnehmen ist. Demnach meldeten die Kreispolizeibehörden mit Stand 15. April insgesamt 495 Intensivtäter für NRW. 326 haben die deutsche oder eine Mehrfachstaatsbürgerschaft (88).

Alles zum Thema Herbert Reul

In Essen gibt es mit 64 die meisten jugendlichen Extrem-Kriminellen, in der traurigen „Top-Five“ liegen dann noch Düsseldorf mit 37, Duisburg mit 26 und Paderborn mit 23. Auch in ländlichen Gegenden im Großraum Köln gibt es das Problem schon länger. Im Rhein-Sieg-Kreis gibt es acht registrierte Jugendliche, in Rhein-Berg sind es sechs, in Euskirchen fünf und im Rhein-Erft-Kreis zwei.

Durchschnittlich 100 Menschen bestohlen, beraubt oder verprügelt

In der Polizei-Statistik gibt es zwei Gruppen von jungen Straftätern. Mehrfachtatverdächtige sind Kinder ab acht Jahren, die in einem Jahr mit fünf oder mehr Straftaten erfasst werden. Als Intensivstraftäter eingestuft werden diejenigen, die nicht nur schwerste Straftaten begehen, sondern bei denen auszugehen oder schon bewiesen ist, dass sie dies immer wieder tun wollen.

Bis zum 25. Lebensjahr bestehlen, berauben oder verprügeln diese jungen Männer und Frauen laut Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) durchschnittlich 100 Menschen. Beispiele dafür lassen sich zuhauf finden. Nach einem Raubüberfall mit einer Machete in Krefeld ist ein 15-Jähriger am Montag dieser Woche wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft gekommen. Vor etwa zwei Wochen startete am Landgericht Wuppertal der Prozess gegen drei Angeklagte im Alter von 18 bis 21 Jahren, die im jugendlichen Alter als Zuhälter mit der Prostitution von 14 bis 16 Jahre alten Mädchen Geld verdient haben sollen.

In einigen Fällen ist laut Staatsanwaltschaft davon auszugehen, dass die Mädchen zur Prostitution gezwungen wurden. Zwei der Angeklagten sorgten vor fünf Jahren schon für Schlagzeilen, weil sie auf einen damals 70 Jahre alten Rentner eintraten, der zum Dauer-Pflegefall wurde und an den Folgen der Tat im Herbst vergangenen Jahres starb.

Zwangsprostitution und tödlicher Messerangriff

Auch gegen die jugendlichen Tatverdächtigen im Fall des tödlichen Messerangriffs auf zwei ukrainische Basketballer am 10. Februar in Oberhausen hat es schon Dutzende Ermittlungsverfahren gegeben. Bei dem mutmaßlichen 15-jährigen Messerstecher sind nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zehn Raubüberfälle, zwei Diebstähle, zwei Drogendelikte und ein Fall von sexueller Belästigung aktenkundig. Alle Taten geschahen, als er mit 14 bereits strafmündig war.

Bei seinem 14-jährigen syrischen Mitverdächtigen sind 13 Raubstraftaten, zwei Diebstähle, drei Fälle sexueller Belästigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vermerkt. Er wurde bei der Messerattacke des Deutsch-Türken auf die Basketballer auch schwer verletzt.

Reul: „Was geht da in den Köpfen vor?“

Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass ein Intensivtäter bis zu seinem 25. Lebensjahr einen gesellschaftlichen Folgeschaden von 1,7 Millionen Euro anrichtet – die Gehälter von Polizisten, Staatsanwältinnen, Richtern, Sozialarbeiterinnen, Haftplätzen und Gefängnispersonal inklusive.

Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister,  geht durch den Landtag in Düsseldorf.

Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister

„Traurigerweise ist es nichts Neues, dass junge Menschen kriminell werden", kostatiert Innenminister Reul. Doch gerade die Zahl der Jüngsten unter ihnen steige tendenziell und auch die Qualität der Delikte habe sich verändert. „Das treibt mich um. Was geht da in den Köpfen vor?“, so Reul: „Was wir brauchen sind erstens - eine gute Erziehung im Elternhaus, zweitens - eine altersgerechte Medienkompetenz und drittens - das Aufzeigen von Alternativen.

„Kurve kriegen“ mit 40prozentiger Erfolgsqute

Unter anderem mit dem Präventionsprogramm „Kurve kriegen“ versuchen Innenministerium und Polizei sich anbahnende kriminelle Karrieren von Kindern und Jugendlichen früh zu unterbrechen und die Minderjährigem auf einem Weg in feste Berufe und ein geregeltes Leben zu begleiten. Mittlerweile haben weit über 1000 Kinder und Jugendliche das Programm durchlaufen, so das Innenministerium. Im Durchschnitt seien die Jungen und Mädchen knapp 13 Jahre alt, wenn sie zu „Kurve kriegen“ kommen. Und 40 Prozent der Teilnehmer seien anschließend nicht mehr straffällig geworden.

Der Soziologe Clemens Kroneberg forscht an der Universität zu Köln zu Jugendkriminalität. Seiner Einschätzung nach macht sich das Ende der Corona-Pandemie bei Kindern besonders stark bemerkbar. „Teilweise sind Nachholeffekte zu erwarten, da Jugendliche bestimmter Altersgruppen erst nach Ende der Pandemie ihre ersten Erfahrungen in Situationen machen konnten, in denen ein höheres Risiko für Gewalt und anderen Regelverletzungen besteht. Daneben könnte es aber auch Defizite im Erwerb sozial-emotionaler Kompetenzen geben, insbesondere durch die Schulschließungen während der Pandemie.“ Ältere Jahrgänge hätten ihre Grundschulzeit vor Beginn der Pandemie bereits abgeschlossen.