NRW-Innenminister Reul hat versprochen, dass es keine rechtsfreien Räume geben soll. Versagt die Strategie am Kölner Ebertplatz? Ein Ortstermin.
Reul am Kölner Ebertplatz„Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn einfach zuschütten“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei einem Inkognito-Ortsbesuch am Ebertplatz in Köln. Der Platz ist ein Kriminalitätsbrennpunkt.
Copyright: gmv
Es ist kurz vor 21 Uhr, als zwei schwarze Limousinen an einer Parkbucht am Kölner Ebertplatz halten. Auf dem Dach sind Blaulichter montiert, aber die sind ausgeschaltet, denn der Mann, der jetzt aus einem der Fahrzeuge steigt, legt Wert darauf, an diesem Abend nicht besonders aufzufallen. Herbert Reul will dem Ebertplatz inkognito einen Besuch abstatten, um zu sehen, was sich hier abspielt, wenn keine Polizei in der Nähe ist. Die Visite sollte geheim bleiben, aber das hat offensichtlich nicht funktioniert. An der nahen Fußgängerampel wird Reul schon von drei Uniformierten erwartet. „Guten Abend, Herr Innenminister“, sagt eine Beamtin und lächelt den CDU-Politiker an.
Herbert Reul ist stets freundlich, wenn er auf „seine“ Polizisten trifft. Er begrüßt den Trupp mit Handschlag. Aber er macht auch deutlich, dass er wenig begeistert von dessen Anwesenheit ist. „Das war so nicht abgesprochen“, sagt er und schüttelt den Kopf.
Zweiter Besuch auf Initiative des „Stadt-Anzeiger“
Reul kennt den Platz und seine Probleme. Schon 2017 war er abends überraschend aufgetaucht; damals wie heute hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Besuch angeregt und begleitet. „Ich habe da ganz wichtige Eindrücke gesammelt“, erinnert sich der Innenminister an diese erste Nachtvisite. „Damals war es noch viel dunkler hier. Und es wirkte ein bisschen bedrohlicher.“
Alles zum Thema Herbert Reul
- 50 Jahre Hunderte Gäste feiern den Geburtstag der Gemeinde Pulheim
- Mit NRW-Innenminister Reul Kölner Presseclub lädt zu Diskussion über „Großstädte in der Krise“
- Extremismus in NRW Rechtsextreme Szene wird immer jünger – Straftaten häufen sich
- Diskussion mit Innenminister Herbert Reul ist beeindruckt von Burscheider Gesamtschülern
- Unfallbilanz des Innenministeriums 2024 gab es in NRW mehr Verkehrstote, aber weniger Verunglückte
- Richtfest in Rosenthal Wo sich Oberbergs Polizei künftig für schwierige Einsätze wappnet
- „Etikettenschwindel“ Grünen-Chef Banaszak übt harte Kritik am schwarz-roten Schuldenplan

NRW-Innenminister Reul (CDU) an einem der Treppenaufgänge, die demnächst geschlossen werden sollen.
Copyright: gmv
Tatsächlich vermittelt Szenerie keinen ganz so düsteren Eindruck wie erwartet. Das liegt auch daran, dass an diesem Abend kaum zwielichtige Gestalten auf dem Ebertplatz zu erblicken sind. Kein Unrat auf dem Pflaster, es sieht fast aus, als hätte jemand feucht durchgewischt. Und dort, wo um diese Zeit sonst die Drogengeschäfte abgewickelt werden, parken zwei Mannschaftswagen der Kölner Polizei. „Wir haben uns schon gewundert, warum heute so viele Beamte da sind“, sagt Meryem Erkus, Gründerin des Kunstraums „Gold und Beton“ in der Ebertplatzpassage, die den prominenten Besucher erkannt hat und das Gespräch mit ihm sucht.
Die Künstler glauben, dass der Besuch mit dem Plan der Stadt Köln zu tun hat, drei Zugänge zum Eberplatz abzusperren, um den Dealern bei Kontrollen die Flucht vor der Polizei zu erschweren. Für Reul geht es aber um einen anderen Punkt. Er hat versprochen, dass es in NRW keine rechtsfreien Räume geben darf. „Das gilt auch für den Ebertplatz. Der ist längst bundesweit bekannt als größtes Drogenkaufhaus von NRW. Das kann ich nicht einfach hinnehmen. Hier geht es ganz klar auch um die Glaubwürdigkeit meiner Politik. Der Staat muss zeigen, dass er die Probleme löst.“
Hier geht es ganz klar auch um die Glaubwürdigkeit meiner Politik. Der Staat muss zeigen, dass er die Probleme löst
Probleme gibt es hier viele. Anwohner hatten dem Innenminister berichtet, dass ihnen nicht nur die lautstarken und oft gewalttätigen Streitereien der Drogenhändler untereinander Angst einflößen. Die Mutter eines Gymnasiasten, der jeden Morgen am Ebertplatz aussteigt, um in die Schule zu gehen, hatte berichtet, dass Dealer den Zehnjährigen gefragt hätten, ob er nicht mal an einer Probe schnüffeln wolle. „Das kann ich doch nicht zulassen.“ Reul zeigt sich empört. Ein Galerist ist der Meinung, die Dealer seien auch selbst Opfer, die man nicht alle über einen Kamm scheren dürfe.

Das war so eigentlich nicht geplant: großes Polizeiaufgebot beim abendlichen Reul-Besuch am Ebertplatz.
Copyright: gmv
Reuls Büro hat dem Minister zur Vorbereitung seines Besuchs ein Lagebild zum Ebertplatz mit auf den Weg gegeben. Der Bereich stelle einen Kriminalitätsbrennpunkt dar, dessen Belastung sich vom übrigen Kölner Stadtgebiet abhebt, heißt es darin. 61 Prozent aller Straftaten sind Rauschgiftdelikte, bei 19 Prozent der Fälle geht es um Körperverletzungen, bei sechs Prozent um Taschendiebstahl. Die tatverdächtigen Händler seien fast ausnahmslos zugewanderte Asylbewerber aus den Staaten Guinea, Eritrea, Syrien, Marokko, Algerien und dem Irak. Eine bestimmte Täterklientel kehre immer wieder dorthin zurück. Anwohner wissen, dass die Dealer oft schon wenige Stunden nach ihrer Festnahme wieder auftauchen.
Flüchtlingsunterkunft mit 500 Plätzen im Agnesviertel geplant – Was das bedeutet
Aktuelle Entwicklungen lassen keine Entspannung erwarten: Die Stadt Köln hat angekündigt, dass es der seit Jahrzehnten diskutierte Umbau des Ebertplatzes nicht vor 2030 begonnen werden kann. Bis dahin, so warnen auch Parteifreunde den Innenminister, könne sich die prekäre Situation noch weiter zuspitzen. Denn NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) plant in Abstimmung mit der Bezirksregierung Köln, eine Flüchtlingsunterkunft im nahen Agnesviertel mit 500 Plätzen zu eröffnen.
Kritik kommt auch von Serap Güler, die mit Blick auf die Gemengelage kein Blatt vor den Mund nimmt: „Ich teile die Sorge, dass mit einer künftigen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge die Situation vor Ort noch herausfordernder wird“, sagt die Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete: „Ich halte diese Entscheidung der Landesregierung für falsch.“

In diesem Gebäude unweit des Ebertplatzes will das Land eine Unterkunft für Geflüchtete eröffnen.
Copyright: gmv
Das Flüchtlingsministerium argumentiert mit Formalia, verweist darauf, dass der Standort demnach alle nötigen Voraussetzungen erfüllt: Die Kapazität ist groß, die Nutzungsdauer lang. „Die Nähe zum Ebertplatz wurde bei der Entscheidung des Standortes in der Gesamtschau berücksichtigt“, sagt ein Sprecher. Auch der Kölner Flüchtlingsrat sieht keine Probleme. Die Geflüchteten, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht würden, seien gerade eben erst in Deutschland angekommen und hätten ganz andere Sorgen. „Eine reale Gefahr, dass Bewohner in Kontakt mit Straftätern etwa am Ebertplatz geraten und dann selbst Straftaten verüben, halten wir für lebensfremd“, kommentiert Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß.
Nicht nur die Innenexperten in der Landtags-CDU halten diese Einschätzungen für „Wunschdenken“. Lisa Kapteinat, Integrationsexpertin der SPD im Landtag, kritisiert, die Stadt bekomme die Probleme am Kölner Ebertplatz seit „Jahren nicht in den Griff“. Die Bürger würden bei den Planungen überhaupt nicht mitgenommen: „So wie Frau Paul und Oberbürgermeisterin Reker da rangehen, sind Konflikte jedenfalls programmiert“, so Kapteinat.
Kritik von SPD-Seite: Bürger vor Ort werden in Planungen nicht einbezogen
Herbert Reul wirkt nachdenklich, als er den Platz gegen 22 Uhr wieder verlässt. „Ich kann die Sorgen der Anwohner verstehen. Wenn ich hier wohnen würde, würde ich auch nicht durch die Unterführung gehen und lieber die überirdische Lösung wählen.“ Die Misere macht den Politiker auch zornig: „Wenn es nach mir ginge, würde ich den Platz einfach zuschütten.“

Auch wenn am Abend von Reuls Besuch nur wenige zwielichtige Gestalten am Ebertplatz zu sehen sind – die Lage vor Ort ist überdeutlich in einem Bericht des Ministeriums dokumentiert.
Copyright: gmv
Die Frage nach der Flüchtlingsunterkunft treibt den Innenminister offensichtlich um. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, angesichts der Probleme, die es ohnehin schon auf dem Ebertplatz gibt“, sagt Reul. „Bei einem Standort, der nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Kriminalitätsbrennpunkt liegt, wäre mir persönlich natürlich wohler.“ Es gebe allerdings für jeden Ort immer ein Pro und ein Contra. „Das ist wirklich nicht einfach, weil es nicht viele geeignete Objekte für Unterkünfte gibt.“
Auch die Schulwegsicherheit ist ein Thema, das ihn merklich mit Sorge erfüllt: „Es kann nicht sein, dass Eltern und Kinder von Dealern belästigt werden“, sagt Reul und fordert: „Da muss die Polizei auch morgens früh mehr Präsenz zeigen.“
Wie es morgens auf dem Ebertplatz aussieht, davon will sich Reul demnächst einen Eindruck verschaffen. Auf dem Weg zur Arbeit nach Düsseldorf werde er dort mal einen Zwischenstopp einlegen, kündigt er an, bevor in seinen Dienstwagen einsteigt. Dann, so der Plan, wirklich inkognito.