Vor allem Kinder scheinen in Köln deutlich mehr Straftaten zu begehen. Das liegt an Corona – aber nicht nur.
„Mit Corona allein nicht zu erklären“Jugendkriminalität in Köln zum zweiten Mal in Folge gestiegen
Es ist eine Entwicklung, die nicht nur der Polizei Sorgen bereitet. Im zweiten Jahr in Folge steigt die Zahl der Jugendlichen, Kinder und jungen Erwachsenen, die einer Straftat verdächtigt werden. Das geht aus dem Jugendkriminalitätsbericht 2023 hervor. 9487 Tatverdächtige unter 21 Jahren zählte die Polizei im vergangenen Jahr in ihrem Zuständigkeitsbereich, das auch Leverkusen umfasst. Das sind 448 mehr als 2022 und somit ein Anstieg um 5 Prozent. Rechnet man Leverkusen heraus, fällt der Anstieg noch deutlicher aus (8,6 %).
Zwar stieg die Zahl der Straftaten und der Tatverdächtigen im vergangenen Jahr insgesamt (+6,3 %). Doch ist der Anstieg bei den unter 21-Jährigen überproportional stark. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Aber wir werden nicht müde, darauf hinzuweisen“, sagte Kriminaldirektor Michael Esser bereits vor einem Monat. Im Juni beschäftigt sich nun auch der Kölner Jugendhilfeausschuss mit den steigenden Zahlen.
Vor allem Kinder häufiger unter den Tatverdächtigen
Ein Hauptgrund für den anhaltenden Anstieg sind nach wie vor die Folgen der Corona-Pandemie, so die Polizei. In vielen Deliktsbereichen hätten sich die Zahlen nach dem Rückgang der Kriminalität während der Pandemie wieder auf das Niveau von 2019 eingependelt, analysiert die Polizei in dem Bericht. Und es gibt zumindest Anzeichen, dass sich der Trend verlangsamt, denn 2022 stieg die Zahl der jungen Tatverdächtigen sogar um 25 Prozent.
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Dennoch wächst die Kriminalität unter Jugendlichen nach wie vor stärker als in anderen Altersgruppen, insbesondere bei Delikten wie Raub oder Körperverletzung. Besonders alarmierend ist der Anstieg bei Kindern unter 14 Jahren. 11,4 Prozent mehr Tatverdächtige registrierte die Kölner Polizei im vergangenen Jahr. Bei Raub waren es sogar 16,4 Prozent mehr, bei Körperverletzungen 10,3 Prozent.
Der Soziologe Clemens Kroneberg forscht an der Universität zu Köln zu Jugendkriminalität. Seiner Einschätzung nach macht sich das Ende der Corona-Pandemie bei Kindern besonders stark bemerkbar. „Teilweise sind Nachholeffekte zu erwarten, da Jugendliche bestimmter Altersgruppen erst nach Ende der Pandemie ihre ersten Erfahrungen in Situationen machen konnten, in denen ein höheres Risiko für Gewalt und anderen Regelverletzungen besteht. Daneben könnte es aber auch Defizite im Erwerb sozial-emotionaler Kompetenzen geben, insbesondere durch die Schulschließungen während der Pandemie.“ Ältere Jahrgänge hätten ihre Grundschulzeit vor Beginn der Pandemie bereits abgeschlossen.
Besonders stark gestiegen ist auch die Zahl der Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (+17,5 Prozent). In den meisten Fällen verbirgt sich dahinter die Verbreitung pornografische Bilder oder Filme. Woran das liegt, darüber kann Kroneberg auch nur Vermutungen anstellen, sagt er: „Einerseits kann es sein, dass mehr Jugendliche solche Taten begangen und erlitten haben. Andererseits kann das teilweise auch Ausdruck einer stärkeren Anzeigebereitschaft und polizeilichen Ermittlungstätigkeit sein. Letzteres wäre ja durchaus wünschenswert.“
Studie soll Gründe für Anstieg der Jugendkriminalität untersuchen
Immerhin: Im Vergleich zur landesweiten Entwicklung fällt der Anstieg in Köln sogar noch moderat aus. Denn in Nordrhein-Westfalen stieg die Jugendkriminalität sogar um 10,8 Prozent. Das macht die Situation in Köln zwar nicht besser, zeigt aber, dass es in anderen Teilen des Bundeslandes ähnlich und zum Teil noch schlimmer aussieht.
Die Polizei betont in ihrer Analyse: „Jugendkriminalität ist vorwiegend Gelegenheitskriminalität, die opportunistisch motiviert und selten geplant ist.“ Die Tat werde meist unprofessionell ausgeführt, überwiegend handele es sich um Bagatelldelikte. „Tatsächlich tritt der größte Teil aller Jugendlichen in Köln und Leverkusen in der gesamten Jugendphase bei der Polizei nicht in Erscheinung. In Fällen, in denen die Polizei gegen Jugendliche ermittelt, bleibt es in der Regel bei wenigen Straftaten.“
Doch auch wenn die Corona-Pandemie ein Grund für die steigende Jugendkriminalität ist, betont die Polizei in ihrem Bericht: „Der nun sehr starke Anstieg lässt sich mit den Auswirkungen der Pandemie alleine nicht erklären.“
Welche anderen Faktoren außerdem eine Rolle für die steigenden Zahlen spielen, soll demnächst auch Clemens Kronenberg herausfinden. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat bei ihm und dem Bonn-Kölner Exzellenzcluster „Econtribute“ eine Studie in Auftrag gegeben, die untersuchen soll, warum immer mehr Jugendliche und Kinder Straftaten begehen – und selbst Opfer solcher Straftaten werden.