Oper DüsseldorfWarum Barrie Koskys Offenbach-Travestie vor allem nervt
Düsseldorf – Dieses Theater hat schon bessere Tage gesehen: Bühnenbildner Rufus Didwiszus hat ein ramponiertes Portal auf die Bühne gewuchtet, wie in einem verstaubten Pariser Varieté. Nachdem der schlabbrige Glitzervorhang sich geöffnet hat, blickt man in das verranzte Schlafzimmer im Hause Orpheus, ein schmuddeliges Boudoir mit faltigen Stoffwänden und trüber Beleuchtung. Auf dem Bett wälzt sich lasziv Eurydike, sie ist gelangweilt von ihrem die Geige fiedelnden Gatten und wird sich alsbald mit Wonne von Jupiter, der ihr als Stubenfliege mit Strass-Pimmel erscheint in die Unterwelt entführen lassen, denn da ist endlich mal was los. Orpheus wiederum ist wenig betrübt ob des Abtauchens der Gattin, muss sich aber der Vertreterin der öffentlichen Meinung beugen und die Gattin wieder zurück in die Oberwelt holen.
Jacques Offenbach schuf eine Verulkung des Antikenkults
Das ist die Geschichte von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, einer Verulkung des Antikenkults, die zugleich die politischen Verhältnisse aufs Korn nahm. Da sich aber heute kaum noch jemand mit der antiken Götterwelt auskennt und politische Anspielungen schnell schal werden, braucht es einen schlauen Zugriff.
Barrie Kosky gilt eigentlich als Meister der Operette. Der Intendant der Komischen Oper verdankt seine Erfolgsgeschichte etlichen Ausgrabungen von Berliner Operetten, hat sie entstaubt, flott zugespitzt und gewürzt mit Revue, Plüsch, Travestie und Zote. Dass dieses Konzept kein Patentrezept ist, zeigt sich nun bei seiner „Orpheus“-Inszenierung, die nach Salzburg (2019) und Berlin (2021) nun schon die dritte Station erreicht.
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Kosky und sein Team stellen Offenbachs Hintersinn, seine elegante Frivolität ästhetisch in eine Reihe mit den Berliner Trouvaillen und ihrem Schenkelklopf-Humor, was zwar einen Teil des Parketts zu spitzen Entzückens-Schreien nötigt, andere Teile mit den Füßen abstimmen lässt: Nach der Pause sind die Reihen deutlich gelichtet.
Eigentlich genial gelöst hat Kosky das leidige Dialog-Problem, das in den internationalen Ensembles nie funktioniert. Denn gesungen wird Französisch, die Dialoge aber sind deutsch, gesprochen von einer Art Synchronstimme, die sämtliche Stimmen übernimmt und außerdem zuständig ist die Geräuschspur. Der Schauspieler Max Hopp in der Rolle des Styx übernimmt diese Herkulesaufgabe, schlüpft – auch in der Tonhöhe – in unzählige Stimmen, macht „Iiijjjjek“, wenn eine Tür aufgeht, „oinkoink“ bei Ferkeleien, furzt „pppfhhhhttt“, wenn jemand sich setzt, schnalzt und sabbert, was das Zeug hält. Dadurch entsteht eine Art Comic-Effekt, Hopp und das Ensemble machen das virtuos, nur leider nutzt sich der Witz sehr schnell ab.
Barrie Koskys Konzept gegen die Langeweile ist die Turbo-Party
Die Figuren bleiben ohne einen Hauch von Psychologie grell zugespitzte Schablonen, was schnell langweilt und später nur noch nervt. Koskys Rezept gegen die Langeweile ist ein hitziges Treiben auf der Bühne, ein zwölfköpfiges Tanz-Ensemble gemischter Geschlechter tobt mal als Bienenballett, mal mit blanken Hintern, mal als Teufelchen über die Bühne, der Chor wimmelt dazwischen in bester Spiellaune, ebenso die dekadente Götterschar und so mischen sich munter die Welten, die Turbo-Party endet im legendären Can-Can, wo die mit übergroßen Geschlechtsteilen verzierten Röcke um die Wette fliegen.
Seltsam matt gegen den Dauerkrawall auf der Bühne bleibt – zumindest in Reihe 6- die musikalische Seite des Abends. Adrien Perruchon schlägt gemäßigte Tempi an, hat aber wenig Sinn für das französische Parfüm dieser Musik, die Düsseldorfer Symphoniker spielen akkurat, aber wenig inspiriert. Neben dem famosen Max Hopp bleibt das Ensemble trotz virtuoser Spielleistung stimmlich im Mittelfeld, heraus ragt Romana Noacks gewitzter Cupido. Beim Schlussapplaus verbeugt sich nicht der Regisseur, sondern nur ein Pappkamerad. Der viel beschäftigte Kosky ist längst in Amsterdam, wo er „Tosca“ probt. Vielleicht lag’s auch daran, dass der Abend so grob ausfällt.