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Ausstellung zu Max LiebermannDieser Maler lehrte Deutschland das moderne Sehen

Lesezeit 5 Minuten

Düsseldorf – Als Max Liebermann mit seinem Gemälde „Die Gänserupferinnen“ (1872) schlagartig bekannt wird, ist er 25 Jahre alt und kommt frisch von der Kunstakademie. Adolph Menzel, Doyen der deutschen Malerei, lädt ihn in sein Atelier ein und begrüßt ihn mit den Worten: „Na Männeken, wenn Sie vierzig wären, würde ich sagen, Sie sind ein Genie. So aber, ein junger Bursch, müssten Sie sich von Ihrem Vater jeden Tag die Hosen strammziehen und den Arsch durchwalken lassen.“ Seine verblüffende Begründung: „Solche Bilder malt man nicht als Jüngling.“

Max Liebermann wurde mit 25 Jahren berühmt

Liebermann selbst hatte es geahnt. „Das Sujet ist gedanklich gleich null und alles der Malerei untergeordnet“, schrieb er seinem Bruder. „Wenn das Bild fertig ist, möge mir all mein Heil beistehen.“ Tatsächlich ist das Gemälde für deutsche Verhältnisse unerhört: Das weiße Gefieder der gerupften Gänse erleuchtet einen dunklen, erdigen Raum, ohne eine Geschichte zu erzählen oder eine Moral zu liefern. Es ist Realismus pur, reine Malerei. Menzels angedrohte Prügelstrafe zielte aber wohl auf die erstaunliche, ja geradezu anmaßende Selbstsicherheit, mit der ein „Jüngling“ hier den Pinsel führte und sich mit seinem aus dem Alltagsleben gegriffenen Sujet gegen die Verklärung der ländlichen Arbeit stellte. In diesem Bild ist kein unsicheres Zögern zu spüren, aber auch kein ungestümes Drängen; der Schüler ist im Handstreich zum Meister gereift.

Aus der Menzelschen Anekdote spricht eine im Grunde banale, im Fall Liebermanns aber sehr bezeichnende Erkenntnis: Auch der Grandseigneur der Berliner Kunstwelt, der zum „Gegenkaiser“ erhobene Liebermann war einmal jung. Ähnlich wie den Schriftsteller Theodor Fontane nimmt die Nachwelt den berühmtesten deutschen Maler seiner Zeit vor allem als gesetzten Bürger wahr, der seine Kunst mit der Gelassenheit lebenslanger Erfahrung beherrschte. Das liegt sicherlich auch daran, dass der 1847 geborene Liebermann erst mit 60 Jahren den Gipfel seines Ansehens erreichte und die aus dieser Zeit überlieferten Fotografien einen kahlen Charakterschädel mit wilhelminischem Schnauzbart zeigen. Der wichtigere Grund liegt jedoch in der besonderen Beschaffenheit des damaligen deutschen Kunstlebens: Gegenüber der führenden Pariser Kunstwelt hatte das Kaiserreich immensen Nachholbedarf, der Begriff der „verspäteten Nation“ ist hier tatsächlich angebracht.

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Mit Bildern wie „Kartoffelernte in Barbizon“ (1875) übersetzte Liebermann den französischen Realismus eines Jean-François Millet erstmals ins Deutsche, in den 1890er Jahren machte er gemeinsam mit Lovis Corinth und Max Slevogt die Impressionisten auch hierzulande salonfähig. In seiner Glanzzeit kämpfte Liebermann an allen Fronten und in vielen Funktionen gegen den Chauvinismus in der Kunst. Allerdings wird diese Lebensleistung teilweise durch seine entschiedene Ablehnung der expressionistischen Malerei verdeckt. Selbst Karl Ruhrberg, der ihn als Gegner der wilhelminischen Hofkunst schätzte, attestierte ihm in seiner Geschichte der modernen Malerei „großbürgerlich-konservativen Starrsinn“. Dass ihm dieses Urteil nicht gerecht wird, davon kann man sich jetzt im Düsseldorfer Kunstpalast aufs Neue überzeugen. Auch wenn Liebermanns Werk niemals jung war, so ist es doch hervorragend gealtert.

Die These der Düsseldorfer Ausstellung klingt zunächst auch erst einmal banal: Dass Liebermann ein internationaler Künstler war, ist wahrlich kein Geheimnis, schließlich zog er, sobald er es sich leisten konnte, zu Studienzwecken nach Paris. Allerdings wird der Kreis der regionalen Einflüsse im Kunstpalast erweitert. Zu Paris und Barbizon treten die von Liebermann gern und häufig besuchten Niederlande – und ein Erweckungserlebnis in Düsseldorf.

Aus Schorf wird auf den Bildern Zuckerguss

An den Rhein war der junge Liebermann mit seinem Weimarer Lehrer Theodor Hagen gereist, um das Atelier des zu seinen Lebzeiten hochverehrten Malers Mihály Munkácsy zu besuchen. Hier lernte Liebermann den Realismus kennen, der ihn zu den „Gänserupferinnen“ inspirierte und den Weg nach Barbizon finden ließ. In der Ausstellung werden diese Anfänge sehr gut greifbar. Man sieht Werke des realistischen Liebermann neben denen seiner Lehrer, sieht, wie sich eins zum anderen fügt – wobei die Abwesenheit der „Gänserupferinnen“ schon ein wenig schmerzt. Immerhin fehlt die „Kartoffelernte“ nicht; sie gehört dem Kunstpalast.

So geht es weiter in der Werkbiografie, mit Abstechern zu Millet und Corot nach Barbizon oder den Tier- und Landschaftsbildern des Niederländers Anton Mauve. Bei diesem scheint sich Liebermann abgeschaut zu haben, wie man ein Motiv plastisch wirken lässt, indem man es mit krustenförmigen Farbtupfern krönt; die Farbe wirkt dann beinahe wie Schorf. Auf einigen späten Gartenbildern gerinnt diese Technik geradewegs zu Zuckergussmalerei. Man sieht die Natur vor lauter Farbe nicht mehr – und sieht sie gerade dadurch wie nie zuvor.

Am radikalsten war Max Liebermann im Alter

Liebermanns Entdeckung der Impressionisten wiederholt sich in Düsseldorf mit einigen wenigen, gut ausgewählten Bildern. Man sieht, wie sich bei Claude Monet und Camille Pissarro die Welt bereits in Farbtupfer aufzulösen beginnt, während ihr Schüler die Bewegung der Landschaft noch mit Pinselschwüngen nachzuempfinden und nachzuzeichnen versucht. Wenn Liebermann die Dinge mit wenigen Strichen andeutet, wie, um sie vor dem Verschwinden zu bewahren, ist er ein großartiger Maler. An seinen eher konventionellen Pferderennen und Badeszenen hat man sich hingegen auch im Kunstpalast irgendwann satt gesehen.

Wie Monet malte Liebermann seine radikalsten Bilder als alter Mann, auch er vorzugsweise von seinem Garten. Jetzt ist das Sujet gedanklich endgültig bei null angekommen und alles Malerei. So bleibt man sich treu, auch wenn man unterwegs die Stile wechselt.

„Ich. Max Liebermann – Ein europäischer Künstler“, Kunstpalast, Düsseldorf, bis 8. Mai. Der Katalog kostet im Buchhandel 38 Euro.